Wien. Ein Zirkus war ja nicht das, was wir uns heute darunter vorstellen, sondern vielmehr eine Kunstreitshow", erklärt Robert Kaldy-Karo, Direktor des Wiener Circus- und Clownmuseums. "Das Pferd hat man aus dem Alltag gekannt: man hat es gebraucht zum Arbeiten, zum Reisen, zum Essen. Wenn das Pferd plötzlich Tricks aufführte, war das für die Leute damals noch viel aufregender als für uns heute."

Als Vorläufer kann man die berühmt-berüchtigten Hetztheater heranziehen, die es auch in Wien gab. Das letzte war das "k. k. privilegierte Hetzamphitheater" zwischen der heutigen Hetzgasse und der Zollamtsstraße, das 1796 abgebrannt ist. Nachdem Kaiser Franz II. den Wiederaufbau verboten hatte - übrigens gegen den Willen der Wiener - mussten die Kunstreiter andere Stätten finden, um ihr Können vorzuführen. Kaldy-Karo dazu: "Die Verwandlung vom blutigen Hetztheater zum unblutigen Unterhaltungstheater ist relativ schnell gegangen. Zirkusse mussten einen guten Ruf haben, damit sie innerhalb der Stadt gastieren durften. Wien war ja eigentlich eine absolut spaßfreie Zone." Deswegen musste der Spaß importiert werden: "Viele englische Reiter haben uns in Wien besucht, dann auch viele aus Frankreich. Die haben sich in Reithallen in der Stadt eingemietet und sind aufgetreten, teilweise schon mit einem Spaßmacher, einem Reiter, der über Fässer springt, oder auch einem gezähmten Hirsch, auf dem man geritten ist."

Bald wurden auf der Feuerwerkswiese im Prater Manegen mit einfachen Sitzen ohne Zelt aufgebaut. "Dadurch war das Bespielen nur in der schönen Jahreszeit möglich", so Kaldy-Karo, "und selbst im Sommer ging es bei Schlechtwetter nicht." Der Kunstreiter Christoph de Bach ließ schließlich 1808 im Prater ein überdachtes und stabiles Gebäude errichten: den Zirkus Gymnasticus. Für den Festbau beauftragt wurde der Biedermeierbaumeister Josef Kornhäusl, was sich de Bach leisten konnte, da er es durch seine Reitvorführungen bereits zu Wohlstand gebracht hatte.

Der Zirkus Gymnasticus hatte Platz für 3000 Zuschauer und 37 Pferde in sechs Stallungen. Kaldy-Karo erklärt anhand einer Skizze: "Der Zirkus Gymnasticus war so aufgebaut, dass man ohne künstliches Licht arbeiten konnte, nämlich mit einer Glaskuppel. Das Programm musste am späten Nachmittag spielen, weil man den Theatern am Abend keine Konkurrenz machen durfte. Es hat trotzdem dauernd Anschuldigungen beim Magistrat gegeben, Proteste und Beschwerden, dass der Zirkus dem Leopoldstädter Theater und dem Carltheater die Gäste wegnimmt." So ist in Joseph Richters "Eipdeldauer-Briefen" über einen Zirkusbesuch zu lesen: "O je, Herr Vetter! da ist schon um 5 Uhr kein Platz mehr zhabn gwest, und da hat gwiß kein Menschen sein Geld greut, so masterlich haben s‘ ihr Sach gmacht: und mir ist schon der bloße Kontratanz von ihren Pferden lieber gwest als manches Ballet." Zur Show gehörten teils abstruse Aktionen: ein Schimmel etwa apportierte einen Pudel; ein anderes Pferd brachte einen Tisch, einen Stuhl und servierte einem Gast die Speisen. De Bach integrierte zudem Seiltänzer und Clowns in seine Reitdarbietungen, von seinen großen Reisen brachte er immer wieder Dressurneuheiten mit: ab 1817 etwa einen Elefanten.

Die Zirkusse gedeihen

De Bachs Zirkus war nicht nur eine gefürchtete Konkurrenz für die Theater, sondern auch für die Praterhütten, sodass die Praterunternehmer ihn baten, seine Vorstellungen noch früher zu beenden. Stattdessen versuchte er, eine Art Monopol für Kunstreiteraufführungen im Prater zu erhalten - doch er starb am 12. April 1834 an Nervenfieber. Seine zweite Frau Laura de Bach übernahm zwar den Zirkus, blieb aber Wien jahrelang fern, woraufhin andere Kunstreitergesellschaften den Festbau nutzten, bis das Gebäude schließlich 1852 demoliert wurde.

1851 hatte Toldy Janos auf der Feuerwerkswiese bereits seinen eigenen Zirkus errichtet, wo vor allem Ring- und Boxkämpfe über die Bühne gingen. Weitere, teils kurzlebige Zirkusse folgten. Der Zirkus Carré wurde zur Weltausstellung 1873 eröffnet, und ab 1876 gastierten Zirkusse auch in der festlichen, für die Weltausstellung erbauten Rotunde. 1879 spazierte der Seiltänzer Blondin - berühmt für seinen Balanceakt über die Niagarafälle - waghalsig auf dem riesigen Kuppelbau.

1890 gastierte Buffalo Bill’s Wild West-Show im Prater - mit interessanten Nachwirkungen: "Vorher gab es keine Zirkuszelte, weil man so große Zeltplanen einfach nicht herstellen konnte", erläutert Kaldy-Karo. Buffalo Bill hatte aber Riesenzelte vom amerikanischen Bürgerkrieg aufgekauft, unter die man im Krieg Kanonen und Pferde stellen konnte - das war der Auslöser für den Zeltzirkus.

Einer der am längsten aktive Zirkusse im Prater war der 1892 erbaute Busch. "Paul Busch war ein schwerreicher Unternehmer", erzählt Kaldy-Karo, "er hat auch den Zirkus immer wieder vermietet. Die haben damals sehr wohl erkannt, dass die Stätten permanent bespielt werden müssen, damit sie sich rechnen und im Gespräch bleiben. Deswegen hatten sie Gastspiele - ähnlich wie heute bei Clubbings und in Konzerthallen, wo auch jeden Tag etwas geboten werden muss." Der Zirkus Busch hatte ein Fassungsvermögen von 2600 Zuschauern, die Aufführungen waren bombastisch und personenstark. Ab 1908 wurden in dem Gebäude erste Filmvorführungen gezeigt. "Ein normales Kino hatte einen Klavierspieler - im Busch hatten sie ein ganzes Orchester", weiß Kaldy-Karo. Wenig später inszenierte Max Reinhardt im Zirkus Busch Stücke wie "König Ödipus" und "Jedermann". Ab 1920 wurde das Zirkusgebäude dann vollständig in ein Kino umgewandelt.