Das Video kursierte vor einer Woche in russischen und ukrainischen Medien. Es stammte von einer ukrainischen Kampfdrohne in der Ostukraine und zeigte, wie diese eine gegnerische Haubitze am Boden ins Visier nahm. Kurz darauf zuckte der Blitz einer Explosion, eine Rauchfahne folgte, und die drei prorussischen Kämpfer, die das Geschütz bedient hatten, suchten das Weite.
Es war eine Szene, wie man sie bereits aus dem Krieg um Bergkarabach kannte, der vor einem Jahr zwischen Armenien und Aserbaidschan ausgefochten wurde. Damals wurden türkische Kampfdrohnen vom Typ Bayraktar mit einer Reichweite von etwa 150 Kilometern von Aserbaidschan eingesetzt, um sich Teile der abtrünnigen Republik Arzach, die von Armeniern bewohnt wird, zurückzuholen. Der Coup klappte, die Bayraktar wurde für das finanziell deutlich besser ausgestattete Aserbaidschan zu eine der Waffen, die den Krieg entschied.
Vor Rückeroberung des Donbass?
Nun setzt sie die Ukraine gegenüber den prorussischen Separatisten ein (die ihrerseits bereits handelsübliche Drohnen mit Waffen bestückt und eingesetzt haben sollen). Kiew betonte, dass man die laut Waffenstillstandsvereinbarungen eigentlich verbotene Waffe nur als Reaktion auf eine gegnerische Grenzüberschreitung eingesetzt habe: Die Separatisten hätten mit - ebenfalls verbotener - schwerer Artillerie ein Dorf beschossen, dabei sei ein ukrainischer Soldat ums Leben gekommen. Es wäre darum gegangen, "den Feind zur Einstellung des Feuers zu zwingen", wie die Armee mitteilte. Die Separatisten wiederum beteuern, Regierungstruppen seien vorgerückt.
Wer auch immer angegriffen oder sich verteidigt hat: Der Umstand, dass Kiew jetzt türkische Kampfdrohnen einsetzt, könnte den Donbass-Krieg anheizen und gefährlich eskalieren lassen. Manche Beobachter fürchten, dass es das Ziel der Ukraine ist, die verlorenen Gebiete im Donbass nach aserbaidschanischem Vorbild militärisch zurückzuerobern - zumal Armeniens Waffen russischer Bauart sind, ganz wie die der Donbass-Separatisten. Es wäre allerdings ein Vorhaben, das wohl nicht unbeantwortet bliebe.
Denn es ist kaum denkbar, dass sich das wesentlich besser gerüstete Russland von Kiew militärisch vorführen lassen will. In Moskau wird bereits darüber debattiert, welche russischen Luftabwehrsysteme man im Donbass aufstellen soll, um Bayraktar abzuschießen. Der kremlnahe Politologe Sergej Markow verweist darauf, dass Russland bessere Kampfdrohnen als die türkischen habe. Sie seien bisher nur nirgendwo eingesetzt worden. Sechs Bayraktar besitzt die Ukraine bereits, weitere 15 will sie von der Türkei kaufen. Auch eine gemeinsame Kampfdrohnenproduktion will Kiew mit Ankara aufbauen.
Drohnen als Exportschlager
Hintergrund dessen ist, dass sich die Türkei in den letzten Jahren und Jahrzehnten zu einem wichtigen Produzenten von Rüstungsgütern entwickelt hat. Während es 2002 lediglich 56 Rüstungsunternehmen im Land gab, waren es 2020 bereits 1.500 Unternehmen. Besonders die Kampfdrohnen gelten als Exportschlager: Neben Aserbaidschan, Katar und Tunesien legte sich neulich auch das EU-Land Polen türkische Drohnen zu. Dass Präsident Recep Tayyip Erdogan den Ehrgeiz hat, die Türkei zu einer Regionalmacht zu machen, erweist sich für die Rüstungsbranche nicht gerade als geschäftsschädigend: Bei den türkischen Militäreinsätzen in Syrien, Libyen oder dem Irak lässt Erdogan die neuen Waffen testen - eine Möglichkeit, die Waffenproduzenten aus anderen Ländern oft nicht haben. Das Ergebnis: Die Waffen werden besser, es gibt mehr Käufer.
Obwohl Erdogan eine Schaukelpolitik zwischen Russland und dem Westen betreibt und bestrebt ist, Russlands Präsidenten Wladimir Putin möglichst nicht zu reizen, ist die Zusammenarbeit zwischen Kiew und Ankara erstaunlich eng. So gibt es Militärhilfen der Türkei für die Ukraine und Abkommen zur militärischen Zusammenarbeit. Die Präsidenten Erdogan und Wolodymyr Selenskyj treffen sich immer wieder. Die Ukraine ist für Ankara ein wichtiger Verbündeter gegen Moskauer Machtansprüche in der Schwarzmeerregion, Kiew setzt auf die Türkei als Türöffner für einen möglichen Nato-Beitritt.
Russland wichtiger Partner
Allzu weit darf sich Erdogan, was die Unterstützung Kiews betrifft, aber nicht aus dem Fenster lehnen. Denn Russland ist zwar Rivale, aber auch wichtiger Partner Ankaras, auch wirtschaftlich. Putin verfügt also über zahlreiche Druckmittel gegenüber Erdogan - bei einem Angriff auf russische Kerninteressen wird er sie wohl einsetzen.