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Reif für die Insel

Von Andreas Rauschal

Sand

Wenn Pop am Sand ist, hat das nicht immer mit Urlaub zu tun. Eine Vermessung von Brian Wilson bis Chris Isaak.


Sand ist nicht nur eine obskure Band aus Berlin mit Neigung zu surrealem Krautrock, deren einziges, 1974 veröffentlichtes Album "Golem" einem Szenepublikum unter Mithilfe des britischen Musikers David Tibet vor allem rückwirkend bekannt wurde. "Sand" ist neben einem Jazz-Fusion-Werk des Gitarristen Allan Holdsworth von 1987 auch ein Song, den Lee Hazlewood 1966 für Nancy Sinatra geschrieben und mit dieser im Duett zum Besten gegeben hat. Den Tunichtgut und Hauptprotagonisten des Stücks, konsequenterweise selbst auf den Namen Sand getauft, wird sein weibliches Gegenüber am Ende zwar in die Wüste schicken. Davor aber darf ein kaltes zynisches Herz noch ein letztes Mal mit dem Feuer spielen: "Young woman share your fire with me / My heart is cold, my soul is free / I am a stranger in your land / A wandering man, call me sand."

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Erstaunlicherweise funktioniert der Song auch in einer Coverversion, die die Einstürzenden Neubauten mit Sänger Blixa Bargeld knapp 20 Jahre später in Westberlin einspielen werden. Das ist im Jahr 1985 und somit nur vier Jahre, nachdem Bob Dylan in seiner christlichen Phase auf dem Album "Shot Of Love" vorexerziert - oder besser: vorexorziert - hat, dass man auch Gottesfurcht literarisch über den Topos Sand verhandeln kann. "In the fury of the moment I can see the master’s hand / In every leaf that trembles, in every grain of sand."

Sand begegnet uns in der Popmusik quer durch die Dekaden am laufenden Band. Sehr sicher werden Christina Aguilera und Shakira barfuß am Strand tänzelnd in Musikvideos dramatisch die Haare schütteln, während Bands wie Future Islands schon vom Namen her mit der Möglichkeit einer Insel den Griff ins Paradies anvisieren oder die Kollegen von Beach House verträumt zum Thema passenden Dream Pop liefern. Eng verknüpft mit der Sehnsucht nach Urlaub und Strand und dem Süden, ist aber auch die Melancholie niemals fern.

Kein Sand im Getriebe

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Bob Dylans kanadischer Kollege Neil Young geht im Jahr 1969 mit dem "Cowgirl In The Sand" zunächst noch recht zuversichtlich auf Tuchfühlung. Außer über eine Frau, die er anhimmelt ("Hello, cowgirl in the sand / Is this place at your command?") singt er hier über spanische Strände, ohne zum damaligen Zeitpunkt je an solchen gewesen zu sein. Fluchtpunkt. Träume. Eskapismus. Imagination heißt das Zauberwort.

Fünf Jahre später kehrt der Songwriter im großen Stil an den Strand zurück. Sein Album-Klassiker "On The Beach" kommt recht melancholisch daher und hat mitunter den Blues. "I went to the radio interview / But I ended up alone at the microphone / Now I’m livin’ out here on the beach / But those seagulls are still out of reach." Dabei geht es Young wahrscheinlich etwas besser als Leonard Cohen ("Well it’s Father’s Day and everybody’s wounded"), der im Musikvideo zu "First We Take Manhattan" 1988 mit Wintermantel und in Lederschuhen am Sand herumsteht - und es ähnlich bibelallegorisch-endzeitlich anlegt wie Bob Dylan.

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Das ultimative Musikvideo, das sich auf die Themen Sand und Strand - und natürlich auch auf Herz und Schmerz - einen Reim macht, flimmert allerdings erst im Jahr 1991 über den Bildschirm. Es heißt "Wicked Game" und zeigt uns den US-Musiker Chris Isaak, der sich mit dem Topmodel Helena Christensen stoffarm über den Sandstrand wälzt. Danke, MTV! Im echten Leben wird der Drehort auf Hawaii nur wenig später unter Lava begraben. Das ist sehr treffend. Auch das Musikvideo zu "Wicked Game" ist ziemlich heiß, der Song kennt aber trotzdem kein Happy End. "This world is only gonna break your heart." 1991 ist übrigens das Jahr, in dem uns selbst Metallica mit "Enter Sandman" Sand in die Augen streuen.

