Das ist wohl eine der ungewöhnlichsten Theatergründungen: In Kiew entsteht mitten im Krieg eine von ukrainischen Dramatikerinnen und Dramatikern initiierte und geleitete Theaterbühne. "Wir zeigen der Welt die Stimme unseres Volkes", sagt Theaterleiter Maksym Kurochkin in einem live gestreamten Instagram-Interview mit dem Burgtheater-Dramaturgen Sebastian Huber. "Das Theater ist für uns eine Plattform, um Gedanken und Gefühle auszutauschen", ergänzt die ukrainische Dramatikerin Julia Gonchar, die das Gespräch ins Deutsche übersetzt.
Die Souterrainbühne fasst etwa 100 Personen und befindet sich im Kiewer Stadtzentrum. "Wir haben ein anarchistisches Führungsmodell", sagt Kurochkin und Gonchar ergänzt, dass alles überhaupt nur deshalb funktioniere, weil jeder überall anpackt. Aus Kostengründen finden derzeit vor allem Lesungen statt. "Wir merken, dass wir das gerade wirklich brauchen", sagt Gonchar, "die Kunst ist wie ein Ventil."
Ursprünglich hätte die Bühne am 12. März 2022 eröffnet werden sollen, der Angriffskrieg durchkreuzte die Pläne. Viele der beteiligten Autorinnen sind aus dem Kriegsgebiet geflohen, aber konnten in ihren Exil-Städten - von Wien, Leipzig und Berlin bis in den angloamerikanischen Raum, ein Netzwerk an Kooperationspartnern aufbauen - in Wien zählt das Burgtheater zu den Unterstützern des Projekts.
Es geht um Solidarität
"Wir bemerken unter den Theatern einen ungewöhnlichen Willen zur Zusammenarbeit. Es geht allen um Solidarität", sagt Huber im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Lesungen ukrainischer Dramatik und Diskussionen zur gegenwärtigen Lage, fanden bisher in der Burg-Nebenspielstätte Kasino und im Ausweichquartier der Nationalbibliothek statt, diese Lesung ist im Youtube-Kanal des Burgtheaters abrufbar.
Auch der Instagram-Talk mündete in eine Lesung, die ebenfalls via Instagram abrufbar ist. Peter Simonischek las den Text "Birne" des ukrainischen Dramatikers Andrij Bondarenko. "Birne" entstand am Beginn des Angriffskrieges, als Teil einer Anthologie, die Texte über Bäume versammelt, nach Bäumen werden bekanntlich auch russische Waffensysteme benannt. Bondarenko lebt in Lwiw, im Westen der Ukraine. Das Schreiben nach vorgegebenen Themen, so genannten Almanachen, gehört zur Methode, die sich die Dramatikerinnen und Dramatiker selbst verordnet haben. Aktuelles Almanach-Thema ist Russland. "Die Texte entstehen schnell und sind impulsiv", sagt Dramaturg Huber. Auf seine Frage im Instagram-Talk, wie sich das Schreiben im Lauf des Kriegsjahres verändert hat, antwortete Julia Gonchar: "Für mich ist Schreiben wie eine Waffe."