Regisseur Johan Simons hat das selten gespielte Shakespeare-Drama "Richard II." bereits im Herbst inszeniert, zu sehen war es bislang noch nicht. Die "Wiener Zeitung" sprach mit dem Regisseur über Geduld, Macht und einen Gottesbeweis.

"Wiener Zeitung":Die Premiere von "Richard II." wurde pandemiebedingt um Monate verschoben und wird nun am 17. und 18. April als Gastspiel in Bregenz gezeigt. Wann die Aufführung in Wien zu sehen sein wird, ist noch offen. Wie ist es um Ihre Geduld bestellt?

Johan Simons, Regisseur und Intendant. - © Ostkreuz / Brüggemann
Johan Simons, Regisseur und Intendant. - © Ostkreuz / Brüggemann

Johan Simons: Ich halte es da mit Heiner Müller. Er schreibt: "Länger als Glück ist Zeit, und länger als Unglück." Dieser Satz ist eine Haltung - und zugleich ein Riesentrost.

Ihre Theaterarbeit ist von internationalen Partnerschaften geprägt. Wie sehr verändern die pandemiebedingten Reisebeschränkungen gerade den Kulturbetrieb?

Das ganze Ausmaß der Veränderungen lässt sich noch nicht abschätzen. Für die Natur ist es besser, wenn weniger Flugverkehr herrscht. Immerhin etwas Gutes.

Worin liegt der Gewinn interkultureller Zusammenarbeit?

Es findet eine andere Form des Austausches statt. Wir stellen uns Fragen, auf die ein homogenes Ensemble wahrscheinlich nicht käme. Rassismus beispielsweise, auch in seiner subtilen Ausprägung, ist bei uns ein wiederkehrendes Thema. Dabei muss man an Prägungen aus der Kindheit rütteln: In dem Dorf, in dem ich aufwuchs, gab es in der Schule eine Sparbüchse, die in Form und Farbe dem Kopf eines Schwarzafrikaners glich, darin wurden Spenden für die Entwicklungshilfe in Afrika gesammelt. Damals dachte man, auf diese Weise könne man helfen - dabei wurden rassistische Stereotypen vermittelt und eingeübt. Als Kind wollte ich übrigens Missionar werden. Ich stellte sogar einen Gottesbeweis auf.

Verraten Sie uns diesen?

1953, mit sieben Jahren, überlebte ich eine schreckliche Sintflut, die weite Teile der Region, in der ich aufwuchs, verwüstet und viele Menschenleben gefordert hatte. Für mich war es Gottes Wille, dass meine Familie und ich mit dem Leben davongekommen sind.

Später wankte Ihr Glaube?

Ich verstand, wie die Welt beschaffen war, und kam zu dem Schluss, dass Gott nicht existiert. Die Leere empfinde ich bis heute.

Warum inszenieren Sie seit geraumer Zeit buchstäblich einen Shakespeare nach dem anderen, obwohl Sie dies im Lauf Ihrer langen Karriere zuvor kaum taten?

Weil ich erst jetzt dazu fähig bin. Meine frühen Inszenierungen von Shakespeare empfand ich als schwierig - mit den Ergebnissen war ich nicht immer zufrieden.

Und heute?

Ich habe mich inzwischen ausführlich mit Shakespeares Sprache beschäftigt. Auf Englisch klingen seine Verse ganz anders als im Deutschen. Die Dialoge mögen zwar poetisch-blumig formuliert sein, sie gehören jedoch so direkt wie erdig artikuliert. Im Englischen ist das kein Widerspruch, in der deutschen Übersetzung sollte man das aber besonders berücksichtigen, damit die Dialoge nicht gestelzt klingen. Ich suche bei Shakespeare kein virtuoses Illusionstheater, sondern etwas ganz Konkretes.

Was darf man darunter verstehen?

Vor Jahrzehnten inszenierte ich mit Herbert Achternbuschs Stück "Gust": Darin berichtet ein Bauer aus seinem arbeitsreichen Leben und lässt die Weltkriege Revue passieren. Während des gesamten Schauspiels ist er im Begriff, seine Frau Marie zu verlieren, ihr Todeskampf hält ihn aber überhaupt nicht von seinem Monolog ab. Kurz bevor sie tatsächlich stirbt, hält Gust inne und setzt seiner Frau das Gebiss ein, damit diese gewiss sein kann, Zähne im Mund zu haben, bevor die Leichenstarre einsetzt. "Das ist Kunst", lobten damals die urbanen Theaterbesucher. "So ist das Leben", sagten die Menschen vom Land. Zwischen diesen Welten bewegt sich meine Arbeit. Um genau diese Momente geht es mir.

Mit "Hamlet" und "King Lear" inszenierten Sie zuletzt zwei der bekanntesten Shakespeare-Dramen. Warum haben Sie sich für den selten gespielten "Richard II." entschieden?

Mir gefällt es, weil es ein so zerbrechliches Stück ist, introvertiert und dennoch voller Gefühl. Ich verstehe schon, warum es selten gespielt wird: Anders als bei den großen Shakespeare-Dramen entfalten sich hier die Figuren und ihre Konflikte nicht nach und nach - "Richard II." hebt vielmehr mit einem Riesenkonflikt an, dieser steigert sich sogar noch im Lauf der Handlung. Eine Gewalttat löst die andere ab.

Was halten Sie von der Titelfigur?

Richard II. wird mit zehn Jahren zum König gekrönt, darüber definiert er seine Identität; als er schließlich abgesetzt wird, verliert er seine Bestimmung. Das ist unglaublich traurig, aber auch ziemlich interessant.

Warum haben Sie Richards grausamen Gegenspieler mit Sarah Viktoria Frick besetzt?

Frauen haben bei Shakespeare selten tragende Rollen inne, vor allem die Bösewichte werden kaum von Schauspielerinnen gespielt. Ich wollte das einmal umkehren. Hamlet besetzte ich bereits mit Sandra Hüller. In "Richard II." wollte ich die Macht und die Gewalt in die Hände einer Frau legen - wie ich überhaupt finde, dass Frauen mehr an die Macht kommen sollten, wenn auch nicht unbedingt mit Gewalt.