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Die Angst, allein zu sterben

Von Petra Tempfer

Sterbehilfe

Nur die Hälfte des Bedarfs an Sterbebegleitung ist gedeckt.


Wien. SPÖ und ÖVP haben sich nun also auf ein Verbot der Sterbehilfe in der Verfassung geeinigt, gleichzeitig soll ein Anspruch auf palliativmedizinische Begleitung Sterbender gesetzlich verankert werden. Rein theoretisch eine klare Ansage. Allein - an den Versorgungsmöglichkeiten mangelt es gewaltig. Denn angenommen, Hospiz und Palliativmedizin werden tatsächlich forciert, und die Menschen sollen fortan beim Sterben in Würde begleitet werden. Die Frage wäre: wo und von wem? Denn derzeit ist die flächendeckende Hospiz- und Palliativversorgung noch lange nicht erreicht. Konkret ist laut "Hospiz Österreich" nur die Hälfte des Bedarfs gedeckt.

"In den vergangenen Jahren ist zwar viel passiert, und die Zahl der Einrichtungen steigt stetig an - vor allem im Bereich des Hospiz gibt es aber enormen Aufholbedarf", sagt Waltraud Klasnic, Präsidentin des Dachverbandes "Hospiz Österreich", der sämtliche Palliativ- und Hospizeinrichtungen sowie die Ausbildung der Teams koordiniert. Am meisten mangele es an stationären Hospizen und an Tageshospizen. Letztere sind Einrichtungen, in die Pflegebedürftige tagsüber gebracht werden können. "Von diesen gibt es österreichweit nur drei", sagt Klasnic im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "Je eine in Wien, Graz und Salzburg."

Insgesamt gibt es 271 Hospiz- und Palliativeinrichtungen in Österreich. In Deutschland herrsche ebenfalls ein akuter Mangel an der stationären Versorgung, sagt Dietmar Weixler, Palliativmediziner am Landesklinikum Horn. Aber dafür seien in unserem Nachbarland viel mehr mobile Teams unterwegs.

Kompetenz-Konflikte lösen

Der Grund dafür: Schon 2007 hat Deutschland mit der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) die gesetzliche Grundlage geschaffen, nach der sterbende Krankenversicherte in der häuslichen Umgebung Anspruch auf leidensmindernde medizinische und pflegerische Behandlung haben. "Und das ist ja das eigentliche Ziel, der Wunsch eines jeden Einzelnen, an dem Ort sterben zu können, wo man zuhause ist", so Weixler. Derzeit sterben etwa 80 Prozent der Wiener in einem Akutkrankenhaus.

Was in Deutschland funktioniert, ist hier bisher an verfassungsrechtlichen Kompetenz-Konflikten gescheitert. Zum flächendeckenden Ausbau der Hospiz- und Palliativbetreuung gibt es zwar ein Konzept des Bundesinstituts für Gesundheit. "Dieses wurde aber aufgrund des Konfliktes Krankenbehandlung, für die Sozialversicherung und Bund zuständig sind, versus Pflegebedarf - im Kompetenzbereich der Länder - nicht umgesetzt", heißt es auf Anfrage der "Wiener Zeitung" vom Hauptverband der Sozialversicherungsträger.

Hospiz in Heimen forcieren

Die noch immer offene Kernfrage ist laut Klasnic: Ist der Patient ein Sozialfall oder chronisch krank und somit im Kompetenzbereich der Sozialversicherungsträger? Vor allem das Hospiz leide unter der Vielfalt an Zuständigkeiten. Die Palliativmedizin sei eng an die Spitäler und somit die Sozialversicherungsträger geknüpft. Hospiz wird von Landes- und übergeordneten Organisationen wie Caritas oder Rotes Kreuz angeboten. "Die Zuständigkeit muss eindeutig zwischen dem Gesundheits- und Sozialbereich sowie den Sozialversicherungen abgestimmt werden", sagt Klasnic und formuliert damit eine der Forderungen von "Hospiz Österreich".

