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Wie wir sterben wollen

Von Katharina Schmidt

Sterbehilfe
Der ideale Tod. Die meisten wollen daheim sterben, ohne Schmerzen, umsorgt von Angehörigen und einer professionellen Pflegekraft. Die Realität sieht oft anders aus.
© Karen Kasmauski/Science Faction/Corbis

Die meisten wollen zu Hause sterben, nur 30 Prozent gelingt das - Zeit für eine Debatte.


Wien. Wir werden sterben. Alle. Ausnahmslos. Kaum ein Thema betrifft so viele Menschen - und kaum ein Thema wird dermaßen totgeschwiegen. Dabei muss sich jeder über kurz oder lang vor allem mit der Frage auseinandersetzen, wie er sterben will.

Abgesehen von der umstrittenen Überprüfung einer Verankerung des Sterbehilfeverbots in der Verfassung findet sich im Regierungsprogramm auch eine Art Rechtsanspruch auf den Zugang zu Palliativmedizin und Sterbebegleitung. "Wenn die Politik es schafft, das in der Verfassung festzuschreiben, dann ist das sehr wohl eine Stärkung", sagt Waltraud Klasnic, Präsidentin des Dachverbands Hospiz. Denn obwohl sich in den vergangenen Jahren in diesem Bereich einiges getan hat, ist man von der Idealversorgung Sterbender noch meilenweit entfernt. So verweist Klasnic darauf, dass zwar mittlerweile eine öffentliche Debatte über die Zukunft der Pflege entstanden ist, sich aber kaum jemand Gedanken darüber macht, "was am Ende der Pflege kommt - und das ist meistens der Tod".

Anders als in Deutschland sind Palliativ- und Hospizarbeit hierzulande nicht streng getrennte Disziplinen. Beiden liegt dieselbe Idee zugrunde, auf deren Basis Cicely Saunders 1967 das erste Hospiz, das St. Christopher’s Hospice in London, gegründet hat: die letzte Lebenszeit des Menschen würdevoll und ohne psychische wie physische Schmerzen - also zum Beispiel Atemnot, Durstgefühle, Übelkeit, Einsamkeit oder Angst - zu gestalten.

In Deutschland gilt als Palliativarbeit nur die medizinische Betreuung. Mittlerweile hat man aber erkannt, dass die psychosozialen Probleme am Ende des Lebens oft noch viel größer sind als die körperlichen. In Österreich, wo das Thema Palliativversorgung und Hospiz - abgesehen von Einzelinitiativen - erst gegen Ende der 1980er Jahre aufgekommen ist, wurde von Anfang an auf eine "radikale Interdisziplinarität" geachtet, wie Andreas Heller vom Institut für Palliative Care und Organisationsethik in Wien erklärt. Alle Berufsgruppen, die mit unheilbar kranken Menschen beschäftigt sind, darunter Ärzte, Pflegende und Sozialarbeiter, werden gemeinsam ausgebildet - laut Heller ein revolutionärer Ansatz im gesamten österreichischen Gesundheitssystem.

Damit ist die Versorgung aber noch nicht gewährleistet. 2004, also vor zehn Jahren, hat das Bundesinstitut für Gesundheitswesen (ÖBIG) Kriterien für eine abgestufte Hospiz- und Palliativversorgung verabschiedet. Darin sind nicht nur die Qualitätsanforderungen für die unterschiedlichen Betreuungsformen - Palliativstationen und Konsiliardienste in Spitälern, Hospize, Tageshospize sowie mobile Dienste - aufgeführt. Es wird auch genau definiert, was als ausreichende Versorgung gilt. Eine Auswertung der Caritas für 2012 hat ergeben, dass noch die Hälfte der notwendigen Hospizbetten fehlte, bei den Palliativbetten waren es 23, bei den mobilen Diensten je 30 Prozent.

