Frei und selbstbestimmt: So soll man laut dem seit Samstag vorliegenden Entwurf zum Sterbeverfügungsgesetz künftig über den eigenen Tod entscheiden können - und zwar per Sterbeverfügung, mit der man ein letales Präparat von der Apotheke holen kann, das man dann selbst einnimmt. In diesem Punkt folgt das Gesetz dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) vom Dezember des Vorjahres: Mit Wirksamkeit 1. Jänner 2022 hat dieser die Strafbarkeit der "Mitwirkung am Selbstmord" (Paragraf 78 im Strafgesetzbuch) aufgehoben.

Wo der Gesetzesentwurf den Kreis der Betroffenen, die volljährig sein müssen, aber um einiges enger als der VfGH zieht, ist bei den Voraussetzungen für die Errichtung einer Sterbeverfügung: Man muss "an einer unheilbaren, zum Tod führenden Krankheit" oder "an einer schweren, dauerhaften Krankheit mit anhaltenden Symptomen" leiden, "deren Folgen die betroffene Person in ihrer gesamten Lebensführung dauerhaft beeinträchtigen; wobei die Krankheit einen [. . .] nicht anders abwendbaren Leidenszustand mit sich bringt", ist zu lesen. Im Entwurf ist zudem nur von Krankheit die Rede und nicht von einem Unfall oder einer angeborenen Beeinträchtigung. Ist man nicht mehr in der Lage, das letale Präparat zu schlucken oder die Sonde zu öffnen, kann die Mitwirkung am Suizid nicht vollzogen werden. Der VfGH hatte indes lediglich befunden: "Beruht die Entscheidung zur Selbsttötung auf der freien Selbstbestimmung des Betroffenen, so ist dies vom Gesetzgeber zu respektieren."

Ärzte und Apotheker müssen nicht am Suizid mitwirken

Hier, bei dieser engen Definition, wird es also schwierig, und ein de facto Sterbehilfeverbot könnte die Folge sein. Denn: Zwei Ärzte, einer von diesen mit palliativmedizinischer Qualifikation, haben nicht nur die Schwere der Krankheit zu bestätigen, sondern auch, dass die sterbewillige Person entscheidungsfähig ist und (frühestens zwölf Wochen nach entsprechender Aufklärung) eine Sterbeverfügung errichtet werden kann - die Ärzte müssen das aber nicht tun. Genauso, wie die Apotheker das letale Präparat nicht abgeben müssen, können auch Ärzte die Mitwirkung am Suizid verweigern.

Den Apotheken komme lediglich eine Kontrollfunktion zu, ob eine gültige Sterbeverfügung vorliegt, heißt es dazu von der Apothekerkammer auf Nachfrage. Das heißt, ob es überhaupt zu einer Sterbeverfügung durch den Notar oder Patientenanwalt kommt, steht und fällt mit der Entscheidung der Ärzte.

Gibt es Zweifel an der Entscheidungsfähigkeit des oder der Sterbewilligen, etwa bei Demenzkranken, ist zwar ein nächster Schritt vorgesehen, und ein Psychiater oder ein Psychologe soll über diese befinden. Allein dieser Passus verdeutlicht aber schon, dass die Frage der Gewissheit eine komplexe ist. Medizin basiert nicht auf dem Auseinanderdividieren knallharter Daten. Hier die richtige Grenze zu ziehen, ist schwierig.

Dazu kommt, dass eine aus Sicht der Angehörigen falsche Entscheidung des Arztes für diesen zu rechtlichen Konsequenzen führen könnte. Und zwar im Sinne des Straftatbestandes der aktiven Sterbehilfe (§ 77 StGB Tötung auf Verlangen), den der VfGH nicht aufgehoben hat: Er wird mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Der Strafrechtsexperte Alois Birklbauer von der Johannes-Kepler-Universität Linz geht davon aus, dass es zu Anzeigen und Strafrechtsverfahren in diese Richtung kommen wird - eventuell schließen sich auch Angehörige mit einer Schmerzengeldforderung aufgrund der erlittenen Trauer an. Es werde sich erst zeigen, wie die Gerichte hier agieren werden. "Vertrauen sie den Ärzten, oder wollen sie vor Missbrauch schützen?", so Birklbauer im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "Wir wissen es nicht."

Regelung könnte gegen VfGH-Erkenntnis verstoßen

Das könnte zur Folge haben, dass sich angesichts der rechtlichen Grauzonen gar kein Arzt mehr für die Sterbeverfügung findet. Oder, dass die entsprechenden Kriterien für Krankheit und Entscheidungsfähigkeit extrem eng gefasst werden, um auf einer relativ sicheren Seite zu sein. Dann, sagt Birklbauer, könnte angefochten werden, dass die gesamte Regelung im Strafgesetzbuch dagegen verstößt, dass Sterbewillige laut VfGH das Recht darauf haben, die Hilfe eines Dritten in Anspruch zu nehmen. Der VfGH werde sich jedenfalls auch in Zukunft weiter mit dem Thema befassen müssen.

Davon ist auch der auf Medizinrecht spezialisierte Verfassungsrechtler Karl Stöger von der Universität Wien überzeugt. Juristisch sei klar, dass Ärzte im Sinne ihrer verfassungsrechtlich verankerten Individualrechte wie der Glaubens- und Gewissensfreiheit nicht gezwungen werden können, Leben zu beenden anstatt es zu retten. Auch in Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention ist die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit jedes Einzelnen verankert.

