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Sterbehilfe ohne Helfer

Von Petra Tempfer

Sterbehilfe
Finden sich keine Helfer, ist ein De-facto-Sterbehilfeverbot die Folge.
© adobe.stock / Laz’e-Pete

Der assistierte Suizid ist zwar erlaubt, aber bis jetzt nicht möglich: Es fand sich noch kein Palliativmediziner dafür.


Mit Beginn dieses Jahres ist in Österreich die Beihilfe zum Suizid schwer kranker oder schwer leidender Erwachsener erlaubt. Was läge da näher, als dass nun zuallererst einer jener vier Beschwerdeführer, die im Dezember 2020 das Erkenntnis vor dem Verfassungsgerichtshof erwirkt haben, diese in Anspruch nehmen will. Und somit eine Sterbeverfügung errichten lässt, die laut Sterbeverfügungsgesetz, das ebenfalls mit diesem Jahr in Kraft getreten ist, die Voraussetzung dafür ist. Nun, sie würden ja gerne - aber sie können nicht.

Denn nicht nur Nikola Göttling, die an Multipler Sklerose erkrankt und daher vor den Verfassungsgerichtshof (VfGH) gegangen ist, sondern auch einige weitere Suizidwillige finden keinen Palliativmediziner, der das Aufklärungsgespräch - die Voraussetzung für die Sterbeverfügung - mit ihnen führt. Laut Gesetz müssen ein Palliativmediziner und ein weiterer Arzt ohne näher definierte Fachausbildung den Suizidwilligen aufklären, damit nach einer Frist von drei Monaten ein Notar die Sterbeverfügung errichten kann. Mit dieser erhält man das tödliche Präparat von der Apotheke. "Es haben sich generell noch nicht viele Suizidwillige bei uns gemeldet, aber sie alle haben größte Probleme", heißt es dazu von der österreichischen Gesellschaft für ein humanes Lebensende, die die Beschwerdeführer vor dem VfGH unterstützt hat, auf Nachfrage der "Wiener Zeitung". "Kein Palliativmediziner und auch kein Notar sind dazu bereit."

Denn weder Ärzte noch Notar oder Apotheker sind dazu verpflichtet, beim Suizid zu assistieren. Und dass einer der zwei Ärzte, die den Sterbewilligen aufklären müssen, eine palliativmedizinische Qualifikation aufweisen muss, sei ein Interessenkonflikt schlechthin, sagt Eva Katharina Masel, Leiterin der Klinischen Abteilung für Palliativmedizin an der MedUni Wien. Für einen Palliativmediziner sei nämlich "immer das Leben das Ziel". Ärztekammer-Präsident Thomas Szekeres lobt generell die Freiwilligkeit für die Ärzteschaft: Dass eine restriktive Lösung gewählt worden sei, sei gut - er sei dennoch zuversichtlich, dass sich für den assistierten Suizid genug Ärzte finden, meint er. Eine Liste mit den Namen jener Ärzte, die bereit sind, am Suizid mitzuwirken, gibt es aber noch nicht.

"Nachfrage bestimmt den Preis"

Finden sich keine, wäre ein De-facto-Sterbehilfeverbot die Folge. Dieses stünde auch nicht im Widerspruch zum VfGH-Erkenntnis, meint Alois
Birklbauer, Leiter der Abteilung für Praxis der Strafrechtswissenschaften und Medizinstrafrecht an der Johannes Kepler Universität Linz. "Das Recht auf den assistierten Suizid hat der VfGH darauf bezogen, die Unterstützung des dazu bereiten Dritten in Anspruch zu nehmen. Wenn es diesen nicht gibt, gibt es keine Verpflichtung des Staates, dieses Angebot zu stellen", sagt er.

Doch selbst, falls sich Ärzte, Apotheker und Notare finden sollten, gibt es laut Birklbauer ein weiteres Problem: "Durch diese Gewissensfreiheit für jeden Einzelnen, die ja grundsätzlich gut ist, eröffne ich den Markt für ein Angebot und treibe zugleich die Preise in die Höhe", sagt er. Denn weder für die Ärzte, die das Aufklärungsgespräch führen, noch für die Notare, die die Sterbeverfügung aufsetzen, gibt es feste Tarife. "Insofern wird die Nachfrage den Preis bestimmen und damit der assistierte Suizid in gewisser Weise eine soziale Dimension bekommen, weil sie sich nicht jeder leisten kann." Damit würde sich zu den Zeiten vor 2022, als Suizidwillige für den assistierten Suizid in die Schweiz gefahren sind, was ebenfalls nicht billig war, nicht viel ändern.

Vorsichtigen Schätzungen des Justizministeriums zufolge könnte die Gesamtsumme für einen assistierten Suizid in Österreich bei etwa 3.000 Euro liegen. Vom Dachverband der österreichischen Sozialversicherungen hieß es bereits dazu: "Aus Sicht der Sozialversicherung ist festzuhalten, dass im System und nach dem Selbstverständnis der Sozialversicherung lediglich die Kosten einer Krankenbehandlung getragen werden. Die im Zuge der Errichtung der Sterbeverfügung notwendige ärztliche Aufklärung und allenfalls erforderliche begleitende Maßnahmen stellen keine Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherung dar. Diesbezügliche vertragliche Regelungen zur Kostentragung durch die Sozialversicherung sind somit ausgeschlossen."