"Unwürdiges Hin und Her bei der Finanzierung"

"Es würde reichen, das, was beschlossen ist, jetzt einmal umzusetzen", meint Harald Retschitzegger, ärztlicher Leiter der Caritas der Erzdiözese Wien. Er fordert "eine gelebte Hospiz- und Palliativkultur im ganzen Land". Der Hauptgrund dafür, dass es an der Umsetzung der Pläne mangelt, ist aus seiner Sicht "das unwürdige Hin und Her bei der Finanzierung".

Denn wenn es ums liebe Geld geht, werden auch in Österreich große Unterschiede zwischen Palliativ- und Hospizarbeit gemacht: Erstere fällt als medizinische Maßnahme in den Gesundheitsbereich und damit in den Aufgabenbereich der Kassen und zum Teil der Landessozialfonds. Hospizbetreuung dagegen ist Teil der Pflegeversorgung, also des Sozialbereichs - und der ist zur Gänze Ländersache. Umgelegt auf den mobilen Hospiz- und Palliativdienst der Wiener Caritas, den mit 25 Jahren ältesten seiner Art, bedeutet das Folgendes: Die Caritas stellt in Wien vier von acht (laut ÖBIG-Plan sollten es 12 sein, aber das nur am Rande) mobile Palliativteams. Der Fonds Soziales Wien übernimmt 75 bis 80 Prozent der Kosten, der Rest wird aus Spenden finanziert. Die Kosten für die Organisation und Supervision der 90 ehrenamtlichen Hospizmitarbeiter werden zur Gänze aus Spenden finanziert. Anders als in anderen Bundesländern refundiert die Stadt Wien den Ehrenamtlichen nicht einmal die Kosten für die halbjährige Hospizbetreuer-Ausbildung.

Die Caritas betreibt Wiens einziges Tageshospiz, das mobilen Patienten Abwechslung und pflegenden Angehörigen einen Tag Pause gönnen soll. "Wir können aber nur zwei Tage die Woche offen halten, weil das nicht öffentlich unterstützt wird", klagt der Leiter des mobilen Caritas Hospiz der Erzdiözese Wien, Erich Borovnyak. Er fordert ein stationäres Hospiz für Wien. Denn bei Einrichtungen wie dem Hospiz am Rennweg handelt es sich um ausgelagerte Palliativstationen von Spitälern, wodurch die Finanzierung gewährleistet ist. Für die Patienten kann das aber zu einer grausamen Situation führen: Palliativbetten werden maximal 28 Tage ausfinanziert, dann herrscht ein hoher Entlassungsdruck. "Es geht hier oft nur um die Stabilisierung der Patienten, ins Hospiz kann man auch gehen, um zu sterben", erklärt Borovnyak.

"Sinnlose Überweisungen Sterbender ins Spital"

Dabei wollen die Menschen ohnehin daheim oder im Pflegeheim sterben. Die "sinnlosen Überweisungen ins Krankenhaus" aus den Pflegeheimen sind für den Soziologen und Theologen Heller eines der größten Probleme in der Palliative Care. Er schildert den Fall einer 93-Jährigen, die mehrmals gesagt hat, dass sie im Pflegeheim sterben möchte. Es kommt zu einer Lungenkrise, die Hilfspflegerin gerät in Panik und ruft den Notarzt, der kann gar nicht anders, als zunächst einmal einen Notfall anzunehmen - und die Frau stirbt am Weg ins Spital. Solche Situationen könnten durch eine andere Vorsorge in den Heimen und auch durch eine bessere Ausbildung der Ärzte vermieden werden, sagt Heller. Die Menschen kämen immer älter, kränker und fast sterbend in die Pflegeheime, weil jeder diesen Schritt so lange wie möglich hinauszögert. Auf diese komplexe Aufgabe sind die Heime wenig vorbereitet. In Österreich gibt es - außer in den von der Stadt Wien betriebenen Pflegeheimen und bei einigen privaten Trägern wie der Caritas Socialis - nirgends angestellte Ärzte, also Pflegeheimmedizin. Damit müssen die alten und multimorbid erkrankten Menschen von niedergelassenen Ärzten mitbetreut werden, und diese hätten oft kein Interesse oder keine Kompetenz in der geriatrischen Palliativbetreuung. "Ganz Österreich versucht, die Hausärzte ins Boot zu holen, aber die wollen nicht Boot fahren. Dadurch gibt es kaum kompetente Medizin in dem Bereich", meint Heller.

