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Paradoxes Paradies

Von Alexandra Laubner

Rotes Wien
Ein paradoxes Paradies: Die Per-Albin- Hansson-Siedlung im 10. Wiener Gemeindebezirk.
© Stanislav Kogiku

Der erste große Neubau der Nachkriegszeit im Roten Wien war die Per-Albin-Hansson-Siedlung. Hinter der grauen Festung verbergen sich großzügige Gärten, eine Siedlung mit dörflichem Charakter. Der Traum des sozialen Wohnbaus.


Wien. Die aneinandergereihten neun- bis zwölfgeschoßigen grauen Wohnblöcke des Olof-Palme-Hofes erinnern an eine Festung. Eine Festung, die Klischees und Vorurteile entfacht. Sozialer Brennpunkt und der ungelöste Mordfall an der zehnjährigen Christina Beranek im Februar vor 30 Jahren haben sich ins kollektive Gedächtnis gebrannt - und zwar von jenen, die noch nie einen Blick hinter den Olof-Palme-Hof geworfen haben und die Per-Albin-Hansson-Siedlung nur aus der Ferne kennen. Denn wer hier wohnt, möchte nicht mehr weg. Wie Adolf Repa. Der heute 67-Jährige ist hier geboren. "Ich habe mit einigen Unterbrechungen immer in der Hansson-Siedlung gelebt. Ich bin in der alten Siedlung aufgewachsen und wohne jetzt seit 20 Jahren wieder hier. Ich wollte immer wieder zurück", sagt er.

Mit "alter Siedlung" meint Repa die Per-Albin-Hansson West - der erste Teil des heute 1,5 Millionen Quadratmeter großen Stadtteils am Südhang des Laaer Bergs. 1947 erfolgte der Spatenstich, 1951 wurde die erste große Wohnhausanlage nach dem Zweiten Weltkrieg den Mietern übergeben. Die Maschinen, die aus dem Schutt die Ziegel pressten, kamen von Schweden. Als Dank dafür wurde die Siedlung nach dem schwedischen Ministerpräsidenten Per Albin Hansson (1855-1946) benannt.

Die 1093 Wohnungen - davon 662 Einfamilienhäuser - erinnern an ein Dorf. Und das ist heute noch so. "In den 1950er und 1960er Jahren wollte niemand hier wohnen. Wenn damals jemand von der Hansson-Siedlung gesprochen hat, hat er dort unten gesagt. Bei uns war Gstettn, Wiesen und Felder und sonst nichts", erinnert sich Adolf Repa. Für die Kinder sei es ein Paradies gewesen. "Meine frühesten Kindheitserinnerungen verbinde ich mit Freiheit." Die Per-Albin-Hansson-Siedlung West wurde wie der Karl-Seitz-Hof in Floridsdorf nach dem Konzept der Gartenstadtbewegung der 1920er Jahre errichtet. Einstöckige Reihen- und dreigeschoßige Wohnhäuser - gebaut auf Ackerland in einiger Entfernung zur Stadt - mit großzügig angelegten Grünflächen und Gärten. Nur 2,7 von den 30 Hektar waren verbaut. Die Gärten waren für die Selbstversorgung angelegt. Es gab einen strikten Pflanzenplan sowie strenge Gartenkontrollen. Jeder musste einen Zwetschken-, einen Kirsch- und zwei Marillenbäume haben. Nussbäume und Holler sowie Löwenzahn waren verboten.

"Es war nicht schlecht, hier zu wohnen. Die Wohnung meiner Großmutter war ausgebombt und sie war sehr glücklich, in die Per-Albin-Hansson-Siedlung ziehen zu können, wo sie ein eigenes WC und Wasser in der Wohnung hatte. Ein Badezimmer gab es nicht, sondern nur einen Waschraum", erinnert sich Adolf Repa.

