Die "Riesenmoidl" war rund 2,27 Meter groß und Tom Jack, der sich entfesselt. - © Zirkus- und Clownmuseum
Die "Riesenmoidl" war rund 2,27 Meter groß und Tom Jack, der sich entfesselt. - © Zirkus- und Clownmuseum

"Liliputaner neben Giganten, stark Übergewichtige neben Skelettmenschen, Rumpfmenschen zwischen siamesischen Zwillingen", murmelt Robert Kaldy-Karo, der Direktor des Circus- und Clownmuseums, als er die Postkarte eines Praterunternehmens betrachtet. Menschliche Abnormitäten gehörten bis vor gar nicht allzu langer Zeit noch zur Unterhaltungsindustrie, wobei die Geschichte der Ausstellung außergewöhnlicher Menschen weit zurückgeht: zu den Höfen ägyptischer und römischer Machthaber, später zu den Herrschaftshäusern Europas. Im Mittelalter gab es zusätzlich Wanderzirkusse fürs einfache Volk, in denen etwa Kinder mit Geburtsschäden gezeigt wurden. Erst der amerikanische Unternehmer P. T. Barnum (1810-1891) kommerzialisierte dies dann im großen Stil: Die goldenen Jahre für so genannte Side bzw. Freakshows waren zwischen 1840 und 1940.

Parallel dazu entwickelten sich pseudo-wissenschaftliche Erklärungen, man sei auf der Suche nach dem "Missing Link" zwischen Mensch und Tier, auf den Darwin hingewiesen hatte: ausgestellt wurden Affenmenschen, Löwenmenschen, Hundemenschen, ja sogar eine Meerjungfrau – bei Barnum in Wirklichkeit zusammengesetzt aus dem Skelett eines Affen und dem eines Fisches. "Im Grunde ging es schlicht um Profit und Unterhaltung", so Kaldy-Karo. "Generell gesehen kann man historisch unterscheiden zwischen so genannten ‚geborenen Freaks’ – also Kleinwüchsigen, Haarmenschen, siamesischen Zwillingen,… – und ‚geschaffenen Freaks’: früher reichte das Tragen von Tattoos noch dazu aus. Es gab auch so genannte ‚Novelty Acts’, dazu gehören Schwertschlucker, Hungerkünstler und Fakire, die sich also etwas beigebracht hatten. Und natürlich waren da die Betrüger, die als Armlose auftraten, dabei nur ihre Extremitäten geschickt versteckt hielten."

Der weltberühmte Hungerkünstler Riccardo Sacco. - © Zirkus- und Clownmuseum
Der weltberühmte Hungerkünstler Riccardo Sacco. - © Zirkus- und Clownmuseum

Felix Salten schreibt in seinem Buch "Wurstelprater" über die Zurschaustellung einer angeblichen Dame ohne Unterleib und Arme: "Schon recht, ich weiß ja, daß sie Arme und Beine hat, wie alle anderen, aber welch’ eine Qual, da aushalten zu müssen. […] Wenn sie nun so dasteht, und es setzt sich eine Fliege ins Gesicht, oder eine Gelse sticht sie; sie kann sie nicht einmal mit der Hand fortscheuchen, da sie doch keine Arme haben darf. […] Würde man einmal hören, daß sie in Rußland die Nihilistinnen zu solchen Strafen verurteilen, ganz Europa wäre empört."

Zu den berühmtesten "Wundermenschen" im Prater zählen Rumpfmensch Nikolai Kobelkoff, die als "Königin der Kolossaldamen" angepriesene Prater Mitzi oder "Haarmensch" Julia Pastrana. Gustav Münstedt bereiste mit seiner "Liliputanertruppe" ganz Europa, während 1934 eine Liliputanerstadt im Prater entstand, wo die Bewohner, allesamt Kleinwüchsige, ihre Varieté-Vorstellungen gaben. Im Prater zu sehen waren auch "das Mädchen mit dem Vogelkopf" und "der Mann mit dem Bulldoggenkopf", das Skelettgigerl, der menschliche Amboss, der Pudelmensch, der Gummimensch, das mooshaarige Mädchen, das "Riesenkind" Emilie Folke, kurz: die Liste ließe sich Unendlich fortführen, doch sollten hier an dieser Stelle weniger bekannte im Prater ausgestellte Sonderlinge vorgestellt werden:

