"Nothing that is so, is so." Dieser Satz wurde 1602 zu Papier gebracht. Von einem 38-Jährigen, der als Schauspieler und vor allem als Dramatiker das Londoner Theater aus den Angeln hob. Er kam aus einer Provinzstadt, ohne Vermögen, ohne familiäre Verbindungen, nur mit geringer Schulbildung und erlebte eine Traumkarriere: Er wurde der bedeutendste Dichter nicht nur seiner Zeit, sondern aller Zeiten.

Er verfasste an die 36 Dramen, bis heute gehören sie zu den meistaufgeführten und -verfilmten Bühnenwerken der Welt. Kein Autor erzielte dermaßen hohe Verkaufszahlen. Schätzungen zufolge wurden seine Werke etwa vier Milliarden Mal verkauft. William Shakespeare ist ein Mann der Superlative. Die Forschung zu seinem Leben und Werk ist unüberschaubar. Allein der eingangs zitierten knappen Sentenz "nothing that is so, is so" wurden eingehende Analysen gewidmet. Der Geisteswissenschafter Rainer Lengeler bezeichnete diese Formulierung rund um Sein und Schein etwa als Shakespeares "Relativitätsformel".
Am 23. April jährt sich der Todestag des britischen Dichters zum 400. Mal. Anlass, um sich erneut mit dem Phänomen Shakespeare auseinanderzusetzen. Was macht sein Werk einzigartig?
Kulturelles Gedächtnis
Seine Dramen seien für das moderne Europa so grundlegend, wie es die griechischen Mythen seinerzeit für die Antike gewesen seien, meinte der Anglist Dietrich Schwanitz. Aus Shakespeares Figuren und Erzählungen gewinne unsere "Kultur die Bilder für ihre Selbstbeschreibung", sie seien "unser kulturelles Gedächtnis". Romeo und Julia sind zum Synonym für die große Liebe geworden, Lear ist die Blaupause für einen greisen Narren und Hamlet der traurige Rebell. Wie konnte Shakespeare diese Strahlkraft entfalten? Das lässt sich nicht eindeutig beantworten. Aber Umstände, die seine Dichtkunst befördert haben, kann man an seiner Epoche festmachen.
Das 16. Jahrhundert markiert den Beginn der englischen Renaissance. Das Land war nach den Rosenkriegen komplett verwüstet, der Hochadel dezimiert, es herrschten Not und Elend. Die Bevölkerung wurde von der Pest heimgesucht. England war, verglichen mit dem Kontinent, rückständig und verarmt. Gleichzeitig wurde das Land unter Königin Elisabeth I. von einer Aufbruchstimmung erfasst: Die Wirtschaft wurde wieder belebt, England stieg zur Seemacht auf, das Bürgertum wurde gestärkt und eine beispiellose kulturelle Aufholjagd setzte ein. Zu Shakespeares Lebzeiten überlagerten sich Mittelalter und Neuzeit. Der Widerstreit zwischen Alt und Neu, der Bruch zwischen mittelalterlicher Weltordnung und neuzeitlicher Aufklärung zieht sich durch sein Gesamtwerk. Aus diesem Grundgefühl, sich gleichsam zwischen den Epochen zu befinden, nährten sich wohl Shakespeares ambivalente Weltsicht und seine brüchigen Wertmaßstäbe. Das mag ihn dazu befähigt haben, sich in Täter und Opfer gleichermaßen einzufühlen, ihre Empfindungen sprachmächtig und glaubwürdig auszudrücken.
In den antiken Tragödien werden die Helden noch vom Schicksal oder den Göttern herausgefordert, Shakespeare verlegt die Konflikte indes ins Innenleben der Figuren. Damals eine Novität. Seine Helden werden stets Opfer ihrer Leidenschaften - bei Othello ist es Eifersucht, Macbeth wird von Ehrgeiz zerfressen und um Rache geht es im "Kaufmann von Venedig". Bis heute geben diese Figuren aus einem universalen Oeuvre Rätsel auf, bringen das Publikum zum Weinen und zum Lachen.
Theater-Boom
Wie konnte ein einfacher Mann von geringer Schulbildung diese klugen Texte schreiben und so tief in die Psyche schauen? Diese Frage treibt die Zweifler an Shakespeares Autorenschaft um. Wäre Shakespeare, wie gern behauptet wird, tatsächlich nur ein Strohmann gewesen, müsste es sich um eine gigantische Verschwörung gehandelt haben. Es ist es mehr als erstaunlich, dass über die Jahrhunderte hinweg nichts dergleichen bekannt wurde, bis zu dem Zeitpunkt, an dem sich die ersten Hobbydetektive mit wüsten Spekulationen der Sache annahmen.
Warum ist es so schwer zu glauben, dass sich ein talentierter Schauspieler und Autor als ehrgeiziger, hart arbeitender Unternehmer in Londons boomender Theaterlandschaft als Autodidakt behaupten und entfalten konnte? Das Theater war zu Shakespeares Zeiten die Kunstform Nummer eins, hier ließ sich das große Geld machen. Nie zuvor und niemehr danach gab es in London so viele Bühnen und begabte Dramatiker auf so engem Raum.
Das Besondere am Londoner Theaterleben war die soziale Durchmischung des Publikums. Für die Dramatiker bedeutete dies, dass sie etwas für alle Schichten bieten mussten. Shakespeares Dramen legen davon beredtes Zeugnis ab: Spannung für die Unterschicht, Poesie für die Oberschicht, Moral für die Mittelschicht. Vom König über Kaufleute bis zum Narren, kommen bei ihm Menschen aus sämtlichen Lebensbereichen zu Wort - und sprechen wie nebenher Sätze von ewiger Gültigkeit: "Nothing that is so, is so."
Programmtipps:
Im Österreichischen Theatermuseum gastiert die britische Regisseurin Katie Mitchell mit ihrer Video-Installation "Five Truth" (von 21. April bis 31. Oktober). In der Hommage setzt sie sich mit "Hamlet" auseinander und zeigt, wie Regisseure von Stanislawski über Brecht bis zu Peter Brook Ophelias Sterbeszene auf der Bühne umsetzten.