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Sterben auf Rezept

Von Jan Michael Marchart

Sterbehilfe
© Fotolia/h368k742

In Österreich gibt es noch keine großflächige Debatte über eine mögliche Liberalisierung des Sterbehilfegesetzes.


Wien. Die Regierung wird sich der Frage nach einer möglichen Liberalisierung der Sterbehilfe in Österreich nicht entziehen können. Der Trend in Europa geht klar in diese Richtung. Im Programm der von der Regierung initiierten Sterbehilfe-Kommission wurde vermerkt, dass man sich im Jänner mit dem Grundrecht eines würdevollen Sterbens befassen und Regelungen aus dem Ausland hinzuziehen wird. Stellvertreter des Kommissions-Vorsitzes zur Sterbehilfe, Hannes Jarolim (SPÖ) sagt, dass dafür im weiteren Verlauf dem Thema mehr Platz eingeräumt werden soll. Für Wolfgang Gerstl, Nationalratsabgeordneter der ÖVP, ist eine Liberalisierung des Verbots kein Thema. "Aus ÖVP-Sicht sicher nicht. Niemand hat etwas diesbezüglich vorgeschlagen." Wichtig sei derzeit die Bearbeitung der Gesetzgebung von Palliativ- und Hospizbetreuung.

Maria Kletecka-Pulker, Mitglied der Bioethikkommission, möchte den Begriff Sterbehilfe gar nicht mehr verwenden. Um Rechtssicherheit und Klarheit für Ärzte zu schaffen, wolle man in Zukunft wie folgt unterscheiden: Aktive, passive und indirekte Sterbehilfe wären durch die Termini Sterbebegleitung, Therapie am Lebensende und Sterben lassen zu ersetzen. Hinzu kommt die Mitwirkung am Selbstmord sowie die Tötung auf Verlangen. Beides ist in Österreich verboten.

Die Initiative "Letzte Hilfe" geht einen Schritt weiter und setzt sich für den hierzulande verbotenen ärztlich-assistierten Suizid unter strengen Auflagen ein. Sie möchte einen Diskurs über eine Liberalisierung des Verbots führen. Die Vereinsgründung wurde der Bewegung bisher untersagt. Sie wäre nicht gestattet, "wenn der Verein nach seinem Zweck, seinem Namen oder seiner Organisation gesetzwidrig wäre", steht in der Begründung der Polizeidirektion Wien geschrieben. Mit dem Verweis auf Paragraf 78 (Mitwirkung am Selbstmord) des Strafgesetzbuches.

Das Oregon-Modell

Der Verein bleibt in Österreich nicht genehmigt. Eine Änderung des Status ist nicht absehbar. "Wir hinken in Österreich immer hinterher. Es ist natürlich katholisch geprägt. Aber die umliegenden Länder in Europa sind in dieser Frage zum Teil deutlich liberaler als wir. Dabei unterscheidet uns ökonomisch und gesellschaftlich wenig", sagt der Vorsitzende Eytan Reif. "Vom Oregon-Modell sind wir noch weit entfernt."

Die Initiative bezieht sich auf das Modell des Oregon Death with Dignity Act. Zu der Welle an Selbstmorden, die Kritiker einst befürchteten, kam es in US-Bundesstaat Oregon nicht. Seit der Einführung 1997 nahmen sich insgesamt 752 Männer und Frauen in Oregon mit einer Überdosis Pentobarbital oder Secobarbital das Leben. Die Zahlen stiegen über die Jahre kontinuierlich an; 2012 weist die jüngste Statistik 85 Suizide aus. Hauptsächlich nehmen Krebspatienten diese Möglichkeit in Anspruch. Auf 1000 Todesfälle sind im Schnitt zwei auf das Sterbehilfegesetz zurückzuführen. Interessant ist aber, dass etwa ein Drittel das todbringende Medikament zwar verschrieben bekommt, es aber nicht nutzt. Die Möglichkeit reicht offenbar aus.

Der Oregon Death with Dignity Act macht einen ärztlich-assistierten Suizid möglich. Jedoch nur mit hohen Hürden: Der Patient muss seinen ständigen Wohnsitz in Oregon haben und volljährig sein. Zwei Ärzte müssen zu dem Entschluss kommen, dass dieser an einer unheilbaren Krankheit leidet und voraussichtlich nicht mehr als sechs Monate zu leben hat. Zweifeln die Ärzte an der Urteilsfähigkeit des Patienten, muss dieser einer psychiatrischen Untersuchung unterzogen werden. Den Todeswunsch hat man mindestens einmal schriftlich unter Aufsicht von zwei Zeugen zu beantragen. Einer der Zeugen darf kein Verwandter, Erbe oder Mitarbeiter der behandelnden ärztlichen Einrichtung sein. Hinzu kommen zwei mündliche Anträge, zwischen denen mindestens 15 Tage liegen müssen. Darüber hinaus muss der Patient über Alternativen zur Selbsttötung aufgeklärt werden und er wird angehalten, seine Familie über seinen Todeswunsch zu informieren. Der verschreibende Arzt und auch der Apotheker müssen die Ausgabe des tödlichen Medikaments einer staatlichen Behörde melden. "Man muss nicht allen Ländern alles nachmachen", sagt Gerstl.

"Großer Schritt"

In der Kommission zur Sterbehilfe war man sich einig darüber, dass die Palliativ- und Hospizbetreuung in Österreich ausgebaut werden und es einen einklagbaren Rechtsanspruch darauf geben muss. Die Knackpunkte für die Regierung werden die Verteilung der Kompetenzen und die Finanzierung sein. Die Länder müssen für eine bundesweit einheitliche Betreuungs- und Finanzierungsstruktur eingebunden werden. Zudem braucht es Klarheit über die Zuständigkeit; die muss entweder beim Gesundheits- oder Sozialministerium liegen. Die Frage der Finanzierung kommt in Österreich zu einer Zeit, in der der Bildungs- und Gesundheitsbereich mit kleinen Budgets auskommen muss und man mit einem Nullwachstum vor ökonomischen Grenzen steht. "Das muss funktionieren", sagt Jarolim (SPÖ). "Sonst sind wir gescheitert." Auch die Vorsorgeinstrumente für Patienten gehören besser kommuniziert.

Das von der ÖVP propagierte Sterbehilfeverbot wird nicht in der Verfassung verankert. Die Volkspartei wird keine Mehrheit dafür finden. Was es noch nicht gibt, ist eine großflächige Diskussion über eine Liberalisierung oder Änderung der Rechtslage. Gerstl: "Vielleicht wird die Kommission am Ende erweitert und breiter diskutiert. Mit dem aktuellen Programm haben wir einen großen Schritt in diese Richtung gesetzt." In Regierungskreisen gibt es außerdem die Idee, das Volk über Fragen zur Sterbehilfe entscheiden zu lassen.