Einer der besten Titel eines Popsongs aus der Zeit der Neuen Deutschen Welle lautete "Verschwende Deine Jugend" von DAF aus dem Jahr 1981. Doch wie ist es, seine Jugend in Zeiten des Krieges in der Ukraine zu verschwenden? Vier junge Kreative, eine Musikerin, zwei Filmleute und ein Modedesigner, geben Auskunft.
Renie Cares, Musikerin
Renie Cares Songs sind nicht knallig, ihre Musik ist eine Musik der Zwischentöne. Als sie ihre ersten Songtexte auf Ukrainisch schrieb - vor der Invasion Russlands -, da wurde sie von manchen Branchenkollegen belächelt: "Auf Ukrainisch wirst du nicht so viele Zuhörer haben", wurde ihr beschieden, "warum singst du nicht auf Russisch?"
Doch Renie Cares ließ sich nicht davon abbringen. "Ich will einfach tun, was ich will", dachte sie. Heute ist Ukrainisch die la langue du jour - und Russisch hat seit der Invasion von Wladimir Putins Armee in der Ukraine einen schalen Beigeschmack und klingt in den Ohren junger Leute "total uncool", sagt die Musikerin.
Der Krieg lässt sich nicht ausblenden, auch nicht aus dem Leben junger Menschen. "Wenn man über den Krieg liest, dann denkt man, dass der eine Logik hätte. Aber man merkt schnell: Krieg ist pure Absurdität. Der Krieg lässt einen blitzschnell erwachsen werden. Wenn ich heute meine Songtexte von früher lese, dann kommen sie mir so unbedeutend - fast kindisch - vor."
Doch was meint Renie Cares damit? "Wer denkt, Liebeskummer sei schlimm, irrt. Heute weiß ich: Es gibt viel, viel schlimmeres." Als der Krieg kam, ist Ira - Renie Cares ist ihr Künstlerinnenname - nach Ungarn geflüchtet. Drei Monate war sie dort, bis sie verstanden hat, dass es keinen anderen Ort als die Ukraine gibt, an dem sie leben will. Oder wie sie es formuliert: "In der Ukraine kann ich atmen."
Vitaly Gavura, Filmemacher

Vitaly Gavura. Der queere Filmemacher, der das Leben seit Kriegsbeginn "mit einem großen Löffel" in sich hineinlöffelt.
- © Thomas SeifertVitaly Gavura lebt seit zehn Jahren in Kiew - "das ist mein Kraftort", sagt er. Seine Familie lebt im noch immer von Russland besetzten Bezirk Cherson, seine Mutter arbeitet dort in einem Geschäft, "wir reden am Telefon, sie sagt, alles was sie will, ist Frieden, egal, ob das Land, in dem sie lebt, nun Russland ist oder die Ukraine. Es gibt eine große Distanz zwischen uns, und dabei geht es weniger um diese politischen Fragen, sondern darum, wie man leben will."
Vitaly - er zählt sich zur queeren Szene von Kiew - braucht seinen Freiraum. Er ist Filmemacher, zuletzt lief sein Kurzfilm "Ehrlich" im deutschen Fernsehen, da geht es um den Tag der Hochzeit von Yanush, der seine wundervolle Frau heiraten soll. Aber Yanush ist schwul, und sein Freund will ihn nicht aufgeben.
"Ich löffle das Leben jetzt mit einem großen Löffel in mich hinein", sagt Vitaly, "je größer, desto besser. Das Leben scheint seit dem Krieg interessanter, alles fühlt sich realer, wirklicher an. Früher war ich manchmal zynisch - jetzt führe ich einen Krieg gegen den Zynismus."
Kateryna Gornostai, Regisseurin