Hungerkünstler untereinander

Riccardo Sacco war ein Hungerkünstler, der im Mai 1905 im Prater drei Wochen lang öffentlich "gehungert" hatte. In der zweiten Prater-Nummer vom 5. Juni 1905 steht: "Riccardo Sacco hat sich im Prater einmauern lassen und lebt durch drei Wochen ohne jeden Kontakt mit der Aussenwelt. Er nährt sich ausschliesslich von Krondorfer, das ihm bis jetzt sehr wohl anschlägt. Einundvierzig Hungerperioden hat der Mann hinter sich – er heisst in Wirklichkeit Wilhelm Botte – und es ist zu hoffen, dass er auch die zweiundvierzigste überstehen wird." Kaldy-Karo lacht: "Krondorfer war damals ein Mineralwasser. Da hab ich irgendwo ein Foto, wo man sieht, wie die Flaschen drinnen aufgestellt sind. Sacco stand offiziell zwar unter ‚ärztlicher Beobachtung’, aber die Hungerkünstler sind alle rausgekommen in der Nacht und haben gefuttert. Auf Sacco hat die Freiwillige Feuerwehr Währing aufgepasst: Man kann sich vorstellen, was da in der Nacht passiert ist. Ein Großteil der Hungerkünstler ist nach dem Hungern schwerer gewesen als vorher."

Damals wollte man allerdings noch an die Wundermenschen und ihre Fähigkeiten glauben, wie weiter in der Prater-Nummer steht: "Sacco hat sich einen sehr hübschen Hungerturm zurechtgelegt, das ist ein kleines, aus Gipsplatten angefertigtes Häuschen von zirka zwanzig Kubikmeter Rauminhalt, mit sechs grossen eingekitteten Fenstern, an mehreren Stellen unter dem Dach mit Drahtgaze verschlossene Ventilationsöffnungen, eine ebensolche kleinere, etwas tiefere, zu Vermittlung von Gesprächen und darunter eine Ritze, durch welche Sacco seine ‚täglichen Bulletins’ der Mitwelt hinausschieben kann. Im Innerden die von Frau Pertl beigestellte Einrichtung: ein Schlafdiwan mit schwellendem Polster und roter Steppdecke, daneben ein Nachtkästchen, zu Füssen eine Batterie Flaschen, 50 Liter Krondorfer, dann ein Tischchen, in einer Ecke ein geheimnisvolles Fauteuil, eine Waage, in der anderen Ecke ein Gasofen, denn so meint Sacco, wenn man einige Tage nichts im Magen hat, fröstelt einen. Im ganzen ein recht anheimelndes Boudoir."

Von 24.000 Zuschauern wurde er während seiner dreiwöchigen Vorführung angestarrt, die teilweise auf seinen Behälter klopften, um zu überprüfen, ob er denn noch lebte. Er erfreute sich seiner Popularität, bis sich nur zwei Monate nach seinem Auftritt die Schauspielerin Auguste Victoria Schenk in ein benachbartes Kaffeehaus einsperren ließ. Vor ihrem Käfig häuften sich die Rosen, und sie schaffte es, 23 Tage, also zwei Tage länger als Sacco, zu hungern. Ihr Sieg wurde allerdings nicht nur positiv aufgenommen: Das Illustrierte Wiener Extrablatt meinte, dass derlei "Emancipations-Gelüste" den Männern selbst "die brotloseste aller Künste" streitig machen würden.

Mit dem Ersten Weltkrieg hatte dann niemand mehr Lust darauf, Menschen beim Hungern zuzusehen. Die Show war für viele zur realen Not geworden.

Die Riesenmoidl

Die "Riesenmoidl", mit bürgerlichem Namen Maria Faßnauer, kam 1879 in Ridnaun als ältestes von sechs Kindern der Staudnerbauern zur Welt – und als normales Kind, wie die Bozner Zeitung vom 29. November 1906 schreibt: "Bis zu ihrem dritten Lebensjahre war sie ein kleines Kind wie alle anderen, dann wuchs sie mit einem Schlage über die Umgebung hinaus…, überflügelte Vater und Mutter und wuchs und wuchs, daß sich die Leute bekreuzigten, wenn sie sie sahen." Konkret hieß das: Sie wurde 2,27 m groß, 172 kg schwer, zu einer Zeit, als ein Mann mit 1,70 m bereits zu den Großgewachsenen zählte.

Im ersten Schuljahr hatte Maria Faßnauer dann schon so eine Größe erreicht, dass in der Klasse eine eigene Bank für sie aufgestellt werden musste. Ihre Stimme war tief wie eine Männerstimme und sie verfügte über enorme Muskelkraft, die sie zu Hause am Hof der Eltern anwandte. Auch ihr Appetit war laut damaligen Berichten dementsprechend riesig.