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Und auch daheim in Österreich geht im Austropop einige Jahre lang nichts ohne Sand. Kein Sand im Getriebe! Das Geschäft läuft auf Hochtouren, Hit folgt auf Hit. Die Vorarbeit liefert Arik Brauer mit "Köpferl im Sand" bereits im Jahr 1971. Es geht hier allerdings nicht um den Urlaub, sondern um geistige Kleinkariertheit: "Hinter meiner, vorder meiner, links, rechts güt’s nix / Ober meiner, unter meiner siach i nix." 1982 ist Peter Cornelius "Reif für die Insel". Die STS nimmt den Gedanken drei Jahre später auf und flüchtet mit "Irgendwann bleib i dann durt" vor der Hektomatikwelt in den Süden: "Irgendwo in Griechenland / Jede Menge weißer Sand / Auf mein‘ Rück’n nur dei Hand." Im selben Jahr schlägt Wolfgang Ambros im Musikvideo zu "Longsam wochs ma z’amm" Purzelbäume in den Dünen. Und Sand kommt natürlich auch im Jahr 1986 vor, als wir Klaus Eberhartinger und seiner EAV bei "Fata Morgana" "tief in der Sahara auf einem Dromedara" begegnen. Der Text ist comichaft-überzeichnet - und nicht erst seit heute politisch sehr unkorrekt.

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Poetisch-grüblerisch sinnierte kurz zuvor Georg Danzer über "Weiße Pferde" am Strand. Der Song von 1984 ist gut - und melancholisch: "Aber sag mir woran, meine Liebe, glauben wir noch?" Er landet im Ranking der besten Sandsongs aus Österreich nur knapp hinter Sigi Maron (siehe Artikel im "extra"), der uns mit "De Spur von dein nokatn Fuass" von 1981 eiskalt erwischt.

Wer wiederum ein Herz für die Neue Deutsche Welle oder die New Wave der späten 1970er- und frühen 1980er Jahre hat (von der Welle zum Sand ist es niemals weit!), wird ziemlich sicher auch an "Irgendwie, irgendwo, irgendwann" von Nena denken ("Gib mir die Hand / Ich bau dir ein Schloss aus Sand") - oder an Sting, der bereits 1979 mit "Message In A Bottle" von The Police einmal mehr erklärt hat, dass es sich am Strand auch vortrefflich traurig sein lässt: "I’ll send an SOS to the world."

Tränen im Paradies

Dieser Zusammenhang wird nirgendwo deutlicher als im Werk der Beach Boys, und man bekam ihn erst im Vorjahr von gleich zwei Konzerten in Wien demonstriert. Einerseits kündete eine Splittergruppe namens "Beach Boys" um Mike Love von den ausgiebigen kalifornischen Strandfreuden im Zeichen des süßen Vogels Jugend: "Surfin’ Safari", "Catch A Wave", "Surfin’ U.S.A.". Andererseits zeigte das vom Leben gezeichnete Band-Genie Brian Wilson wenig später, dass dieses Strandparadies zwischen Depressionsjahren im Bett und schwerem Drogenmissbrauch schon immer auf Sand gebaut war. Im Jahr 1966 lässt sich Brian Wilson eine Sandkiste in sein Wohnzimmer installieren, um beim Schreiben näher am Thema zu sein.

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Während Sand als Füllmaterial von Rasseln bei so manchem Song für rhythmisches Beiwerk sorgt und das Phänomen des "singenden", jedenfalls Geräusche erzeugenden Sands Nomaden und Wissenschafter nicht erst seit heute beschäftigt, liegen die Wurzeln des Blues in der westafrikanischen Wüste begraben.

In unseren Breitengraden durch Ali Farka Touré populär gemacht, geben im Genre des Desert Blues heute Bands wie Tamikrest oder Tinariwen den Ton an. Letztere berichten nicht nur mit Alben wie "Aman Iman" ("Wasser ist Leben") über den Alltag der Tuareg und die harten Fakten des Wüstenlebens. Auch bekommt der Begriff "Rebellenrock" hier eine neue Bedeutung. Teile der Band waren in den frühen 90er Jahren im Zuge des Tuareg-Aufstands in Mali als Widerstandskämpfer aktiv. Im Vergleich zum Desert Blues sind die Erben des testosterondominierten und drogenunterfütterten Desert Rock aus der kalifornischen Staubwüste mit den Queens Of The Stone Age um Sänger Josh Homme im Zentrum also nur Teilnehmer einer Kinderjause.

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Einmal aber noch zurück in die 1980er Jahre: Womöglich sind der Wirtschaftsmotor und die - noch! - vollen Kassen der Musikindustrie daran schuld, dass sehr viele Musikvideos zu dieser Zeit auf fremden Kontinenten zwischen Dschungel, Regenwald, Wüste und Sandstrand oder auf Segelbooten spielen. "Rio" oder "Hungry Like The Wolf" von Duran Duran, "Down Under" von Men At Work, "Club Tropicana" von Wham! oder "Let’s Dance" von David Bowie. Letzterem wird 2015 in seiner finalen Inkarnation als "Blackstar" im Video zum gleichnamigen Song am Strand eine Totenzeremonie ausgerichtet. Einmal mehr halten die Tränen Einzug ins Paradies.

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