Die Wohnungen der alten Siedlung waren nach den damaligen Bestimmungen des sozialen Wohnbaus 60 bis 70 Quadratmeter groß. Adolf Repa wohnte mit seinen Eltern und seiner Großmutter bis 1973 dort. "Ich habe mit meiner Großmutter bis zu meinem 22. Lebensjahr im Kabinett geschlafen. Das war damals einfach so." Nach seiner Heirat übersiedelte Repa mit seiner Familie in den Olof-Palme-Hof. "Wir waren damals eine der ersten Mieter, die eingezogen sind. Für mich war es der pure Luxus. Es gab einen riesigen Balkon und einen Müllschlucker am Gang." Die Per-Albin-Hansson-Siedlung hat sich mit den beiden weiteren Siedlungsteilen vom Dorf zur Kleinstadt entwickelt.

Der zweite, eher unbekanntere Teil, die Per-Albin-Hansson-Siedlung-Nord mit 532 Wohnungen, entstand von 1964 bis 1971. Die dreistöckigen Wohnhäuser waren die ersten Plattenbauten Wiens. Die Per-Albin-Hansson-Siedlung Ost ist der jüngste und auch größte Abschnitt zu der auch der markante Olof-Palme-Hof mit dem Hanssonzentrum zählt. Insgesamt entstanden dort zwischen 1966 und 1977 rund 5000 Wohnungen. Sowohl die Ost- und wie auch die Westsiedlung wurden saniert.

"Als wir Anfang des Jahres 1950 mit unserem aus Schweden mitgebrachten Hausrat in der Per-Albin-Hansson-Siedlung einziehen wollten, wäre der Lastwagen im Morast der aufgeweichten, noch nicht asphaltierten Straße fast umgekippt", erinnert sich Margit Fischer, die Frau des Ex-Bundespräsidenten, in dem Zeitzeugen-Buch "Die gute Siedlung", in dem auch Alfred Repa wie auch Roswitha Abdalla und Norbert Hofer verewigt sind.

Roswitha Abdalla ist vor 48 Jahren, Norbert Hofer vor 38 Jahren in die Per-Albin-Hansson-Siedlung gezogen. "Ich war damals 20 Jahre alt und mein Mann und ich haben im 15. Bezirk in einer Zimmer-Küche-Wohnung gewohnt. Es gab kein Wasser und das WC war am Gang. Wir sind ins Tröpferlbad duschen gegangen oder haben uns in der Lavoir gewaschen. Unsere Wäsche haben wir in die Münzwäscherei getragen. In der Hansson-Siedlung habe ich mich dann wie im Paradies gefühlt. Es war beeindruckend. Ich konnte erstmals in meiner eigenen Wohnung ein Bad genießen. Und in der Nebenstiege gab es eine Waschküche", so Abdalla.

Die 68-Jährige wohnt noch immer in derselben Wohnung, in die sie am 31. Oktober 1971 eingezogen ist. "Solange ich die Wohnung selbst betreuen kann, bleibe ich." Die Vielfältigkeit mache den Charme der Hansson-Siedlung aus. "Es ist wichtig, dass hier kein Ghetto entsteht", betont Abdalla.

14.000 Bewohner

Norbert Hofer, der im Rollstuhl sitzt, ist vor 38 Jahren nicht ganz freiwillig in die Hansson-Siedlung übersiedelt, wie er erzählt. "Das war die einzige Chance für mich, eine behindergerechte Wohnung zu bekommen. Es war wie Weihnachten für mich - ich bin nämlich am 24. Dezember eingezogen", erinnert er sich. Und seitdem ist Hofer der Hansson-Siedlung treu geblieben. "Die Wohnqualität ist gut. Es gibt ein paar Konflikte mit einigen Bewohnern, aber die können wir besänftigen."

Heute leben in der Per-Albin-Hansson-Siedlung 14.000 Menschen - so viele wie in Eisenstadt. Es gibt neun Schulen, 22 Ärzte, zwei Apotheken, ein Jugendzentrum, eine Bibliothek und ein Einkaufszentrum. Von den 1,5 Millionen Quadratmetern sind 400.000 Quadratmeter mit Wohnungen - alles Gemeindewohnungen - verbaut. Die städtische Wohnhausanlage ist Teil der Internationalen Bauausstellung "IBA_Wien", bei der bis 2022 Projekte mit dem Thema "Neues soziales Wohnen" im Fokus stehen. Das Buch "Die gute Siedlung", in dem Zeitzeugen ihre Geschichte schildern, ist in allen Wiener Wohnpartner-Lokalen erhältlich.