Kurz vor der Jahrhundertwende erlebte der Fremdenverkehr einen allgemeinen Aufschwung, wodurch viele Urlauber aus sämtlichen Gegenden die riesenhafte Bauernstochter sahen. Diese Feriengäste trugen die Geschichten über gesehenes Unglaubliches nach dem Urlaub in ihre Heimatorte zurück, u.a. auch in Großstädte, in denen Schaustellungen immer nach neuen Attraktionen Ausschau hielten. Daraufhin kamen zahlreiche Unternehmer nach Ridnaun, um sich von der Legende zu überzeugen, und trugen den Eltern Angebote heran, wie das Tiroler Volksblatt am 21. Mai 1890 schreibt: "Unlängst war ein Schaubudenbesitzer aus Wien eigens gekommen, um dies Riesenmädchen für seine Bude zu erlangen. Er bot den Eltern jährlich 600 Gulden an und die vollständige Verpflegung des Kindes sowie eine Begleiterin. Doch die Eltern, obwohl in Armut lebend, ließen sich vom Gelde nicht verlocken, ihr Kind in die weite Welt zu schicken."

Erst 1906 – Maria Faßnauer war damals 27 Jahre alt – war es so weit, dass sie doch in die Welt zog, um aus ihrer Größe Profit zu schlagen. Sie war allerdings sehr religiös und ging nur Engagements ein, die ihr erlaubten, dreimal in der Woche die Kirche zu besuchen. Otto Heinemann vom Passage-Panoptikum in Berlin engagierte sie für ein Jahr, wo sie neben Kleinwüchsigen und anderen "Wundermenschen" auftrat. Wenige Monate später kam sie für kurze Zeit nach Wien. Im Jänner 1908 ging sie zurück nach Ridnaun und erholte sich von den Reisestrapazen, durch die sie jedoch große finanzielle Erfolge und Popularität erlangt hatte. Mit den Gewinnen half sie ihrer Familie aus, und aus diesem Grund folgten weitere Shows in Hamburg, London, Manchester, dem Münchner Oktoberfest und bei der Weltausstellung in Brüssel 1910. Der Aussteller, Hunde- und Affendresseur Alexander Barth zeigte die "Riesin aus Tirol" 1912 im Prater, so Kaldy-Karo: "Die Größenangaben zur ‚Riesenmoidl’ gehen in der Geschichtsschreibung auseinander und bis 2,40 m, was wahrscheinlich damit zu tun hat, dass sie in den Schaustellungen Schuhe mit Absätzen, ein langes Trachtenkleid und einen hohen Tirolerhut getragen hat."

Schon ab 1910 hatte Maria Faßnauer durch die extrem langen Stehzeiten in den Schauen mit Fuß- und Hüftleiden zu kämpfen. Mit dem Wanderleben machte die Riesin, die nichts mehr liebte als das einfache Landleben, trotzdem bis 1913 weiter. Danach verhinderte der Erste Weltkrieg größere Tourneen, und Maria Faßnauer starb 1917 mit 38 Jahren in Ridnaun an Wassersucht.

Houdini als Lehrmeister

Tom Jack – mit bürgerlichem Namen Karl Breu – wurde 1884 im böhmischen Dubiau als Albino geboren. Im konventionellen Berufsleben konnte er sich nicht durchsetzen, doch dann begegnete ihm ein Wanderzirkus und er schloss sich begeistert an. Der wegen seines Aussehens auch "Weißschädl" genannte Karl Breu musste zwar ganz unten anfangen, doch schaffte es, die Karriereleiter hinauf bis zum "weltgrößten Entfesselungskünstler" zu steigen – so zumindest die Eigenbezeichnung. Jene Tricks, die er im Zirkus Busch im Prater zeigte und die ihm seinen Ruhm einbrachten, hatte er aber tatsächlich vom legendären Entfesslungskünstler Houdini gelernt, dessen Assistent er zuvor in Berlin gewesen war.

Bei einer typischen Show wurde Tom Jack in eine Zwangsjacke gesteckt, die sorgfältig verschnürt wurde, woraufhin Gendarmen mit Eisenketten anrückten, die sie kreuz und quer über seinen Körper legten und zuletzt mit mehreren Vorhängeschlössern zusammenschlossen. Tom Jack konnte sich in dieser paketähnlichen Verschnürung kaum bewegen, doch er dehnte und streckte seinen Körper, bis sein sonst fahles Gesicht plötzlich rot wurde, wie es dazumals hieß. Er schaffte es, Ketten, Schlösser und Zwangsjacke abzuschütteln, "wie man sich nach kaltem Bad der an der Haut haftenden Wassertropfen entledigt", so ein anonymer Zeugenbericht.

Nur einmal, in London, wäre er fast seiner künstlerischen Neigung erlegen: Er ließ sich schwer gefesselt von der Tower Bridge werfen, hatte dann im Wasser aber Probleme, seine Ketten zu öffnen und versank. Gerade im letzten Moment konnte er sich dramatischerweise noch retten – so die Legende, die er selbst immer wieder gerne erzählte, nachdem er bereits zu einem internationalen und wohlhabenden Künstler geworden war. Kaldy-Karo nimmt solche Schilderungen nicht unbedingt für bare Münze: "Ein Artist ohne solche Geschichten war damals nichts, solche Inszenierungen gehörten einfach zur Imagepflege."

