
Los Angeles. Nach dem Absturz des Passagier-Raumflugzeugs "SpaceShipTwo" hat Milliardär Richard Branson eine lückenlose Aufklärung des Unfalls versprochen. Zugleich seien er und sein Unternehmen Virgin Galactic entschlossen, aus den Fehlern der Katastrophe zu lernen und den Traum vom Weltraumtourismus weiter voranzutreiben.
"Wir verstehen, dass Risiken bestehen, und wir werden nicht blind vorpreschen. Das zu tun, wäre eine Beleidigung für alle, die von der Tragödie betroffen sind", sagte Branson. Die Raumfähre war am 31. Oktober bei einem Testflug über Kalifornien abgestürzt. Der 39 Jahre alte Pilot Michael Alsbury kam ums Leben, sein 43-jähriger Kopilot Peter Siebold wurde schwer verletzt. Alsbury war laut Branson ein erfahrener Testpilot mit mehr als 1.600 Flugstunden, der seit 13 Jahren für den Flugzeugbauer Scaled Composites arbeitete, der zu Virgin Galactic gehört. Das Unglück ist ein gewaltiger Rückschlag für Branson, der im kommenden Jahr erstmals Privatleute an die Grenze des Weltalls befördern wollte.
Entriegelungshebel vor Absturz zu früh betätigt
Nach dem Absturz des privaten Raumschiffs "SpaceShipTwo" haben Ermittler erste Hinweise auf Unregelmäßigkeiten gefunden. Einer der Piloten habe einen Entriegelungshebel für einen Mechanismus im Heck zu früh betätigt, sagte der Leiter der US-Verkehrssicherheitsbehörde (NTSB), Christopher Hart, am Sonntagabend.
Er könne jedoch nicht sagen, ob dies die Ursache für das Unglück sei, schränkte Hart ein: "Uns stehen noch Monate und Monate der Ursachenforschung bevor." Der Österreicher Franz Haider, der sich für einen Flug mit dem privaten Raumschiff angemeldet hat, träumt trotz des Unfalls weiter von einer Reise ins All. Entsprechende Medienberichte bestätigte er am Montag.
Weitere Tests angekündigt
"Es hat sich nichts an meiner Einstellung geändert", betonte der Unternehmer. "Virgin hat stets betont, dass sie größten Wert auf Sicherheit legen. Ich hoffe, dass sie aus diesem Unglück lernen." Das Datum für die Reise ins All könnte sich allerdings nach hinten verschieben, meinte Haider: "Zuletzt hat es geheißen, dass nur noch wenige Tests notwendig sind, dann werde mit den Flügen begonnen. Jetzt müssen die Ursachen für den Unfall gefunden werden und sie brauchen ein neues Raumschiff. Ich denke, es wird sich daher alles verzögern."
Kameraaufnahmen aus dem Cockpit hätten gezeigt, dass der Co-Pilot den Entriegelungshebel betätigt habe, als das Raumschiff eine Geschwindigkeit von etwa 1,0 Mach erreicht habe. Das sagte unterdessen der Leiter der US-Verkehrssicherheitsbehörde. Allerdings hätte der Hebel erst bei 1,4 Mach umgelegt werden dürfen. Nach Harts Angaben wurden inzwischen fast alle wichtigen Teile der Raumfähre gefunden. Dabei habe sich herausgestellt, dass die Tanks und das Raketentriebwerk intakt gewesen seien.
"SpaceShipTwo" war am Freitag bei einem Testflug über der kalifornischen Mojave-Wüste auseinandergebrochen und zu Boden gestürzt. Der Pilot konnte sich retten, sein Co-Pilot aber kam ums Leben. Das Unternehmen Virgin Galactic des britischen Milliardärs Richard Branson wollte das Raumschiff für den Weltraum-Tourismus einsetzen, hunderte Interessierte hatten bereits eine Reise reserviert.
Die Raketenexpertin Carolynne Campbell von der Internationalen Vereinigung zur Förderung der Raumfahrtsicherheit warf Virgin Galactic am Sonntag vor, alle Warnungen über die Gefährlichkeit des eingesetzten Brennstoffs in den Wind geschlagen zu haben. Sie habe bereits 2009 und später nochmals telefonisch auf die Gefahren hingewiesen, doch leider sei sie nicht gehört worden, sagte Campbell.
Branson hatte sich bereits im Vorfeld gegen derartige Spekulationen verwahrt. Er fände es "ein wenig unverantwortlich", dass sich noch vor den Ermittlern der NTSB "Leute zu Wort melden, die keine Ahnung haben", sagte er am Samstag. Der Vorstand von Virgin Galactic, George Whitesides, meinte, Meinungsverschiedenheiten zur richtigen Technik seien in der Raumfahrt üblich: Jede Gruppe bevorzuge andere Technologien, sagte er der "Financial Times" vom Sonntag.