Kateryna Gornostai. Die Filmemacherin, für die seit dem Krieg der Tod für ihren nächsten Film zum Thema geworden ist.
- © Thomas SeifertSeit ihrem Film "Stop Zemlia" gilt die Filmemacherin Kateryna Gornostai als Expertin für die ukrainische Jugend. In ihrem Film geht es um die sensible, stille, introvertierte Masha, die kurz vor der Matura steht und darauf wartet, dass ihr Leben endlich so richtig beginnt. Masha kann nicht aufhören, sich nach ihrem Schwarm Sasha zu verzehren, und hängt mit ihrem Freundinnen ab. Kateryna war Gast bei der diesjährigen Berlinale, wo sie Fragen über das Seelenleben der ukrainischen Jugend beantworten musste.
Sie hat aber bereits ihren nächsten Film im Kopf (Arbeitstitel: "Antonivka"), er spielt "in der Nachkriegsukraine, in der die Menschen von Trauma geplagt werden, "aber wir werden wenigstens wissen, wofür wir gekämpft haben". Dieser Film handelt von jungen Leuten und der Großelterngeneration, vom Altern und dem und Tod. Vor dem Krieg habe sie das Thema Tod null interessiert, nun, da der Tod eine fixe Größe im Leben der Menschen in der Ukraine geworden ist, sei das anders, sagt sie.
Und noch etwas hat sich geändert: Katerynas Haltung zu Russland. "Ich habe 2012 in Moskau an der Filmschule studiert. Ich dachte, wow, was für eine tolle Stadt mit so vielen spannenden Leuten. In Moskau passiert so vieles und hier in Kiew fast nichts." Doch das war freilich vor der Annexion der Krim durch Russland und den Wirren im Donbas. Nun, im Jahr 2023, ist Moskau weit, weit weg - und ist für die Filmemacherin vom Sehnsuchtsort zum Ausgangspunkt des Schreckens mutiert.
Oleg Moroz, Modedesigner

Oleg Moroz. Der Modedesigner, der in den Krieg zog.
- © Thomas SeifertDer Modeladen Riotdivison liegt an der trendigen Reitarska-Straße im Herzen von Kiew. Das Viertel hat sich in den vergangenen Jahren zum Treffpunkt der Hipster entwickelt. Es ist fast wieder wie vor dem Krieg.
Fast.
Es ist ein trotziges Ignorieren der traurigen Realität, das Heulen der Sirenen überhören die jungen Menschen in Kiew geflissentlich, Angst, Beklemmung oder Nervosität wird weggedrückt, ignoriert, relativiert. Man muss genau hinhören, um einen Hauch Traurigkeit im Timbre der Stimme zu erlauschen, genau hinsehen, um Niedergeschlagenheit in den müden Gesichtszügen zu erkennen und präzise beobachten, um Melancholie in den etwas verlangsamten Bewegungen zu sehen.
Oleg Moroz ist einer der Realitätsverweigerer des Krieges, die russische Invasion hat aber auch seine Welt auf den Kopf gestellt. Früh am Morgen des 24. Februar 2022 läutete das Telefon, Olegs Freund Yura war dran und sagte: "Hey, Oleg, du verschläftst doch wohl nicht den Krieg?"
Am Abend des 24. Februar fuhr ein mit Waffen und Munition beladener Lastwagen der Armee durch die Straßen, dort holte sich die Gruppe die erforderlichen Kampfmittel. Die Gruppe von Freunden, zu denen auch Oleg gehörte, fuhr in Richtung der nördlich von Kiew gelegenen Vororte.
Die Tage nach Kriegsbeginn erscheinen Oleg wie Wochen, die Wochen wie Monate. Einsatz mit Drohnen in der Nähe von Charkiw, Bachmut, Chernihiw - überall wurde gekämpft und Oleg war mittendrin.
Früher, vor der russischen Invasion suchte Oleg Ärger: Er war Fußball-Hooligan und fehlte bei kaum einem Spiel von Dynamo Kiew, gleichzeitig produzierte er Musikvideos und filmte für TV-Shows. Dann begann er im Jahr 2008, Klamotten für seine Streetstyle- und Techwear-Modemarke Riotdivision zu entwerfen.
Die Geschäfte sind derzeit schwierig, denn DHL, FedEx und UPS funktionieren derzeit nicht und so ist es gar nicht so einfach, die Ware, die in der Ukraine zusammengenäht wird, außer Landes zu liefern. "Im Moment können wir nicht über Expansionspläne oder die Zukunft des Unternehmens nachdenken. Vielleicht nach dem Krieg", sagt Oleg, "wir sind und wir bleiben Gefangene von Wladimir Putins Krieg."
Mitarbeit: Alex Babenko