Seit Jahrhunderten wird an der Autorenschaft von Shakespeare gezweifelt. Es wäre eine Untersuchung wert, wie diese von so wenigen Fachleuten geteilte Meinung überhaupt so eine große Verbreitung finden konnte. Innerhalb der universitären Shakespeare-Forschung hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass Zweifel an der Urheberschaft jeder Grundlage entbehren. Aber offenbar haftet der These, Shakespeares Werk stamme von jemand anderem, irgendetwas Faszinierendes an. Der Dichter scheint eine ideale Projektionsfläche für Verschwörungstheorien abzugeben. Die ersten Zweifel wurden bereits zu Lebzeiten Shakespeares laut, im Geniekult des ausgehenden 19. Jahrhunderts erlebte die Urheberdiskussion ihren kruden Höhepunkt, mehr als 50 mögliche Autoren waren im Umlauf. Gegenwärtig wird die Debatte vornehmlich von Hobby-Detektiven und Autoren außerhalb akademischer Institutionen gepflegt. Nun könnte die überflüssig anmutende Diskussion erneut aufflammen: Der deutsche Hollywood-Regisseur Roland Emmerich verhilft in seinem jüngsten Film "Anonymus" den Oxfordianern zu neuer Popularität. Die Oxford-These, 1920 von Thomas Looney ins Spiel gebracht, schreibt die Stücke Shakespeares einem gewissen Edward de Vere zu, dem 17. Earl of Oxford. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts fand die Oxford-Legende prominente Befürworter wie Sigmund Freud. Vielleicht gelingt nun dem Film, was der Wissenschaft in mehrfachen Widerlegungen nicht gelungen ist: die Oxfordianer ins Reich der Fiktion zu verbannen.
