Das war ein böses Erwachen für den Regisseur: Als David Bösch, trotz seiner 33 Jahre um keinen Deut älter wirkend als seine jugendlichen Hauptdarsteller, gestern Abend nach der Premiere von "Romeo und Julia" auf die Burgtheater-Bühne kam, mischten sich in den Jubel, in dem seine Schauspieler zuvor ausgiebig baden durften, kräftige und wütende Buhs. Dabei hatte die aus 2004 stammende Inszenierung doch als sichere Bank gegolten und sich zuvor in Bochum ebenso bewährt wie in Zürich. Was ist da schiefgelaufen?

  Böschs sieben Jahre altes "Romeo und Julia"-Konzept ist keineswegs gealtert - im Gegenteil: Es gibt sich so betont jung und übermütig, dass es stellenweise wie ein Ausflug ins Kindertheater wirkt. "Julia" Yohanna Schwertfeger gickst und kreischt, hüpft und stampft herum, lüpft für ihren Geliebten kurz mal das Kleidchen, trompetet trotzig "Liebe!" und "Happy End!" und kommentiert großäugig den vom Mönch gereichten Schlaftrunk: "Wie Schneewittchen." - "Jugendliche von heute sind nicht so", kommentiert die 13-jährige Tochter des Rezensenten streng. Vielleicht ist das die Quelle des Missvergnügens: am Zielpublikum vorbei und auch das Stammpublikum vergrämt. Shakespeares große Liebestragödie ohne philosophische Tiefbohrung und ganz frei vom Nachdenken über ewige Wahrheiten. Die Liebe - ein Kinderspiel. Darf man das?

  Das darf man - und das geht auch die längste Zeit gut. Dafür sind u.a. der Choreograph der fulminanten Kampfszenen, Klaus Figge, und die beiden Veteranen der Inszenierung, "Mercutio" Fabian Krüger und "Benvolio" André Meyer, verantwortlich. Sie legen ein unglaubliches Tempo vor, eine Schnoddrigkeit (gespielt wird eine gut funktionierende, stark gestrichene deutsche Fassung von Thomas Brasch) und freche Großspurigkeit, die höchst unterhaltsam ist. Dumm nur, dass ausgerechnet der frisch vom Mozarteum engagierte Daniel Sträßer als Romeo der Farbloseste dieser Montague-Gang ist, der sich der stotternd sprechende, aber brillant fechtende Tybald (souverän: Daniel Jesch) furchtlos ganz alleine in den Weg stellt.

  Vermutlich steht Julia, von Schwertfeger als naives, romantisches Girlie angelegt, aber nicht auf Angeber - weswegen sie auch den von ihrem Papa ausgesuchten Graf Paris (schön großspurig: Gerrit Jansen) zurückweist. Mit Romeo aber ist es Liebe auf den ersten Blick. Die erste Begegnung des Paares, die umstandslos in den ersten Kuss mündet, ist als große Oper inszeniert - innig und leidenschaftlich. Die Balkonszene, zu Fuße einer gläsernen Aufzugskabine, die später als gläserner Schneewittchen-Sarg fungieren wird (Bühne: Volker Hintermeier), ist voll Vorfreude auf das Kommende, getrieben von verrückt spielenden Hormonen. Dafür wird die Liebesnacht enttäuschender Weise zum gemeinsamen Herumplanschen in den schon bald nervenden Bassins: Wasserspiele statt Liebesspiel.

  Die Kurve vom aufgeregten Herzrasen der ersten großen Liebe über den Herzschmerz, den das Eingreifen der Erwachsenen verursacht (großartig: Ignaz Kirchner und Petra Morzé als Ehepaar Capulet, ohne Tadel: Branko Samarovski als Bruder Lorenzo, Franz Csencsits als düsterer Prinz und Brigitta Furgler als Amme), bis zum Herzstillstand der Tragödie, diese Kurve kriegt die Inszenierung nicht. Die Taschentücher werden diesmal nicht gebraucht, und der gläserne Aufzug transportiert die Liebenden Richtung Himmel.

  "Fail with consequence, lose with eloquence and smile", heißt es leitmotivisch in dem - von der Band The Notwist stammenden - Song, der immer wieder eingespielt wird. Das gilt auch für den Regisseur, der nach dieser "Gemeinschaftsproduktion des 26-jährigen und des 33-jährigen David Bösch" schon im März mit Ibsens "Gespenster" im Akademietheater eine neue Chance auf neues Glück erhält. Und auch Burg-Direktor Matthias Hartmann könnte es sich zu Herzen nehmen. Ehrenvolles Scheitern bei vollem Risiko wird meist mehr goutiert als das Aufwärmen von Erfolgsrezepten von einst.