Darmstadt/Köln. Das Rendezvous beginnt: Nach zehn Jahren Flug erreicht die Raumsonde "Rosetta" ihr Ziel, den Kometen "Tschurjumow-Gerassimenko". Am 6. August soll die Sonde der europäischen Raumfahrtagentur ESA auf eine Umlaufbahn um "Tschuri" gebracht werden. Im November schließlich soll die Landeeinheit "Philae" auf dem Kometen aufsetzen. "So etwas hat noch niemand gemacht", sagte ESA-Flugdirektor Paolo Ferri.
Das gut eine Milliarde Euro teure Projekt steckt voller Premieren und Superlative: Nie zuvor wurde die Energie einer Raumsonde in so großer Sonnenentfernung von Solarzellen geliefert. Noch nie zuvor schwenkte eine Sonde auf eine Art Umlaufbahn um einen Kometen ein und hat ihn für längere Zeit begleitet. Und noch nie wurde ein Forschungsmodul darauf abgesetzt.
ESA-Special zu "Rosetta"
Viele Fragen wollen beantwortet werden
Ziel der Mission ist es, einen der ursprünglichsten Himmelskörper überhaupt zu erkunden: Kometen sind die wahrscheinlich ältesten weitgehend unveränderten Reste der gigantischen Staubscheibe, aus der vor 4,6 Milliarden Jahren unser Sonnensystem entstand. Sie sind zu kalt und zu klein, ihre Schwerkraft ist zu gering, als dass chemische oder geologische Prozesse sie veränderten.
Die "schmutzigen Schneebälle" bestehen aus Gestein, Eis und Staub - zu welchen Teilen, ist bei "Tschuri" noch unklar. Der Komet kann weich sein wie Pulverschnee oder hart wie Gletschereis. Die vielen Ungewissheiten lassen die Landung von "Philae" zur heikelsten Phase der Mission werden. "Vieles von dem Kometen wissen wir noch nicht", sagte der Österreicher Stephan Ulamec, der "Philae"-Projektleiter beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). "Das ist gerade die größte Herausforderung, dass wir auf einem Kometen landen wollen, den wir noch nicht kennen."
17 Nationen sind an Rosetta beteiligt
Zur Erde geschickte Bilder des Kamerasystems an Bord zeigten kürzlich, dass der Komet nicht wie erwartet einer Kartoffel ähnelt, sondern eher einer schnabellosen Gummi-Ente. "Das hat uns wahrscheinlich alle überrascht", so Ulamec. "Wir wussten immer, dass wir uns ins Unbekannte vorwagen", betonte der ESA-Kometenexperte Detlef Koschny in Noordwijk (Niederlande).
Die Landeeinheit und wesentliche Instrumente entstanden unter der Leitung deutscher Institute, insgesamt sind 17 Nationen an der "Rosetta"-Mission beteiligt, auch österreichische Einrichtungen haben mitgebaut. "Philae" wird aus dem Lander-Kontrollzentrum des DLR in Köln gesteuert. Möglichst viel Sicherheit sollen etliche Testläufe bringen - wie gerade erst ein Harpunentest beim DLR in Oberpfaffenhofen bei München.
Damit die Landeeinheit trotz geringer Anziehungskraft auf dem rund fünf mal drei Kilometer großen Himmelskörper stehen bleibt, sollen im Augenblick des ersten Bodenkontakts zwei Harpunen in den Boden geschossen werden. Zudem soll aus einer Düse an der Spitze der Sonde beim Auftreffen Gas entweichen und sie so auf die Oberfläche drücken.
Eine zehnjährige Reise
Gestartet war "Rosetta" am 2. März 2004. Auf ihrer Reise durchs Sonnensystem wurde sie in einen Tiefschlaf versetzt, um Energie zu sparen. Nach dem "Weckruf" am 20. Jänner 2014 legte sie als Kometenjägerin wieder richtig los, testete Systeme, schickte Bilder. Zur Freude der Forscher gab es keine großen Probleme - was keineswegs selbstverständlich war: Die Instrumente waren zehn Jahre ohne jede Wartung unterwegs.
Im November wird "Rosetta" etwa 480 Millionen Kilometer von der Erde entfernt sein - insgesamt hat sie dann schon mehr als 6,4 Milliarden Kilometer zurückgelegt. Auf dem Rücken des Kometen soll "Philae" begleitet von "Rosetta" Richtung Sonne fliegen. Bis August 2015 wird sich das Dreiergespann dem Feuerball auf 195 Millionen Kilometer nähern - mit Teleskopen ist der Komet dann auch von der Erde aus zu sehen.
"Philae" erleidet wohl den Wärmetod, die kreisende Sonde hingegen könnte die Sonnenpassage noch Monate überleben. Der Treibstoff könnte bis Juli 2016 reichen. Das allerdings ist nur eine Schätzung: Eine Tankanzeige gibt es nicht.
