Wien. "Karl Juhasz war das Gegenteil vom Hutschenschleuderer Liliom", meint Robert Kaldy-Karo, der Direktor des Wiener Circus- und Clownmuseums. "Liliom stand in der sozialen Ordnung schon weit unten, glitt dann aber durch einen Mord noch weiter hinab. Der ‚gutbürgerliche Wiener‘ war damals sowieso der Meinung, dass alle Menschen im Prater lichtscheues Gesindel waren - mit wenigen Ausnahmen." Juhasz gehörte zu diesen Ausnahmen. Lichtscheu war er höchstens im Kinosaal, um einer gelungenen Projektion nicht im Wege zu stehen. Dafür wurde er zum Filmpionier.

- © Kadotheum Wien
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Karl Juhasz kam 1868 in Wien zur Welt, war früh verwaist und wurde von seinen Tanten großgezogen. Er galt zwar als mathematisch interessiert und begabt, verbrachte aber mehr Zeit im Prater als in der Schule: als Hutschenschleuderer, Ausrufer, Zauberkünstler und Schnellrechner. Schon ab 1890 führte er sein eigenes bescheidenes Zaubertheater mit Bretterbänken für 30, später 50 Zuschauer. Eine der Grundvoraussetzungen für sein Durchkommen im Wurstelprater war ein guter Schmäh, doch Kaldy-Karo ergänzt: "Juhasz hat sich in den folgenden Jahren so etabliert, dass er den verruchten Mikrokosmos der Stadt verlassen und in die Weiten der Monarchie hinausziehen konnte."

1898 zog er als Wanderkinobesitzer durch halb Europa, um 1899 nach Wien zurückzukehren. Er kaufte einen Filmprojektor und einige Filme, darunter "In den Bahnhof einfahrende Eisenbahn", "Menschen kommen aus einer Fabrik/Kirche" oder "Exotische Tänzerin". So konnte er im Prater sein "Zaubertheater mit Kino" eröffnen: "Er zeigte also bewegte Bilder, hatte aber auch von den Praterartisten Zauberkunststücke und Tricks gelernt, unter anderen von Kratky-Baschik", so Kaldy-Karo, der 2014 ein Buch über die Praterlegende Anton Kratky-Baschik geschrieben hat.

1899 wurde eine verpflichtende Prüfung zum "Film Operateur" eingeführt, die er erfolgreich ablegte. "Dass der Prater so oft brannte, hat nicht nur mit Licht als früher einziger Licht- und Wärmequelle zu tun, sondern auch damit, dass Filme extrem leicht entflammbar waren", so Kaldy-Karo. "Juhasz war zwar nicht der Erste im Prater, der Filme vorführte, aber der Erste, der einen Farbfilm zeigte: ‚Die Henne mit den goldenen Eiern‘. Der Film war handkoloriert, 24 Meter lang und dauerte nur einige Minuten." In seiner eigenen Zauberhütte, aber auch in anderen Praterunternehmen, die er im Laufe der Jahre mieten sollte, zeigte Juhasz die Spiegelillusion "Die Spinnenfrau". "Die dafür engagierten Damen blieben nie sehr lange bei einem Unternehmen, weil die Bezahlung mehr schlecht als recht war", so Kaldy-Karo. Juhasz suchte also laufend neue "Spinnenfrauen" - bis sich Leopoldine Jelinek bei ihm bewarb. Die Hernalserin war mit sieben Jahren Vollwaisin geworden und wurde von einem Onkel aufgenommen, dessen Haushalt sie führte. Als Jungendliche suchte sie Arbeit und wurde im Prater als "Dame ohne Unterleib" engagiert. Später landete sie bei Juhasz: Die beiden sollten kurz darauf heiraten und bis zum Schluss ihr berufliches wie auch privates Leben teilen. Für eine "Hellsehnummer" studierten die beiden einen eigenen "Gedankenübertragungscode" ein, bei dem Informationen mit Sprachcodes übermittelt wurden. "Die Wiener waren vom Spiritismus sehr beeindruckt, auch das Kaiserhaus beschäftigte sich mit diesem Phänomen. Daher ging man gerne in die Vorführung vom Juhasz, wo er einige betrügerische Tricks der falschen Medien erklärte", so Kaldy-Karo. Später war Juhasz an der Entwicklung technischer Neuerungen beteiligt und sicherte sich Patente, die ihm finanzielle Sicherheit brachten.

