Das Sternbild der Zwillinge heißt offiziell und lateinisch "Gemini". Einen treffenderen Namen hätte die NASA für ihre zweite Raumschiff-Generation gar nicht finden können. Dieses Gefährt bietet 1965 erstmals zwei US-Astronauten Platz. Sie sollen darin bis zu zwei Wochen ausharren und ein zweites Raumfahrzeug im Orbit ansteuern. Die Amerikaner wollen jene Fertigkeiten erlernen, die für die späteren Mondflüge Voraussetzung sind. Der Ausstieg von Menschen ins freie All gehört dazu, ebenso eine möglichst punktgenaue Landung. Die Ziele sind ehrgeizig. Bislang gingen alle Raumfahrtpremieren nämlich aufs Konto Moskaus. Und niemand weiß, was die UdSSR noch plant.
Zwei Männer im All
Zu Testzwecken schießt die NASA ihr neues, stolzes Schiff zweimal unbemannt hoch. Dann erst, am 23. März 1965, schnallt man Virgil Grissom und John Young in der Gemini 3 fest. Ihr Flug soll die 22 Monate währende Pause der bemannten US-Raumfahrt beenden. Grissom ist schon in der Mercury geflogen. Sie war beklemmend eng, zumal man die verschiedenen Systeme direkt in der Kapsel unterbringen musste: auch die Energieversorgung oder das Lebenserhaltungssystem. Das ist jetzt alles ins weiße, zweiteilige Antriebs- und Servicemodul verbannt. Mit diesen beiden ringförmigen Zusätzen erreicht die Gemini eine Höhe von 5,7 Metern.

Doch der riesenhafte Eindruck täuscht. Auf den Vordersitzen eines VW-Käfers besäßen die Astronauten ähnlich wenig Bewegungsfreiheit. Das Mannschaftsmodul ist schmächtig geblieben. Es misst an seiner Basis bloß 2,3 Meter. Nach oben hin verjüngt es sich auch noch rasch. Das Innere wird von acht Instrumentenpanelen und zwei Schleudersitzen ausgefüllt. Dazwischen sind die Astronauten eingeklemmt.
Schon die einsamen Mercury-Piloten durften ihre Kapseln im Orbit selbst um alle drei Achsen drehen, also die Ausrichtung (engl.: "Attitude") des Schiffs im Raum regeln. Die rund drei Tonnen schwere Gemini kann sehr viel mehr: Die insgesamt 16 Triebwerke ihres "Orbit Attitude and Maneuvering System" (OAMS) besitzen genug Kraft, um sogar die Flugbahn zu verändern - ein absolutes Novum in der Raumfahrt.
Die Gemini 3 rast zunächst mit 28.000 km/h um die Welt. Mithilfe des OAMS bremsen sie die Astronauten um 56 km/h ab. Das ändert die Umlaufbahn, reduziert die Flughöhe. Nach zwei weiteren Zündungen ist der erdfernste Punkt von 224 auf 169 Kilometer gesunken. Schon feuern die vier Bremsraketen am Heck des Schiffs los. Infolge stürzt die Gemini unaufhaltsam Richtung Erde. Das zweiteilige Zusatzmodul am Heck wird abgesprengt. In der langgestreckten Nase der Kapsel warten drei Fallschirme auf ihren Einsatz.
Zu allerletzt entfaltet sich der fast 26 Meter weite Hauptfallschirm. Nach nur fünfstündigem Flug taucht die Gemini 3 in den Atlantik ein, rund 100 Kilometer vom angepeilten Landeort entfernt.
Live im Fernsehen
Der Start der Gemini 4 folgt am 3. Juni 1965. Erstmals erleben ihn auch die Europäer live im TV mit, dank des nagelneuen Fernsehsatelliten Early Bird. James McDivitt und Edward White reiten an der Spitze einer drei Meter dicken und 27 Meter hohen Titan II-Rakete ins All. Sie ist der stärkste Träger für amerikanische Atomsprengköpfe. Die beiden Triebwerke ihrer ersten Stufe feuern 140 Sekunden lang; anschließend sorgt das Triebwerk der zweiten Stufe weitere 183 Sekunden für Schub.
Im Funk ertönt McDivitts Stimme in Staccato. Er und sein Kollege werden vom gefürchteten "Pogo-Effekt" durchgerüttelt. Druckänderungen im Raketentriebwerk führen zu argen Schwingungen; schaukeln sich diese auf, könnten sie die Titan-II sogar auseinander reißen.
Die Gemini 4 gelangt jedoch sicher in ihre Umlaufbahn. Die zweite Stufe hetzt hinterher. McDivitt will sich an die ausgebrannte Rakete heranbremsen. Doch dadurch fällt sein Schiff in eine tiefere Bahn mit kürzerer Umlaufszeit. Infolge nimmt der Abstand zur Raketenstufe zu, nicht ab: Man muss sich mit den orbitalen Spielregeln erst vertraut machen.
Der Schritt ins Freie
Die Männer tragen Raumanzüge. Daher dürfen sie den Druck aus ihrer Kapsel entweichen lassen. Dann öffnet White die Luke. Ursprünglich sollte er nur seinen Kopf und seine Schultern ins All hinausrecken. Doch Alexei Leonow hat ihm die Show gestohlen: Der Russe trieb schon zweieinhalb Monate zuvor ganze 12 Minuten lang neben seiner Woschod 2 her. Dass sein Wiedereinstieg im steifen Anzug zum Überlebenskampf geriet, weiß in den USA niemand.
Nach Leonows "Weltraumspaziergang" hat die NASA umdisponiert und White im Geheimen ebenfalls für einen richtigen Ausstieg üben lassen. Daher schwebt der US-Amerikaner nun zur Gänze ins Freie hinaus, nur durch eine Art "Nabelschnur" mit der Kapsel verbunden. In der Rechten hält er eine pistolenförmige Steuerungseinheit. Sie stößt auf Wunsch komprimiertes Gas aus. So kann White ein wenig manövrieren.
Er mustert die Gemini aus fünf Metern Distanz, genießt sein Abenteuer und dehnt es ordentlich aus. Funkprobleme helfen ihm dabei: Doch das Schiff rast auf den stockdunklen Erdschatten zu. So zwängt sich White nach rund 20 Minuten widerwillig in die Kapsel - ein Moment, den er als "den traurigsten" seines Lebens beschreibt. Nun hat man die Russen nicht nur eingeholt, sondern sogar übertrumpft. Selbst der KGB ist überrascht.