Es gibt mehrere Möglichkeiten, mit dem Störfaktor umzugehen. Man kann versuchen, sich ihm bewusst zu stellen, sich so lange auf diese quälende Gestalt auf der Bühne zu konzentrieren, bis ihre unangenehme Wirkung hoffentlich nachlässt. Man kann es aber auch mit dem Gegenteil probieren. Eine Besucherin hat dafür eine praktische Methode gefunden. Sie hat sich so hingesetzt, dass der Kopf des Vordermanns die Irritation verdeckt. Dazu ist im Sinne des Leserservice nur leider zu sagen: Das klappt nicht überall im Haus für Mozart, jedenfalls nicht auf der abschüssigen Galerie. Dort heißt es, drei Stunden die Augen-Folter auszuhalten - also jenen Tänzer, der sich in der Bühnenmitte mit kleinen Trippelschritten um die eigene Achse dreht, dreht und dreht. Alle zehn Minuten ist Schichtwechsel, dann wechselt der Derwisch-Kelch von einem Tänzer zum nächsten. Es ist ein Mirakel, dass keiner von ihnen das Gleichgewicht verliert.
Ein Drehwurm steckt also in der jüngsten Salzburger Opernpremiere, und Jan Lauwers hat ihn dort platziert. Lauwers, Leiter der Needcompany, ist ein Besetzungscoup der Festspiele: Der 61-Jährige gilt als Größe der Sparten Tanz, Theater, Performance - und ist denkbar opernfremd. Salzburg-Chef Markus Hinterhäuser hat ihm Claudio Monteverdis "Lincoronazione di Poppea" übertragen. Möge Lauwers Bildsprache der alten Dame Musiktheater neue Kraft zuführen!
Wer ist der Erdapfel-Mann?
Nun hat der Belgier sein Vokabular also auf die Oper losgelassen, und rein körperlich betrachtet hat der Abend Hand und Fuß: Ein Rudel Tänzer sprengt mit furiosen Ausdrucksgesten über die Bühne, fügt sich hier und da zu edlen Tableaux vivants. Das Problem ist nur: Die Sänger bilden daneben eine Art Parallelgesellschaft, und die Regie steht ihr eher fremd gegenüber. Lauwers hat ein Gesamtkunstwerk anvisiert, erreicht aber nur eine Koexistenz der Arten. Man kann diesen Abend bemerkenswert, aber auch interessant unbefriedigend nennen.
Dabei geht er nicht an der Opernhandlung vorbei. Der rotierende Tänzer im Zentrum bringt die Egomanie des Kaisers und seiner Braut Poppea auf einen symbolischen Dreh- und Angelpunkt; der schiefe Bühnenboden kann sich auch sehen lassen: Lauwers hat darauf eine Art Barockfresko mit liegenden Leibern kleben lassen. Ob diese Körper Beute der Wollust oder Opfer einer Schlacht geworden sind, ist nicht auszumachen; die irritierende Ambivalenz passt jedenfalls bestens zu den Kerneigenschaften von Nerone und Poppea, also Grausamkeit und Gier. Im Laufe der drei Opernstunden ereignet sich jedoch auch Rätselhaftes. Warum hocken die Tänzer so gern auf Holzsesseln? Und was hat es mit diesem, nun ja, Erdapfel-Mann auf sich, der in einem knolligen Kostüm über die Hinterbühne wackelt?
Gute Frage auch, was Sonya Yoncheva hier tut. Die Bulgarin besitzt vokale Superkräfte, sie meistert selbst wuchtigste Partien. Der Mikro-Sound dieses Abends - das Barockorchester ist 16 Personen schwach - zwingt sie aber zur Abrüstung und stimmlichen Selbstverleugnung. Eine kleine Entschädigung ist da der dramatische Reiz, wenn diese Poppea für kurze Momente aus ihrem barocken Klangkokon ausbricht und die Gier ihrer Figur voll auflodern lässt.
Hohes Sängerniveau
Rund um Yoncheva herrscht hohes Niveau: Kate Lindsey verleiht dem Nerone brennende, dicht gepresste Töne. Damit überschreitet sie zwar fallweise die Grenze zur Penetranz, verleiht dem Tyrannen aber entsprechende Züge. Hut ab vor den Opfern dieses Herrscherpaars, vor allem vor Stéphanie dOustrac als Ottavia: Stahlhart und wuchtig, hat die Stimme der abgeschobenen Nerone-Gattin die Qualitäten eines Speers. Ana Quintans unterliegt als Drusilla mit vokalem Liebreiz der Konkurrentin Poppea, Ottone scheitert in Gestalt des klangschönen Carlo Vistoli mit einem Mordversuch; Renato Dolcini geht als Seneca würdevoll, aber nicht sehr bassfüllig zugrunde; Marcel Beekman verkörpert die komödiantische Amme mit keckem Witz.
Und die 15 Musiker von Les Arts Florissants unter William Christie am Cembalo? Sie spielten, wie man es unter der Führung der Barocklegende gewöhnt ist, also drahtig und rhythmisch - wenn auch nicht mit letzter Sicherheit, was an der Aufteilung der Musiker auf zwei separate Bühnen-Versenkungen liegen mag. Letztlich vor allem leidenschaftliche, aber konträre Reaktionen: Glühende Bravorufe trafen hitzige Buhs.