Rosetta jagt mit Technik aus Österreich den Kometen
Der Ankunft der europäischen Raumsonde Rosetta beim Kometen "Tschurjumow-Gerassimenko" am 6. August fiebern auch heimische Wissenschafter entgegen. Denn an Bord der Sonde und der Landeeinheit "Philae" sind in Österreich bzw. mit österreichischer Beteiligung gebaute Instrumente. "Wir können es kaum erwarten", erklärte der Chef des Grazer Instituts für Weltraumforschung, Wolfgang Baumjohann.
Das Institut für Weltraumforschung (IWF) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Graz ist an fünf wissenschaftlichen Instrumenten der Mission beteiligt. "Jahrelange Entwicklungsarbeit, Wartezeit und unser ganzes Herzblut stecken darin. Wir können es kaum erwarten, endlich die ersten Daten zu erhalten, die uns für die nächsten Jahre beschäftigen werden", so Baumjohann in einer Aussendung. Die Instrumente wurden nach ihrem jahrelangen Winterschlaf bereits wieder eingeschaltet und getestet, nach Angaben der Wissenschafter funktionieren sie tadellos.
Unter der Federführung des IWF und mit Beteiligung des Austrian Institute of Technology (AIT), Joanneum Research, dem Unternehmen RUAG Space Austria und der Technischen Universität (TU) Wien wurde das Instrument MIDAS (Micro-Imaging Dust Analysis System) gebaut. MIDAS wird mit Hilfe eines Rasterkraftmikroskops an Bord von Rosetta auf einige Nanometer (ein Nanometer ist der millionste Teil eines Millimeters) genau die Struktur der vom Kometen freigesetzten Staubteilchen messen und ein dreidimensionales Bild der Teilchen liefern. Die Forscher erwarten sich davon Aufschluss über die physikalischen Eigenschaften des Kometen.
Die Wissenschafter vermuten, dass der Schweifstern noch Staubteilchen enthält, aus denen vor rund 4,5 Milliarden Jahren das Sonnensystem gebildet wurde. Aus Struktur, Form und Art des Zusammenklumpens erhoffen sie sich neue Erkenntnisse darüber, wie die Planeten entstanden sind. Der Staub wird mit Hilfe eines speziellen Mechanismus während der gesamten Zeit, in der die Sonde den Kometen begleitet, gesammelt, die aufgenommenen Bilder und Daten zur Erde gesendet.
Während MIDAS die Form der Staubteilchen erforscht, soll das Experiment COSIMA mit Hilfe eines Massenspektrometers deren chemische Zusammensetzung analysieren. Das IWF hat dafür die Steuerungselektronik entwickelt, vom AIT stammt die für die Untersuchung notwendige Ionenquelle.
Die Magnetfelder in der Umgebung des Kometen stehen im Mittelpunkt des Interesses des Experiments RPC-MAG, mit dem erstmals Langzeituntersuchungen eines Kometenschweifs durchgeführt werden. Für dieses Experiment hat das IWF die Datenerfassungseinheit entwickelt.
Das IWF ist auch an einigen Instrumenten für die Landeeinheit "Philae" beteiligt. Dazu zählen die Harpunen, die dem Lander zur Verankerung auf dem Kometen dienen und auch Wärmeleitfähigkeit und Festigkeit der Oberfläche messen. Das IWF hat den sogenannten Anker-Accelerometer entwickelt: Dabei handelt es sich um Sensoren in den Harpunen, die die Verzögerung des Ankers beim Eindringen in den Boden messen. Das erlaubt Rückschlüsse auf die Bodenbeschaffenheit.
Für das Experiment ROMAP, das direkt auf der Kometenoberfläche das Magnetfeld misst, hat das IWF eine Anlage entwickelt, die die Kalibrierung des Magnetometers in einem weiten Temperaturbereich erlaubt. Dies ist notwendig, da das Instrument auf dem Kometen extremen Temperaturen ausgesetzt sein wird.
Die Astrobiologin Pascale Ehrenfreund, Präsidentin des Wissenschaftsfonds FWF, ist nicht nur Mitglied des Wissenschafterteams für das österreichische Instrument MIDAS. Sie arbeitet auch in der Gruppe mit, die für das Experiment COSAC (Cometary Sampling and Composition Experiment) auf dem Lander "Philae" verantwortlich ist. Dieses Instrument soll organische Stoffe auf dem Kometen identifizieren.
Das Wiener Weltraumtechnikunternehmen Ruag Space Austria hat nicht nur die Steuer- und Messelektronik für das Experiment MIDAS geliefert. Es zeichnete auch für den Wärmehaushalt der Sonde verantwortlich und lieferte die gesamte Thermische Isolation dafür.