Wenn der Papst am Karfreitag den Kreuzweg am Kolosseum in Rom geht, gedenkt er auch der christlichen Märtyrer, die bis Kaiser Konstantin (er regierte 306 bis 337) Teil grausamer Kampfspiele waren. Dort, wo für die 70.000 Zuschauer Menschen und Tiere starben, wurde vor dem 19. Jahrhundert ein großes Kreuz in der Mitte aufgestellt; es gab Freitagspredigten, und wer das heilige Zeichen im Zentrum küsste, bekam ein Ablassversprechen. Seit dem 20. Jahrhundert steht es seitlich, die Messfeiern sind auf Ostern beschränkt.
Kreuze waren seit der Prähistorie Symbol für vieles. Dass bronzezeitliche Menhire und alte Hügelgräber Kreuze tragen, diskutiert man heute weniger als etwa die Gipfelkreuze und Kreuze in öffentlichen Gebäuden.
Christus, für Michelangelo der schönste Mann
Dabei ist das Kreuz als Auferstehungs- und Siegeszeichen erst spät (nach dem Konzil von Ephesos 431) von den Christen zum Sinnbild gewählt worden, davor waren Fisch und die griechischen Buchstaben Chi und Rho für den Anfang des Namens Christos Verständigungszeichen. Das Leiden am Kreuz und der Märtyrerkult waren eine gute und kühne Werbestrategie, die in Konstantins Regierungszeit begann. Mit seiner Mutter Helena ist die Legende der Auffindung des wahren Kreuzes 325 in Jerusalem verbunden. Sie teilte die hölzerne Kreuzesreliquie (und die gefundenen Nägel) zwischen Jerusalem (Grabeskirche), Rom (Santa Croce in Gerusalemme) und Konstantinopel (Pharoskapelle) auf.
Michelangelo hat das Thema Kreuz 1521 mit seinem Idealtypus von Christus als schönstem Mann verbunden, bis kurz nach 1970 konnte man die Marmorfigur in Sa. Maria sopra Minerva in Rom ohne barockes Schamtuch sehen - der fleischgewordene Auferstandene darf in unserer Zeit nicht mehr nackt sein. Piero della Francesca hat die Kreuzauffindung gemalt, und in Arezzo sind auch die Nacht und der Traum Konstantins im Jahr 312 zu sehen, als ihm ein Engel das Kreuz als Siegeszeichen gegen Maxentius an der Milvischen Brücke ankündigte. In den Widmungen Konstantins - des ersten Kaisers, der das Christentum maßgeblich förderte - wird die Kreuzform auch Architektur. Der kreuzförmige Grundriss der wichtigsten Kirche Roms, Alt-St. Peter, entfernte sich als Memorialbau für den Märtyrerapostel von den antiken Basiliken oder Rundbauten. Es folgen Bauten für Johannes in Ephesos und einige Heilige in Syrien und Armenien; in St. Peter liegt am Schnittpunkt der Kreuzbalken, heute unter Michelangelos Kuppel, das Grab des Apostels.
Die Kreuzessplitter sind durch die Eroberer in Jerusalem und Konstantinopel in verschiedene Hände geraten und in alle Richtungen verstreut, auch aufgeteilt durch die Kreuzritter und den lukrativen Handel mit Reliquien. Nimmt man all die Güter zusammen, die in Kirchen, Klöstern und Schatzkammern ruhen (die Wiener Schatzkammer bewahrt eine Kreuzesreliquie in den Reichskleinodien auf), würden sie einen Kreuzwald ergeben.