Für den Raketenantrieb soll Distickstoffoxid sowie eine neue Komponente auf Polyamidbasis verwendet worden sein, die am Freitag erstmals für einen Testflug eingesetzt worden war. Das Unglück ist ein enormer Rückschlag für die kommerzielle Raumfahrt. Virgin Galactic war bisher führend im Bereich des Weltraumtourismus. Laut einem Experten wird sich der Start der ersten Touristen nun voraussichtlich um Jahre verzögern.
Im Flug zerbrochen
Das Raumflugzeug sei im Flug vermutlich zerbrochen, sagte der Vorsitzende der US-Behörde für Transportsicherheit NTSB, Christopher Hart, nachdem er und mehr als ein Dutzend Ermittler die Absturzstelle untersucht hatten. Die Trümmerteile seien in der kalifornischen Mojave-Wüste über eine weite Strecke von rund acht Kilometern verteilt. Die Ermittlungen sollten am Sonntag fortgesetzt werden und rund eine Woche dauern. Bis alle Daten ausgewertet und die Untersuchung abgeschlossen sei, könnten bis zu zwölf Monate vergehen.
Weil es ein Testflug war, sei alles genau überwacht worden, sagte der NTSB-Vorsitzende Christopher Hart. So gab es sechs Kameras an Bord der Raumfähre und drei weitere im größeren Trägerflugzeug "WhiteKnightTwo". Hart zeigte sich daher zuversichtlich, die Absturzursache zu finden. Den verletzten Siebold habe man wegen seines Zustands noch nicht befragen können, sagte Hart. 2007 waren bei einem Test für das Triebwerk der "SpaceShipTwo"-Rakete bereits drei Menschen ums Leben gekommen. Virgin Galactic dürfe aber weiterarbeiten wie bisher.
Rückgaberecht für bereits gekaufte Tickets
Bereits gekaufte Tickets für die Passagierflüge ins All könnten jederzeit erstattet werden, versicherte Branson. Rund 700 Menschen hatten bereits Plätze für je 250.000 US-Dollar (rund 198.000 Euro) gebucht, die ersten Flüge sollten kommendes Jahr starten. Darunter sind auch Prominente wie Lady Gaga, Angelina Jolie oder Leonardo DiCaprio. Virgin Galactic habe das Geld noch nicht verwendet, sagte Branson.
Probleme in 13 bis 15 km Höhe
"SpaceShipTwo" war am 31. Oktober von einem Flughafen rund 150 Kilometer nördlich von Los Angeles abgehoben. Es wurde vom Trägerflugzeug "WhiteKnightTwo" in die Höhe gebracht und dann ausgeklinkt. Nach Medienberichten kam es dann in einer Höhe zwischen 13 und 15 Kilometern zu Problemen. Die Flugaufsichtsbehörde FAA teilte mit, nach der Abkoppelung den Kontakt zu dem Raumflugzeug verloren zu haben. Sie ermittelt nun ebenfalls. Das Mutterflugzeug hingegen landete sicher.
Es war der erste Test des Raumgleiters mit Raketenzündung seit Jänner. Berichten von Experten zufolge wurde diesmal eine andere Treibstoffmischung genutzt, die zuvor aber ausgiebig getestet worden sein soll. Insgesamt war es der 55. Testflug. Die maximale Flughöhe sollte 110 Kilometer betragen, also knapp über der Grenze zum Weltraum. Diese liegt bei einer Höhe von 100 Kilometern.
Der Unfall ist der zweite Rückschlag für die private Raumfahrt binnen weniger Tage. Am Dienstag war der unbemannte Raumtransporter "Cygnus" Sekunden nach dem Start im US-Staat Virginia explodiert. Er sollte Nachschub für die Internationale Raumstation ISS ins All bringen.
ÖWF: "Herber Rückschlag"
Nun steht die Zukunft des Weltraumtourismus infrage. Als "herben Rückschlag für die bemannte private Raumfahrt" bezeichnete der Raumfahrtexperte Gernot Grömer vom Österreichischen Weltraum Forum (ÖWF) den Absturz von "SpaceShipTwo". Die Folgen des Unglücks für die bemannte Raumfahrt seien noch schwer abzuschätzen, "aber diese Woche wird im Weltraumsektor bereits jetzt als 'Bauchschuss' in dieser noch jungen Branche bezeichnet", so Grömer.
"Wir werden im nächsten Jahr und wahrscheinlich in den Jahren danach keine kommerziellen Flüge für Touristen ins All sehen", sagte Raumfahrtexperte Marco Caceres von der Beratungsfirma Teal Group. Virgin Galactic sei bisher "bei weitem" führend im Bereich des Weltraumtourismus gewesen, nun werde sich der Start der ersten Touristen wohl um Jahre verzögern. Angesichts der Kritik ermunterte Airbus-Chef Tom Enders Branson dazu, weiterzumachen: "Wenn Staaten ihr Engagement in der bemannten Raumfahrt zurückfahren, setzen private Pioniere das Abenteuer der Raumfahrt fort. Ich ziehe meinen Hut vor Richard Branson und anderen, die hier viel riskieren", sagte er laut einer Mitteilung.