Eine weitere Forderung betrifft die Hospizkultur in Alten- und Pflegeheimen. Seit 2004 läuft ein Projekt von "Hospiz Österreich" mit dem Gesundheitsministerium, im Zuge dessen alle Heimmitarbeiter - vom Putz- bis zum Pflegepersonal -in palliativer Geriatrie geschult werden. Bis jetzt wurden in etwa 50 Heimen Schulungen durchgeführt - österreichweit gibt es 800. "In den nächsten vier Jahren wollen wir zumindest die Hälfte aller Heime erreicht haben - wir müssen also noch viel schaffen", sagt Klasnic.

Vieles ist aber auch schon passiert. Bereits seit 2001 gibt es einen Allparteienkonsens, am aktiven Verbot der Sterbehilfe festzuhalten und die humane Sterbehilfe zu fördern. 2002 wurde die Familienhospizkarenz geschaffen. 2005 wurde der erste Lehrstuhl für Palliativmedizin an der MedUni Wien eingerichtet, kurz darauf startete der Unilehrgang Palliative Care. Das neue Patientenverfügungsgesetz folgte: Seit 2006 kann man verfügen, dass bestimmte medizinische Behandlungen ausgeschlossen werden, selbst wenn man sich selbst nicht mehr dazu äußern kann.

Ein Meilenstein wurde 2010 erreicht: Die Hospiz- und Palliativversorgung wurde erstmals im Österreichischen Strukturplan Gesundheit umfassend definiert. Dabei geht es um eine adäquate, abgestufte Versorgung - jeder Patient soll zu jeder Zeit am richtigen Ort betreut werden können. Im Juli 2013 folgte die Aufnahme mobiler Hospiz- und Palliativbetreuung in die Novelle zum Pflegefondsgesetz.

Kultur des Sterbens ändern

"Es ist zwar eine eindeutige Entwicklung im Gange, und wir bekommen auch Mittel aus der öffentlichen Hand", sagt Klasnic. "Gesundheits- und Sozialministerium helfen bei Projekten und das Wirtschaftsministerium leistet einen Zuschuss zur Ausbildung - aber ohne Sponsoren ginge es noch nicht." Vor allem müsse die in Österreich gepflegte Kultur des Sterbens eine andere werden. "Der Tod ist unausweichlich, aber man muss nicht schmerzhaft sterben, sondern kann auch langsam hinübergleiten."

Laut Weixler müsse man den Menschen durch ein breites Angebot an Beratung die Angst vor langen, leidvollen Qualen am Ende des Lebens nehmen - dann wäre der Wunsch nach Sterbehilfe im Keim erstickt.

Wissen

Palliativmedizin bemüht sich um die Lebensqualität im Endstadium einer Erkrankung.

Palliativstation: eine eigenständige Station mit einem multiprofessionell zusammengesetzten Team aus Psychologen, Sozialarbeitern, Ärzten und Seelsorgern im Verbund mit einem Akutkrankenhaus.

Mobiles Palliativteam: Dieses berät in erster Linie die Betreuenden zu Hause und im Heim. In Absprache mit den Betreuenden kann auch eine gezielte Einbindung in die Pflege erfolgen.

Palliativkonsiliardienst: ein multiprofessionell zusammengesetztes Team im Krankenhaus, das sich in erster Linie an das betreuende ärztliche und Pflegepersonal wendet.

Hospiz ist eine Einrichtung der Sterbebegleitung.

Stationäres Hospiz: eine Einrichtung mit eigener Organisationsstruktur, die einer stationären Pflegeeinrichtung zugeordnet sein kann.

Tageshospiz: Diese bietet Patienten die Möglichkeit, tagsüber außerhalb ihres Zuhauses in der Gemeinschaft gleichermaßen Betroffener begleitet zu werden. Es gibt psychosoziale und therapeutische Angebote.

Mobiles Hospizteam: Dieses besteht aus qualifizierten ehrenamtlichen Hospizbegleitern sowie mindestens einer Fachkraft und berät und begleitet Patienten und Angehörige in der Zeit des Schmerzes und des Abschieds.