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Tendenz zur Selbstbestimmung

Von Jan Michael Marchart und Simon Rosner

Sterbehilfe
Begleitung am Lebensende statt Assistenz beim Suizid. Dafür gibt es im Parlament eine Mehrheit, für ein Verbot der Sterbehilfe in der Verfassung nicht.

Verbot von Sterbehilfe findet keine Mehrheit.


Wien. Am Samstag ist This Jenny gestorben. Jenny war Schweizer Politiker, er saß für die SVP im Ständerat, im Februar trat er wegen einer Krebserkrankung zurück. Etwas später kündigte er an, dass er den Zeitpunkt seines Todes selbst bestimmen werde. "Wenn alle wissen, dass ich sterbe, alle nur noch um mich weinen, gehe ich", sagte er in einem Interview mit dem "Blick". Am Samstag schied er mit Unterstützung der Sterbehilfeorganisation "Exit" aus dem Leben.

Jennys Krankheit und Sterben wurde medial immer wieder thematisiert, deshalb wird auch in der Schweiz wieder über Sterbehilfe debattiert. "Exit" meldete bereits einen massiven Anstieg der Anmeldungen, eben auch wegen der Öffentlichkeit um Jenny.

In Österreich wird politisch gerade debattiert, ob das Verbot der Sterbehilfe nicht sogar in die Verfassung geschrieben werden soll, die ÖVP hatte das gefordert. Sie dürfte sich damit aber argumentativ in eine Ecke manövriert haben. SPÖ, Grüne und Neos lehnen diesen Schritt bisher restriktiv ab, dazu kommen verfassungsrechtliche Bedenken. Und der Zeitgeist.

Opposition: Verbot vom Tisch

"Die Tendenz spricht für eine Regelung, die Selbstbestimmung am Ende des Lebens als oberstes Prinzip sieht", sagt Eva Mückstein, Gesundheitssprecherin der Grünen zur "Wiener Zeitung". Selbstbestimmung ist mittlerweile ein zentrales gesellschaftliches Bedürfnis geworden, in vielen Bereichen, aber eben auch beim Tod. Das geht auch aus der Mehrzahl der Stellungnahmen hervor, die an die vom Parlament eingesetzte Kommission, in der Mückstein sitzt, geschickt wurden.

"Die Menschen wollen sich nicht von Politikern ausrichten lassen, wo und wie ihr Leben zu enden hat", umreißt Gerald Loacker von den Neos die Stoßrichtung der Stellungnahmen.

Die Kommission hat zwar bisher nur ihre Auftaktveranstaltung erlebt, dennoch scheint das Verbot der Sterbehilfe im Verfassungsrang bereits vom Tisch. "Das ist auch meine Vermutung", sagt Eva Mückstein, die für die Grünen in der Kommission sitzt. "Die ÖVP steht auch nur mehr halbherzig hinter diesem Unterfangen", vermutet sie. Und auch für Loacker "scheint klar zu sein", wie er sagt, dass dieses Verbot im Verfassungsrang nicht kommen wird.

Die ÖVP allerdings möchte sich die Verankerung des Sterbehilfeverbots in der Verfassung nicht ausreden lassen. Doch Gertrude Aubauer, Vorsitzende der Kommission, weicht auf Anfrage der "Wiener Zeitung" zur Causa prima eher aus. Vorerst sei wichtig, sagt sie, was dem Bürger nütze. "Für den sind wir schließlich da."

Sorge vor VfGH-Spruch

Viele würden gar nicht von etwaigen Vorsorgemöglichkeiten wissen, vor allem dreht es sich um den von Experten und Parteien gemeinsam geforderten Ausbau der Palliativ- und Hospizeinrichtungen in Österreich. Und den einklagbaren Rechtsanspruch darauf. Aber wer ist schon gegen die Intensivierung von Gesundheitsmaßnahmen?

Wolfgang Gerstl, Nationalratsabgeordneter der ÖVP, will das Thema nicht vom Tisch gewischt wissen, er sagt aber auch: "Das Verbot steht nicht im Vordergrund der Diskussion." Man wolle anderen Fraktionen den Weg nicht vorgeben, man würde sich gemeinsam an einen Tisch setzen und darüber diskutieren. "Die Lösung braucht es jetzt noch nicht."

Die ÖVP hat vor allem eine Sorge. Das am Mittwoch im Nationalrat beschlossene VfGH-Gesetzespaket (siehe Seite 10) könnte dazu führen, dass Sterbehilfe in gewisser Weise durch die Hintertüre vom Verfassungsgerichtshof legalisiert wird. Ab 1. Jänner 2015 ist es nämlich möglich, gegen erstinstanzliche Urteile beim Höchstgericht vorzugehen und dieses auf Verfassungskonformität überprüfen zu lassen. Auch beim Tatbestand der Beihilfe zum Suizid. Ein Freispruch durch den VfGH könnte zum Präzedenzfall werden.

"In Verfassung kein Platz"

Christiane Druml von der Bioethikkommission glaubt nicht daran, dass das Sterbehilfeverbot Verfassungsrang erlangt: "Ich kann es mir nicht vorstellen und ich hoffe auch, dass es nicht kommt. Dafür ist in der Verfassung kein Platz." Ihre Kollegin Maria Kletecka-Pulker fügt zudem noch hinzu, dass es "bei der Rechtslage in Österreich auch nicht notwendig wäre". Und Michael Chalupka, Präsident der Diakonie Österreich, sagt: "Es wird innerhalb der Koalition keine Mehrheit dafür geben." Im Regierungsprogramm ist zwar festgehalten, dass es ein "nachhaltiges Bekenntnis zum Verbot der Tötung auf Verlangen" geben soll, doch erstens lässt die Formulierung Interpretationsspielraum und zweitens ist ein Verbot der Sterbehilfe in der Verfassung nur als "Möglichkeit" angeführt.

Bis Jänner sind noch drei Termine für die Kommission zu absolvieren. Wie aus Parlamentskreisen zu hören ist, die Frage der Sterbehilfe im Verfassungsrang wird da keine Rolle mehr spielen, es geht um Palliativmedizin und Hospiz, deren Finanzierung (bisher noch kaum angesprochen) sowie die Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht. Im besten Fall wird die von der ÖVP angestoßene Debatte konkrete Ideen und Lösungen bei diesen Themen bringen, das Verbot der Sterbehilfe in der Verfassung dürfte keine Variante sein.