Schlechte Ausbildung und Unwissenheit bei den Ärzten

Für Caritas-Arzt Retschitzegger ist auch Unwissenheit mancher Ärzte ein großes Problem: "Wenn jemand mit fortgeschrittener Erkrankung ohne Aussicht auf Heilung erklärt, dass er an seiner Lungenentzündung sterben will, ist das erlaubt und völlig in Ordnung - es gibt aber Ärzte, die das immer noch für verbotene Euthanasie halten." Allerdings stellt er ein steigendes Interesse am Thema fest - heutzutage seien auch die Curricula in der Grundausbildung deutlich besser.

Retschitzegger fordert aber auch eine Facharztanerkennung in Palliativmedizin. Und "natürlich wollen die Leute Ärzte werden, um zu heilen, aber wir müssen uns auch für das Begleiten bis zum letzten Atemzug kompetent fühlen, ein Pilot steigt ja auch nicht kurz vor der Landung aus dem Flugzeug."

Gert Wiegele von der Bundeskurie der Niedergelassenen Ärzte in der Kammer schätzt die Situation naturgemäß anders ein. Palliativbetreuung - ob nun zu Hause oder im Pflegeheim - "gehört immer schon zu unserer Tätigkeit". Je weiter am Land man sich befinde, desto mehr müsse man sich darum kümmern, sagt Wiegele, selbst Landarzt in Kärnten. Hausbesuche seien aber nicht nur zeitaufwendig, sondern auch schlecht bezahlt. Er sieht keinen mangelnden Fortbildungswillen: Wer mit Palliativmedizin konfrontiert sei, müsse sich automatisch damit auseinandersetzen. "Learning by Doing funktioniert hier wie in jedem anderen Beruf, es kann nicht sein, dass man nur mit einem langwierigen Geriatriediplom in der Geriatrie tätig sein kann."

Geht es nach Heller, müssten Hausärzte und mobile Teams noch viel stärker eingebunden werden: "Im gesamten deutschsprachigen Raum sind sich alle einig, dass ambulant vor stationär gelten muss, aber keiner setzt es um", sagt er. Von den 80.000 Menschen, die jährlich in Österreich sterben, würde der Großteil gerne zu Hause sterben. 68 Prozent starben 2012 in Krankenhäusern oder Heimen.

Eine große Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit - und sie wird jeden treffen. Eine Verankerung in der Verfassung wird da wohl kaum reichen.

Am 1. April erscheint das neue Buch von Andreas Heller, das der Professor für Palliative Care und Organisationsethik gemeinsam mit Reimer Gronemeyer von der Uni Gießen geschrieben hat.

"In Ruhe sterben. Was wir uns wünschen und was die moderne Medizin nicht leisten kann" erscheint im Pattloch Verlag (20,60 Euro, 288 Seiten) und widmet sich der Frage, was wir am Lebensende wirklich brauchen -abseits des "qualitätskontrollierten Sterbens", das durch die moderne Medizin unterstützt wird.

Am 28. März findet auf Einladung des CeMM Forschungscenters für Molekularmedizin ein Vortrag des Palliativmediziners und Autors Gian Domenico Borasio ("Über das Sterben") aus der Schweiz statt. Der Vortrag in englischer Sprache startet um 15.30 Uhr in der CeMM Lecture Hall (1090 Wien, Lazarettgasse 14, AKH BT 25.3, 8. Stock).

Am 29. März beginnt im Wiener Museumsquartier (freiraum quartier21) die Ausstellung "Ein Koffer für die letzte Reise. Was Menschen auf ihrer letzten Reise mitnehmen würden."

Der Dachverband Hospiz und die Österreichische Palliativgesellschaft veranstalten gemeinsam am 1. April eine Enquete zum Thema "Leben bis zuletzt" (12 bis 16 Uhr, Arena21 im Museumsquartier Wien, Programm und Anmeldeinformationen unter www.hospiz.at).