Zumindest in den Wortmeldungen gibt es Einigkeit. US- und EU-Politiker werden nicht müde zu betonen, dass Russland mit Strafmaßnahmen zu rechnen hat, sollte es einen Angriff auf die Ukraine unternehmen. Denn der massive russische Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine lässt nicht nur in Kiew die Alarmglocken schrillen - auch in Washington und Brüssel bereiten die ungewissen Pläne des Kreml Kopfzerbrechen. Ist tatsächlich eine Attacke denkbar? Oder sollen Ängste geschürt werden, um den Westen zu Zugeständnissen zu bewegen? Moskau selbst spricht jedenfalls von "Hysterie" und wirft den Ball zurück: Nicht Russland eskaliere, sondern die USA und das Militärbündnis Nato seien für die Spannungen verantwortlich.

Wie mit der Situation umzugehen ist, war am Montag Thema der Beratungen der EU-Außenminister in Brüssel, in die sich per Video auch US-Außenminister Antony Blinken eingeschaltet hatte. Tags zuvor hatte er die Sanktionsdrohung der Vereinigten Staaten an Russland erneuert - falls ein weiterer russischer Akteur sich in aggressiver Weise in die Ukraine bewege. Jetzt schon Strafmaßnahmen zu verhängen, würde hingegen das Abschreckungspotenzial des Westens verringern, meinte Blinken.

Drohkulisse für Banken

Zögern gibt es ebenso unter den Europäern - auch wenn EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schon mehrmals "massive wirtschaftliche und finanzielle Sanktionen" gegen den Kreml in Aussicht gestellt hat. Doch unter den Mitgliedstaaten gehen die Meinungen darüber, wie harsch die Reaktion ausfallen soll, auseinander.

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Eines der Argumente der Zauderer ist die Frage nach der Wirksamkeit von Sanktionen. Von diesen hat die EU seit der russischen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim 2014 schon einige verhängt. Allerdings hat dies weder dazu geführt, dass Moskau seine Entscheidungen rückgängig gemacht, noch dazu, dass es sein Verhalten geändert hat.

Doch hat der Westen sein Instrumentarium an Strafmaßnahmen noch nicht ausgeschöpft. Neben Reisesperren für Personen und militärischem Druck, der sich vor allem den USA und der Nato als Option anbietet, sind es wirtschaftliche Mittel, die Russland treffen könnten.

Schmerzhaft könnte etwa ein Ausschluss vom Banken-Kommunikationsnetzwerk Swift sein. Das System wird von mehr als 11.000 Finanzinstitutionen in gut 200 Ländern genutzt und ist wichtig für den globalen Geldfluss. Jedoch hat Russland nach der Krim-Annexion bereits ein eigenes System namens SPFS entwickelt, nachdem erstmals Forderungen aufgekommen waren, das Land von Swift abzuklemmen.

Zugang zu Anleihen

Dennoch kann es weitreichende Folgen für die Geschäfte von Banken haben, Swift nicht mehr nutzen zu dürfen. Denn die Institute sind sozusagen von internationalen Geldströmen ausgeschlossen. Geld aus dem Ausland ins Land zu transferieren wird dann schwieriger, umgekehrt genauso. Das kann Warenströme bremsen, weil Firmen nicht mehr in der Lage sind, Importe zu bezahlen oder Einnahmen für Exporte zu verbuchen. Betroffen wären also ebenso ausländische Unternehmen.

Die Sanktionsmaßnahme wurde bereits vor zehn Jahren im Streit um das iranische Atomprogramm gegen Teheran ergriffen. Doch wurde sie bisher noch nie gegen eine der großen Volkswirtschaften gerichtet.

Ein weiteres Druckmittel wäre, den - bereits beschränkten - Zugang zu russischen Anleihen noch weiter einzudämmen. Eine Möglichkeit ist dabei ein Verbot der Teilnahme am Sekundärmarkt. Schon im April des Vorjahres untersagte US-Präsident Joe Biden US-Investoren, neue russische, in Rubel begebene Bonds zu kaufen. Einschränkungen in diesem Bereich bedeuten, dass ein Land einen erschwerten Zugang zu Finanzierungsquellen hat.

Sanktionen der USA und EU gibt es ebenfalls bereits im russischen Energie-, Finanz- und Rüstungssektor. Die USA haben zudem in Betracht gezogen, den größten russischen Banken Beschränkungen aufzuerlegen, die es Moskau schwerer machen würden, Rubel in Dollar oder andere Währungen umzutauschen. Washington könnte außerdem den Staatsfonds Russian Direct Investment Fund im Visier haben.

Spekulationen gibt es auch über eine weitere Maßnahme. So soll das US-Präsidialamt die heimische Chipindustrie darüber informiert haben, sich auf neue Exportbeschränkungen für Russland vorzubereiten. Das Land könnte so abgeschnitten werden von der weltweiten Versorgung mit elektronischen Produkten.

Größter Kursrutsch seit 2020

Auf die Moskauer Börse hatten die Debatten bereits ihre Auswirkungen. Aus Furcht vor westlichen Sanktionen als Reaktion auf die Spannungen mit dem Nachbarland Ukraine flohen Anleger am Montag aus russischen Aktien. Der Moskauer Leitindex fiel um mehr als acht Prozent - der größte Kursrutsch seit dem Corona-bedingten Börsen-Crash vom März 2020.

Die russische Währung geriet ebenfalls unter Druck. Im Gegenzug notierte der Dollar mit 78,64 Rubel so hoch wie zuletzt vor einem Jahr. (reu/dpa/czar)