Zeitgenössische Freakshows

Auch die Liste der eher obskureren Artisten, die im Prater zu Gast waren, ließe sich bis ins Unendliche fortsetzen: mit dem Welser Fakir Rayo (1901-1979), der eigentlich gelernter Fleischhacker war; mit dem Säbelschlucker, Feuerschlucker und Entfesslungskünstler Charles de Kiswarth (1921-1989), der aus einer Schaustellerfamilie stammte, die schon vor ihm im Prater tätig gewesen war: sein Vater als Kraftmensch, Bauchredner und Zitherspieler, sein Onkel Karl Graf als Säbelschlucker, seine Tante Hermine Graf als "tätowierte Dame Herma Lorette"; weiters gab es menschliche Aquarien und Spinnenmenschen – doch scheint es an dieser Stelle interessanter, den Blick darauf zu richten, wie zeitgenössische Ausformungen solcher historischen Freakshows aussehen. Kaldy-Karo erzählt, dass der Zweite Weltkrieg zwar eine grobe Zäsur darstellte, jedoch nicht das endgültige Ende solcher Schaustellungen verhieß: "Letzte Reste der Freakshows waren bis 1963 im Prater zu sehen: bei Jakob Feigl, dem die ‚Weltschau’ gehörte und der den Spitznamen ‚Barnum von Wien’ getragen hat. Dort waren noch der Zauberer Otto Wessely, die Atkins Hundeshow, das elektrische Mädchen Monika, eine Riesenfrau in holländischer Tracht und Fritz Hakl mit anderen Kleinwüchsigen zu sehen."

In jenem Zeitabschnitt der frühen 1960er wurde interessanterweise die Body- und Performance-Kunst geboren, die von dort aus auch die Randbezirke der Populärkultur beeinflusste. Aspekte aus Freakshows wurden in einen gänzlich anderen Kontext mit anderen Motivationen und Zielen übertragen: in unseren Gefilden allen voran von den Wiener Aktionisten, international gesehen von Chris Burden, Vito Acconci, Marina Abramović, Joe Coleman und dem heute als Superstar gefeierten Iggy Pop.

Sensibilisierung und die Entwicklung von "Political Correctness" taten neben historischen, technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen ihr Übriges dazu bei, dass Freakshows heute nur noch in gewissen Modifizierungen zu finden sind: etwa in Reality- und Talk-Shows sowie Talentwettbewerben, in denen dysfunktionale Individuen präsentiert und dem Spott der Allgemeinheit preisgegeben werden. Mit den unzähligen Kanälen und Kommunikationssträngen im Internet wurde im Grunde eine endlose Freakparade erschaffen, die stets mutiert und schier unmöglich zu fassen ist. Was real und authentisch ist, und was geschickt mit kommerziellen Absichten inszenierte "Fakes" sind, bleibt oft unklar.

Extremsport und das Verschieben von Rekordgrenzen, Fitnesswahn und körperliche Transgressionen durch intensives Training samt kübelweise Steroiden schließen an die alten starken Damen und Herren an, die in Abnormitäten-Shows gezeigt wurden. Zudem existieren Phänomene wie Wettfress- oder Trinkbewerbe, die in einer abstrusen Überwindung körperlicher Grenzen ihren Zweck suchen und bereits Todesopfer gefordert haben.

Es gibt nur noch einzelne Zauberer in den USA, die "geborene Freaks" ausstellen, etwas Chris Angel und Kevin James, die in ihren Shows einen Mann ohne Unterkörper und einen Kleinwüchsigen für schaurige Illusionen einsetzen. Bei der Serie "Jackass" war der 1,23 m große Wee Man fixer Bestandteil des Unterhaltungsprogramms. Hierzulande gibt es den blinden Kabarettisten Martin Mayrhofer, der mit seinem "Kabarett für Sehende" selbstbewusst auftritt – doch solche Phänomene gehören heute zu raren Beispielen, was in Franz Hubmanns und Helmut Qualtingers 1986 erschienenem Buch "Der Wiener Prater oder die schönste Illusion der Gegenwart: Schießbudenfiguren, Watschenmänner und das Ringelspiel des Lebens" bereits gar wehmütig beschrieben wurde: "Die Zwerge, die Menschenfresser, das tapfere Schneiderlein … Wenn ich mich an den alten Prater erinnere, da war noch was los … Das Erdbeben von Messina, der Brand der Rotunde … Die Kinder heut’ sind arm … Na ja, wenn sie’s net merken…"