Wer denkt schon darüber nach, ob Romeos und Julias Liebe von Dauer gewesen wäre? In David Böschs mitreißender Inszenierung, die auf dem Konzept einer in Bochum (2004) gezeigten Produktion basiert, wird diese Frage immerhin indirekt gestellt, auch wenn das klassische Liebespaar im Schlussbild in den Bühnenhimmel entschwebt.
Bösch rührt in seiner radikal verdichteten Fassung in der sehr heutigen Übersetzung von Thomas Brasch nicht an der Substanz, doch er bringt sie radikal auf den Punkt. Er zeigt die Liebesgeschichte zweier junger Menschen, die von der großen Liebe träumen, ohne eigentlich zu wissen, was sie sich davon erwarten. Eine Geschichte, die heute genau so beginnen könnte wie zu Zeiten der Renaissance in Verona.
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Die drei Freunde aus dem Clan der Montague – Mercutio, Benvolio und Romeo – haben Spaß daran, den zu den Capulets gehörenden, steif einherschreitenden Tybalt (Daniel Jesch) mit Spottliedern und obszönen Gesten zu hänseln, bis dieser schließlich den Degen zückt. Für den in seinem jungenhaften Gefühlsüberschwang überzeugenden Romeo von Daniel Sträßer ist es eine willkommene Ablenkung. Man beschließt, sich auf der Party der Capulets einzuschleichen. Dort geht es hoch her: Der Hausherr - Ignaz Kirchner als bulliger Geschäftsmann – hat für seine Tochter – Yohanna Schwertfeger als mädchenhaft-kokette, dabei emotionsstarke, manchmal etwas piepsige Julia – in Graf Paris den passenden Bräutigam gefunden. Doch Julia kann sich für den arroganten Schnösel (Gerrit Jansen) nicht recht begeistern. Während Paris "Consequence" als "ihr Lied" einspielen lässt, steht sie plötzlich Romeo gegenüber. Der "Coup de foudre" braucht keine Worte. Romeo schreibt, verziert mit Herzchen, "Romeo und Julia" an die schwarze Wand im Hintergrund.
Die Liebenden planen schon für den nächsten Tag eine heimliche Hochzeit: Julia, als Kapital ihres Vaters wohlverwahrt in einem über dem Boden schwebenden Glascontainer (Bühne: Volker Hintermeier), Romeo auf dem Boden der mit einem Wasserbecken versehenen Mehrzweckhalle. Pater Lorenzo (Bruno Samarowski) erklärt sich dazu bereit. Und Julia jubelt "Happyend".
Währenddessen bekämpft Mercutio – hinreißend tragikomisch: Fabian Krüger, der selbst deutlich ein Auge auf Romeo geworfen hat, seinen Kater mit kalten Kompressen, lässt sich von Tybalt provozieren und mit einem Mal wird aus dem bisherigen Slapstick-Spiel Ernst. Tybalt sticht zu und fällt im Kampf mit Romeo. Dem jungen Paar bleibt nur eine Nacht. Der alte Capulet hingegen ringt seiner Tochter mit Brachialgewalt die Zustimmung zur Heirat mit dem Grafen ab; von ihrer Mutter – Petra Morzé als gehorsame, stets ihr Cocktail-Glas umklammernde Society-Lady – keine Hilfe erwarten darf. Es braucht einige Anläufe, bis Yohanna Schwertfeger mutig den ihren Scheintod herbeiführenden Trank schluckt. Doch da die Verbindung mit Romeo – er hat auf Mailbox geschaltet – nicht klappt, bleibt den Liebenden das "Happyend" verwehrt.
David Bösch nimmt die Leidenschaft und die Unbedingtheit der Emotionen ebenso ernst, wie er auf der anderen Seite überbordende, drastische Komik, wo auch gekotzt und gekalauert werden darf, gekonnt ausspielen lässt und, ohne in Kitsch zu verfallen, mit Szenen stiller Poesie zu berühren versteht. Das Resultat: ein großer Burgtheaterabend, Musterbeispiel einer zeitgemäßen Klassiker-Annäherung.