Gleichheitssatz verlangt Lösung

Verfassungs- und Medizinrechtler Karl Stöger von der Universität Wien hält allerdings auch die Kostenfrage für "verfassungsrechtlich nicht bedenklich". "Wenn diese Kosten nicht das Ergebnis überdurchschnittlich hoher Anforderungen sind, dann sehe ich keine staatliche Leistungspflicht", sagt er, "ähnlich wie beim Schwangerschaftsabbruch." Es gehe vielmehr darum, den selbstbestimmten, freien Willen zu schützen - um die entsprechende Lösung müssten sich die Betroffenen selbst kümmern.

"Die Sozialversicherungskosten sind Kosten für die Gesellschaft, das hat mit der Sterbeverfügung nichts zu tun", sagt auch Verfassungsjurist Christoph Bezemek von der Universität Graz. Er lenkt allerdings ein: "Mit dem bloßen Aus-der-Welt-Schaffen der Strafbarkeit der Mitwirkung am Suizid ist es nicht getan. Der Gleichheitssatz verlangt auch eine sachliche Lösung dafür." Der Gleichheitssatz des Bundes-Verfassungsgesetzes stehe somit dem großen Maß an Autonomie entgegen, das der VfGH mit seiner Rechtsprechung verlangt, sobald sich finanzielle Hürden auftun, denen man nicht gerecht werden kann. Indem laut Sterbeverfügungsgesetz auch die Patientenvertretung und nicht zwingend ein Notar die Sterbeverfügung errichten kann, hatte zumindest der Gesetzgeber anschließend ein Auge auf die Kostenfrage, so Bezemek.

Sterbehilfeverein rückt in Fokus

Und dennoch rückt allein schon aufgrund der Schwierigkeit, Ärzte für das Aufklärungsgespräch zu finden, der Sterbehilfeverein als plausible Anlaufstelle für Suizidwillige zunehmend in den Fokus. Solange dieser gemeinnützig ist, sieht Strafrechtsexperte Birklbauer für ihn eine Chance. Denn der Entwurf sieht zwar ein Werbeverbot und das Verbot wirtschaftlicher Vorteile vor, "das sind aber keine Organisationsverbote", sagt er. "Man darf auch auf das Angebot hinweisen, nur eben nicht werben." Der Gesetzgeber habe in letzter Minute auch noch die Bestimmungen entschärft und für zulässig erklärt, dass eine Namensliste jener Ärzte, die bereit sind, am Suizid mitzuwirken, im Internet abrufbar ist. Zuvor hätte der Arzt nur auf seiner eigenen Homepage darauf hinweisen dürfen.

Der Schweizer Sterbehilfeverein Dignitas, der die Individualanträge der Beschwerdeführer vor dem VfGH in Österreich initiiert hatte, stehe jedenfalls bereits im Austausch mit der österreichischen Gesellschaft für ein humanes Lebensende (ÖGHL), "die im Rahmen der Rechtslage Anfragen von Österreicherinnen und Österreichern beantwortet", so Dignitas auf Nachfrage. Die ÖGHL selbst habe ein Gutachten in Auftrag gegeben, heißt es wiederum von dieser, um zu klären, wo genau Information endet und Werbung beginnt - also "was man darf und was nicht".

In Österreich einen Sterbehilfeverein zu verbieten sei nicht möglich, meint der Wiener Anwalt Wolfram Proksch, der die Beschwerdeführer vor dem VfGH vertrat und Mitglied der ÖGHL ist. Denn: Bereits 2014 wollte die Initiative "Religion ist Privatsache" den "Letzte Hilfe - Verein für ein selbstbestimmtes Sterben" gründen, der Fall landete vor dem VfGH. Dieser bestätigte 2016 das Verbot - mit der Begründung, dass der Verein der Strafbarkeit der Mitwirkung am Suizid entgegenstünde. "Nun kann man damit nicht mehr argumentieren", sagt Proksch, "denn diese ist gefallen."

Beihilfe zum Suizid ist in der Schweiz, Kanada, einigen Bundesstaaten der USA und Australiens, Kolumbien, geschäftsmäßig in Deutschland und seit 2022 in Österreich straffrei.

Aktive Sterbehilfe ist in den Niederlanden, Luxemburg, Belgien und Spanien legal. In Österreich ist sie nach wie vor verboten.

Passive Sterbehilfe, also das medizinisch begleitete Sterbenlassen etwa durch den Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen entsprechend dem Patientenwillen, ist in Österreich erlaubt. Dem natürlichen Sterbeprozess wird dabei sein Lauf gelassen.

Hilfe bei Suizidgedanken:

www.suizid-praevention.gv.at