
"Wiener Zeitung": Herr Mainzer, der globale Energieverbrauch steigt laut Internationaler Energie Agentur bis 2035 um ein Drittel. Wohin führt der wachsende Energiehunger?
Klaus Mainzer: Das hat sich der russische Astrophysiker Nikolai Kardashev schon vor 50 Jahren gefragt. Er teilte künftige Zivilisationen nach den Möglichkeiten ihres Energieverbrauchs ein. Seine Typ-1-Zivilisation beherrscht die Energie ihres Planeten, genauer die konsumierbare, die durch den Bruchteil des einfallenden Lichts der Sonne bestimmt wird. Bei der Erde können wir da von rund 1017 Watt ausgehen.
Eine 1 mit 17 Nullen. Wie kommt diese Zahl zustande?
Gemeint ist nicht nur die Sonnenenergie, die mittlerweile durch Solarstrom und Photovoltaik gewonnen wird. Fossile Brennstoffe sind ja genauso in toten Pflanzen gespeicherte Sonnenenergie. Hinzu kommen Wind, Wetter und Meeresströmungen, die auch erst durch Sonnenenergie möglich werden. Eine Typ-1-Zivilisation beherrscht alle diese Energieformen.
Wie weit ist die Menschheit davon momentan entfernt?
Wir zapfen die Energie auf der Erde zwar in allen möglichen Speicherformen an. Aber Wind und Wetter beherrschen wir noch lange nicht. Die Menschheit kann derzeit als Typ-0,7-Zivilisation bezeichnet werden.
Bringt uns die Kernfusion weiter? Manche setzen große Hoffnungen in die Technik.
In der Plasmaphysik haben wir die Fusionsenergie der Sonne bereits in Formeln gepackt. Aber der Fusionsreaktor lässt noch auf sich warten. Nach Kardashev wäre er der erste Schritt hin zur Typ-2-Zivilisation. Diese beherrscht die Sonnenenergie, etwa 1027 Watt. Allerdings wird sie nicht nur passiv mit Solarzellen aufgefangen. Der amerikanische Physiker Freeman Dyson beschreibt eine Zivilisation, die eine gigantische Kugel um ihren Heimatstern konstruiert, um damit seine gesamte Strahlung zu absorbieren.
Klingt nach Science Fiction.
Darum können wir uns die Kardashevsche Skala auch nur in Science-Fiction-Bildern vorstellen. Die Typ-1-Zivilisation wäre die Welt von Flash Gordon. Dort nutzt man sämtliche planetarischen Energiequellen, selbst Wind und Wetter sind vollständig kontrollierbar. Die Typ-2-Zivilisation entspricht der Planetenföderation in Star Trek. Die hat hundert nahe gelegene Sterne kolonialisiert.
Hatte Kardashev auch eine Typ-3-Zivilisation?
Ja. Diese galaktische Zivilisation ist vergleichbar mit dem Impe- rium im "Krieg der Sterne". Sie verbraucht die Energie von Milliarden von Sternen in der Größenordnung von 1037 Watt.
Lässt sich diese Zivilisationsskala auf die Gegenwart beziehen?
Kardashev stellte sie zu einer Zeit auf, in der Fortschrittsoptimismus keine Grenzen kannte. Es war die Zeit von Sputnik und Mondlandung. Dann kamen Ölkrise, Umweltbewegung, die Grenzen des Wachstums, Tschernobyl, Fuku-shima. Dadurch wird Kardashevs kosmische Skala nicht falsch. Nur erweist sich Energieversorgung als schwieriger und komplexer, als er es sich damals vorstellte.
Ansätze, Energie auf andere Art zu erzeugen, gibt es schon heute. Generatoren nutzen Reibungsenergie, um Strom zu erzeugen. Häuser bekommen Algenfassaden verpasst. Warum denkt sich der Mensch diese Techniken aus?
Letztlich sind es Neugierde und Intelligenz, die unsere Spezies in der Evolution so weit gebracht haben. Hätten wir nicht immer wieder Lösungen gefunden, wären wir vermutlich schon längst von diesem Erdball verschwunden. Aber Intelligenz beschränkt sich nicht auf technische Innovation. Um komplexe Staaten und Zivilisationen zu organisieren, braucht es auch soziale Intelligenz.
Was bringt die hervor?
Zum einen soziale Innovationen. Die verbinden Technik mit den sozialen Lebensbedingungen der Menschen, ihrer Infrastruktur und Mobilität. Zum anderen ökologische Innovationen, etwa beim Energieverbrauch. Ohne ökologische sind soziale Innovationen nicht zu haben. Am Ende läuft es auf eine Weltzivilisation hinaus, die sich im Einklang mit den Lebensbedingungen dieses Planeten befindet - oder wir gehen unter.
Sind Sie optimistisch, dass wir diesen Einklang herstellen?
Lösungsgarantien, wonach am Ende alles gut wird, gibt es nicht. Aus der Mathematik kennen wir komplexe Algorithmen, die keinen Beweis für die Existenz einer Lösung anbieten. Um wie viel mehr trifft diese Unsicherheit erst auf die vielfältigen Lernprozesse der Menschheit zu?
Macht sich die Menschheit etwas vor, wenn sie glaubt, ein selbst geschaffenes Problem wie der Klimawandel ließe sich technisch lösen?
Falsche Ideologien suggerieren, es gäbe die heile Natur, und dann kämen die Menschen, die wie Goethes Zauberlehrling alles durcheinanderbringen. Aber es geht nicht nur um selbst geschaffene Probleme, die ohne Zweifel uns und die Natur belasten. Wir dürfen den langfristigen natürlichen Klimawandel nicht vergessen. Der unterliegt einer Dynamik, die keineswegs menschenfreundlich ist. Wenn ich an die kleinen Eiszeiten in den vergangenen Jahrhunderten denke: Unter welchen elenden Bedingungen die Überlebenden da vegetieren mussten, und zwar vor der Industrialisierung. Kommende Generationen benötigen viel Wissen und Können, um dem natürlichen Klimawandel zu begegnen, selbst wenn es uns gelingen sollte, die Folgen des industriell verursachten Klimawandels zu bremsen.