Das Kinoplastikon

Um 1900 wurden Juhasz und seine Gattin für eine Deutschland-Tournee engagiert: als Hellseher und Antispiritisten. So dürften sie bis 1903 permanent unterwegs gewesen sein. Kaldy-Karo blättert in einer Archivmappe und sagt: "Am 16. Juli 1905 hat er sein Zeltkino am Holzplatz von Wiener Neustadt aufgestellt, im Vorprogramm der Filme sind einige Praterartisten aufgetreten, etwa der Fakir Ben Ali Fey, Herr Schäfer und Madame Cumberland, die als ‚die besten Gedankenleser der Neuzeit‘ angekündigt wurden, und Juhasz selber, der hier nicht nur als Direktor, sondern auch als Schnellrechner in Erscheinung trat. Leopoldine hat immer den Projektor bedient und ist an der Kassa gesessen - es war also ein richtiges Familienunternehmen."

1906 zeigte Juhasz den ersten Tonfilm im Prater: Sprache und Geräusche kamen dabei von einer Schallplatte, die parallel abgespielt wurde. 1907 erkannte er, dass sich die Kinounternehmer des Landes zusammenschließen sollten, um sich besser untereinander absprechen zu können. Er legte daher mit anderen Kinobesitzern die Gründung des Verbandes "Reichsverband aller österreichisch-ungarischen Kinobesitzer" fest, dessen Vorsitzender er von 1909 bis 1912 sein sollte. 1911 kauft Juhasz von der Gemeinde Mödling, die er auf seinen zahlreichen Tourneen kennen und schätzen gelernt hatte, ein Grundstück in der Babenbergergasse und ließ dort ein vierstöckiges Haus errichten. Im Erdgeschoß sollte ein Jugendstiltheater entstehen, das er auch als Kino nutzen konnte. Juhasz investierte immer mehr Zeit in die Entwicklung technischer Verbesserungen für Filmprojektionen. Mit seinem Freund und Geschäftspartner Franz Haushofer stellte er verschiedene Experimente mit räumlicher Projektion an. Nach längeren Versuchen präsentierten die beiden das "Kinoplastikon", eine Mischform aus Film und Theater auf mehreren räumlichen Ebenen, bei der vor allem Märchen und Sagen in dreidimensionalen Bildern vorgeführt wurden. Juhasz und Haushofer suchten finanzkräftige Partner und fanden diese in den Aristokraten Graf Dominik Potocki, Friedrich von Haimberger, Edler von Pittroff und Bela Rosza. Zusammen gründeten sie 1912 die Wiener Kinoplastikon Ges.m.b.H, die ein mondänes Büro auf der Schottenbastei hatte und - wie in den Zeitungsanzeigen betont wurde - über zwei Telefonanschlüsse verfügte. Das erste Kino in Wien, wo man das Kinoplastikon erleben konnte, wurde im Kabarett Himmel im 1. Bezirk eingerichtet. Da die Nachfrage groß war, folgten weitere in Naschmarktnähe. Das Kinoplastikon wurde auch von Kinounternehmern in London übernommen, das Medienecho in ganz Europa war äußerst positiv - obwohl: für Kaldy-Karo ein alter Trick: "Wie Juhasz auf die Idee für dieses Projektionsverfahren kam, ist eigentlich ganz einfach. Er hat ja einige Male in Kratky-Baschiks Zaubertheater hinter der Bühne ausgeholfen und die Geistervorführungen gekannt, mit den schrägen Glasplatten zur Spiegelung. Das war im Grunde dasselbe Prinzip der räumlichen Täuschung."