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"In dubio pro vita" als oberstes Gebot

Von Katharina Schmidt

Sterbehilfe

Patientenwille hat Vorrang - wenn er feststellbar ist. | Vier Prozent der Bevölkerung haben Patientenverfügung.


Wien. Die einen nennen es "Euthanasie", die anderen "selbstbestimmtes Sterben". Kaum ein Thema wird so emotional diskutiert wie die Sterbehilfe.

In Deutschland sorgt nun ein höchstgerichtliches Urteil zumindest auf rechtlicher Ebene für Sicherheit. Vergangene Woche hat der Bundesgerichtshof in Karlsruhe einem Anwalt Recht gegeben, der in erster Instanz wegen versuchten Totschlags verurteilt worden war. Er hatte seiner Mandantin geraten, den Schlauch für die Magensonde ihrer Mutter durchzuschneiden. Diese war seit Jahren ohne Chance auf Besserung im Koma gelegen, das Heim stellte aber die künstliche Ernährung nicht ein - trotz gegenteiliger Patientenverfügung.

Heiner Melching, Geschäftsführer der deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, begrüßt das Urteil - "alles andere wäre eine Katastrophe gewesen". Denn damit ist sichergestellt, dass der Wille des Patienten Vorrang haben muss. "Jeder Eingriff, der nicht gewünscht ist, ist Körperverletzung", sagt Melching.

Dass es überhaupt zu einem höchstrichterlichen Spruch kommen musste, liegt laut dem Vorstand des Wiener Instituts für Ethik und Recht in der Medizin, Ulrich Körtner, an den "Schwächen der deutschen Gesetzgebung", was Patientenverfügungen betrifft. Diese seien "Mogelpackungen", weil sie zwar theoretisch verbindlich, aber nicht juristisch bescheinigt sind.

In Österreich ist das anders: Hier wird zwischen verbindlicher und beachtlicher Verfügung unterschieden. Damit eine Patientenverfügung verbindlich ist, muss sich der Patient medizinisch und juristisch beraten lassen. Ein Arzt muss ihm die Einsichts- und Urteilsfähigkeit attestieren, dazu ist eine Bestätigung beim Notar, Anwalt oder der Patientenanwaltschaft nötig. Die Verfügung muss alle fünf Jahre erneuert werden. Sind alle Voraussetzungen erfüllt, ist der Arzt auch daran gebunden.

Wenn ein oder mehrere Kriterien nicht erfüllt sind, spricht man von einer beachtlichen Verfügung. Daran muss sich der Arzt nicht halten, er muss aber begründen, warum er dies nicht tut.

Gibt es keine Patientenverfügung, so kann der Arzt versuchen, mit Hilfe der Aussagen von Hausarzt, Freunden und Verwandten den mutmaßlichen Willen des Patienten, der sich nicht selbst äußern kann, herauszufinden. Wenn sie glaubhaft machen können, dass der Patient etwa keine Magensonde wünscht, kann sich der Arzt daran halten.

Patientenwille: DasDilemma des Arztes

Und "hier wird die Suppe ganz dünn", sagt der Präsident der Österreichischen Palliativgesellschaft, Herbert Watzke. Denn aus den Aussagen des Patientenumfelds muss sich ein "uniformes, nachvollziehbares Bild" ergeben. Andernfalls gilt, wie auch der Oberste Gerichtshof festgestellt hat, das Prinzip "in dubio pro vita" ("im Zweifel für das Leben"). Der Arzt muss demnach seinem "normalen ärztlichen Heil auftrag" nachkommen - er kann nur dann die Behandlung abbrechen, wenn er weiß, dass sie sinnlos ist. Aber "Sinnlosigkeit hat viele Dimensionen", betont Watzke.

Er sieht eine sogenannte Vorsorgevollmacht als das beste Mittel an, für den Fall der Fälle gerüstet zu sein. Diese Möglichkeit, bei Notar, Anwalt oder Gericht eine Person zu bestimmen, die auch in medizinischen Fragen die Entscheidungen fällt, wenn man selbst nicht mehr dazu in der Lage ist, besteht seit 2007. Im Gegensatz zur Patientenverfügung müssen bei der Vorsorgevollmacht nicht alle medizinischen Maßnahmen im Detail aufgelistet sein.

Der Theologe Ulrich Körtner hält das österreichische Patientenverfügungsgesetz für klarer als die deutsche Regelung, einzig in der Umsetzung sieht er Handlungsbedarf. So müsse die Kommunikation zwischen Arzt und Patient verbessert werden, auch müssten Spitalsträger und Ärztekammer bei der Aus- und Fortbildung des medizinischen Personals mehr Wert auf den Patientenwillen legen. Auch der Bekanntheitsgrad der Patientenverfügung lasse noch zu wünschen übrig. Denn immerhin haben derzeit nur vier Prozent der Österreicher eine solche abgeschlossen.

Behandlungsende auf Wunsch vs. Euthanasie

Neben der Frage nach dem Umgang der Ärzte mit dem Patientenwillen hat das deutsche Urteil auch jene nach der Grenze zwischen passiver und aktiver Sterbehilfe beantwortet. Letztere ist in Deutschland und Österreich verboten, das deutsche Höchstgericht hat das Durchschneiden einer Leitung aber als passive Sterbehilfe gewertet. Das Verweigern der Sondenernährung gilt als Verzicht auf eine Behandlung - und dies steht Patienten in beiden Ländern frei.

In Österreich steht eine "eigenmächtige Heilbehandlung" - gegen den Willen des Patienten - unter Strafe. Damit ist der "Behandlungsabbruch auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten", wie es Körtner ausdrückt, zwar erlaubt, aber nicht dezidiert per Gesetz geregelt. Der Unterschied zwischen Euthanasie und passiver Sterbehilfe liegt laut dem Theologen in der Intention: Im ersten Fall muss der Arzt eine aktive Handlung setzen, um den Tod des Patienten herbeizuführen (etwa Gift verabreichen), im zweiten geht es um den Behandlungsabbruch nach der Verweigerung durch den Patienten.

Zustimmung zu aktiver Sterbehilfe steigt

Aktive Sterbehilfe ist in drei europäischen Ländern - in Belgien, den Niederlanden und in Luxemburg - erlaubt. Auch in Österreich ist die Zustimmung zu dieser äußerst umstrittenen Maßnahme gestiegen: Eine Studie im Auftrag der Grazer Medizin-Uni Anfang des Jahres hat ergeben, dass 62 Prozent der Österreicher aktive Sterbehilfe befürworten - 13 Prozent mehr als noch im Jahr 2000.

Caritas und der Dachverband Hospiz fordern indes, dass das Verbot der aktiven Sterbehilfe in der Verfassung verankert wird. Im Justizministerium gibt es dazu zwar keine konkreten Überlegungen. Allerdings bekenne man sich auch eindeutig zum einfachgesetzlichen Verbot der aktiven Sterbehilfe, heißt es dort.