"Es ist dasselbe wie bei den Schwangerschaftsabbrüchen", sagt Stöger. Einige Ärzte respektive Kliniken bieten diese an, andere nicht. Im Westen Österreichs finden sich zum Beispiel weniger Adressen als im Osten. Die Wiener Ordensspitäler haben bereits bezweifelt, ob in ihren Krankenhäusern Sterbehilfe stattfinden kann. Als christliche Einrichtungen seien sie dem Lebensschutz verpflichtet, hieß es. Dass es flächendeckend Ärzte geben wird, die eine Sterbeverfügung ermöglichen, hält Stöger daher für ausgeschlossen. Auch Ärztekammer-Präsident Thomas Szekeres lobt im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" die im Entwurf vorgesehene Freiwilligkeit für die Ärzteschaft. Dass eine restriktive Lösung gewählt worden sei, sei gut.

Chance für gemeinnützige Sterbehilfe-Vereine

Für Sterbehilfe-Vereine, solange sie gemeinnützig sind, sieht Strafrechtsexperte Birklbauer indes schon eher eine Chance. Denn: Der Entwurf sieht nur ein Werbeverbot und das Verbot wirtschaftlicher Vorteile vor, das seien aber keine Organisationsverbote, sagt er. "Man darf auch auf das Angebot hinweisen, nur eben nicht werben."

Bereits 2014 wollte die Initiative "Religion ist Privatsache" den "Letzte Hilfe – Verein für ein selbstbestimmtes Sterben" gründen, also noch zu einer Zeit, als die Mitwirkung am Suizid strafbar war. Der Fall landete nach der behördlichen Untersagung der Gründung durch das Verwaltungsgericht für Wien vor dem VfGH. Dieser bestätigte 2016 das Verbot: mit der Begründung, dass der Verein der Strafbarkeit der Mitwirkung am Suizid entgegenstünde. Diese fällt nun. Verstößt man gegen das Werbeverbot, bewegt man sich zudem nur im verwaltungsrechtlichen Bereich: Eine Übertretung ist laut Entwurf mit bis zu 30.000 Euro und im Wiederholungsfall mit bis zu 60.000 Euro zu bestrafen. In Deutschland wiederum hat im Februar des Vorjahres das Bundesverfassungsgericht das 2015 eingeführte Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe aufgehoben.

Für Eva Katharina Masel, interimistische Leiterin der Klinischen Abteilung für Palliativmedizin an der MedUni Wien, droht daher von dieser Seite eine Entwicklung in die falsche Richtung. Denn das Werbeverbot in Österreich hält sie für zahnlos. "Wenn man einen Sterbehilfe-Verein zum Beispiel neben dem größten Pflegeheim der Umgebung platziert, macht man indirekt auch Werbung", sagt sie. Und dann, so fürchtet sie, könnte man letztendlich immer vor der Weggabelung stehen, ob man sich für eine palliative Betreuung entscheidet - oder für Sterbehilfe.

"Menschen auf Palliativstation wollen nicht mehr sterben"

Was die Ärzte betrifft, die den Weg zur Sterbeverfügung ebnen sollen, ist aber auch Masel skeptisch, inwieweit das gehandhabt werden soll. Allein dadurch, dass einer der zwei Ärzte, die den Sterbewilligen aufklären sollen, laut Entwurf "eine palliativmedizinische Qualifikation" aufweisen muss, gerate dieser in einen Interessenkonflikt schlechthin. Denn für einen Palliativmediziner sei "immer das Leben das Ziel". Zudem werde diese "palliativmedizinische Qualifikation" nicht näher erläutert. "Ist damit das Diplom der Österreichischen Ärztekammer oder die Spezialisierung in Palliativmedizin gemeint", fragt Masel, "oder etwas anderes?"

Die Grenze zu ziehen, wann eine Krankheit tatsächlich zum Tod führt, sei nahezu unmöglich, sagt die Palliativmedizinerin. Manche leben nach der Diagnose einer "unheilbaren, zum Tod führenden Krankheit" noch Jahre - andere nicht. Lediglich bei Krebserkrankungen sei relativ gut absehbar, ob diese heilbar sind oder nicht. Aber auch nicht immer. "Jemanden zum Sterben freizugeben, ist eine Grenzüberschreitung", meint daher Masel. Hier die richtige Prognose hinsichtlich einer Sterbeverfügung zu stellen, wäre ein intensiver Prozess, der Zeit benötigt.

"Meine Erfahrung ist außerdem, dass die Menschen, sobald sie auf der Palliativstation sind, nicht mehr sterben wollen. Sie wollen jede mögliche Therapie versuchen, um zu leben", sagt Masel. Es sei immer der Leidensdruck, der den Tod vor Augen rücke, oder eben nicht, wenn die Symptome gelindert werden.

Dass der Hospiz- und Palliativversorgung ein hoher Stellenwert zukommen soll, wird auch im Entwurf zum Sterbeverfügungsgesetz berücksichtigt. Demnach soll diese ausgebaut und ein eigener Fonds errichtet werden. Ab 2022 stellt der Bund den Ländern jährlich einen Zweckzuschuss zur Verfügung, vorgesehen ist eine Drittelfinanzierung durch Bund, Länder und Gemeinden. 2021 soll es vom Bund 21 Millionen Euro geben, 2023 dann 36 Millionen und im Jahr darauf 51 Millionen Euro. Aktuell gibt es laut Regierungsinformationen seitens des Bundes sechs Millionen Euro Drittelfinanzierung pro Jahr.