"Euer Bruder Gloster / Euch der-stechen lost er". Für diesen Reim hätten Georg Kreisler und Karl Farkas den Schauspieler, Playwright und Impresario Michael Niavarani geküsst. Keine reine Zeile bleibt ungebrochen, kein menschlicher Drang ausgespart, keine Grobheit ausgelassen in der scharf gespitzten und doch recht menschenfreundlichen Shakespeare-Persiflage "Die unglaubliche Tragödie von Richard III".
In einer ehemaligen Halle des Schlachthofs St. Marx an der Karl-Farkas-Straße steht ein hölzernes Bühnengerüst nach dem Vorbild des "Globe". Alles ist da: vor der Tribüne der ebene "yard", wo in London um 1600 das ärmste Volk, genannt "Gründlinge", billig seinen Spaß fand; die Vorderbühne mit "the hell" (Versenkung); die Bühnenfront mit drei Türen; der von zwei Säulen getragene Baldachin, genannt "the haven", blau und mit goldenen Sternchen bemalt; die offene Galerie, wo eine Renaissance-Combo Platz hat. Das alles bliebe akademische Rekonstruktion - belebte nicht der gebürtige Iraner Niavarani einen Strang der Theatergeschichte wieder, der weit zurückführt zu den derben Kapriolen der Volkskomödiantik. So köstlich penetrant wurde schon lange nicht die Ungeniertheit vorgeführt, mit der das elisabethanische Berufstheater dem Affen Publikum, von dem es lebte, Zucker gibt. Shakespeare & Co. waren keine Poesieanstalt, sondern ein Erwerbsmodell.
Shakespeare und Kleinkunst
Niavarani und sein Partner Bernhard Murg greifen auf das Kleinkunstmuster der Doppelconférence zurück. Zumeist im tiefsten Wiener Dialekt, manchmal auch im Farkas-Waldbrunn-Ton. Als Schuster "William Forrest" und Koch "Frederick Dighton" reißen sie das letzte der Königdramen an sich. Die Höfischen tragen Renaissancekostüme, sprechen Schlegel-Deutsch - Manuel Witting (Buckingham) so feurig wie ein Schauspielschulenheld. Dighton und Forrest heißen bei Shakespeare die zwei ärgsten Mordbuben. Der blutige Richard erzählt, wie sie auf seinen Befehl die zwei Prinzenkinder nächtens in Tower metzelten. Sie treten als Mitspieler nicht auf, wohl aber im "Globe Wien": Als Strotter von der Landstraße und Handlanger der jeweils Siegreichen in den Rosenkriegen von Lancaster gegen York wollen sie Geld verdienen, um von der Bürgerkriegsinsel zu fliehen.
Ein sozialer Aufstieg, angezeigt mit Proletenkittel, Knappenuniform, Doktortalar, Hofhabit, Herzogshut. Die armen Schlucker steigen auf zu Menschlichkeit, Humanität. Trotz aller Skepsis gegenüber den Hierarchien zeigen sie Gottesfurcht, trotz allem Brunftgehaben die Sehnsucht nach Liebe. Patschert sabotieren sie die bestellten Mordtaten. Eines ihrer Opfer läuft selber ins Schwert. "Hoppala, ein Irrtum", sagt da Forrest. Dank ihrer Hilfe überleben Königin Anne und die Buben von König Edward. Richard - Michael Pink in perfekter Schauermaske - schließt die satirisch überzeichnete Historie mit seinem Tod im Felde.
Die "fäkalische Sphäre"
Ein Wiener Universitätstheatrologe schrieb vor fünfzig Jahren über das Theater der Shakespearezeit: "Es drohte immer mehr in die erotische und weiter in die fäkalische Sphäre abzugleiten." Da hatte er wohl recht. Seit wenigstens sechs Generationen kam Shakespeare durch die Vermittlung der bürgerlichen Romantiker auf die deutschen Bühnen. In einem vom Sittlichkeitsideal getragenen Rahmen, den leicht schon der Rabauke Sir John Falstaff ins Wackeln bringt.
Staub der Geschichte: Das Unternehmen "Globe Wien" wirbelt ihn mit humoristischer Kraft auf. Das kabaretterprobte Tippler-Duo Niarvarani/Murg heizt dem Publikum auf den billigen wie teuren Plätzen ein. Mit drei Stunden etwas zu lang. Viki Schubert (Regie) hätte die Pointenschleuderer da und dort bremsen sollen.
Dass eine Pauschalschmähung unseres politischen Berufstheaters mit dem heftigsten Szenenapplaus bedankt wird, sollte dortamts zu denken geben. Auch Unternehmen wie "The Globe" oder "The Swan" dienten - bisweilen obrigkeitsgenehm - dem Dampfablassen.