Jorge Eduardo Rios ist Chef des UNODC-Programms für alternative Entwicklung und Verbrechensbekämpfung im Zusammenhang mit wilden Pflanzen, Tieren und Wäldern. Er lebt in Wien und mag die Bundeshauptstadt sehr.

Jorge Eduardo Rios in seinem Büro beim Interview. - © Stanislav Jenis
Jorge Eduardo Rios in seinem Büro beim Interview. - © Stanislav Jenis

"Wiener Zeitung": Hier in Ihrem Büro finden sich viele Andenken aus den unterschiedlichsten Weltregionen.


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Jorge Eduardo Rios: Diese kommen aus verschiedenen Teilen der Welt, in denen ich tätig bin. Nächstes Wochenende sind wir zum Beispiel in Namibia, wo wir ein Training für Staatsanwälte abhalten. Meine Arbeit führt mich meist nach Asien, Afrika oder Südamerika. Manchmal ist es sehr traurig, was ich dort sehe.

Sie kennen sich aus mit Nachhaltiger Entwicklung. Sie koordinieren Programme in der ganzen Welt.

Ja. Wir versuchen Bauern zu helfen, vom Opiumanbau und Koka zum legalen Anbau zu wechseln. Ob sich das nun um Kakao, Kaffee oder Zitrusfrüchte handelt. Zunächst werden Programme mit der Gemeinschaft, den Mitgliedsländer und den Geldgebern ausgearbeitet. Diese langfristig angelegten Programme zielen in marginalisierte Gebiete, in Bolivien, Kolumbien, Peru, Myanmar, Laos oder in Afghanistan.

Sie koordinieren auch das Wildlife Programm.

Dabei geht es vor allem darum, organisierte kriminelle Syndikate davon abzuhalten, Bäume abzuschneiden und damit viel Geld zu verdienen. Es ist nicht immer einfach, eine illegale Saat in eine legale umzuwandeln. Es ist sogar sehr riskant. Wenn du Illegales anbaust, kommt der Markt zu dir, spricht die Drogenhändler, um deine Produkte zu kaufen. Wenn du hingegen Legales wie Kakao anbaust, dann hast du nur unendliche Diskussion mit den Kommunen, weil du dir erst einen Markt dafür schaffen musst.

Es ist sicher schwierig, den Bauern eine Lebensgrundlage oder zumindest eine Perspektive zu geben.

Bauern müssen einen fairen Preis für beispielweise ihren Kakao bekommen. Gleichzeitig den Kindern der Bauern eine adäquate Ausbildung ermöglichen. Dazu gehört auch eine Freizeitaktivität wie Fußball. In Peru haben wir eine Erfolgsgeschichte geschrieben. Dort arbeiten nun schon seit 40 Jahren mit den Bauern dort zusammen. Natürlich waren sie am Anfang abweisend. Du musst dich auch um die Inkraftsetzung von Gesetzen und Regeln kümmern, denn sonst bekommen die Drogenhändler wieder Überhand.

Reagieren die Märkte auf diese Programme?

Immer besser, es ist eine Frage der Zeit. Die Produkte gehen nach Deutschland, Österreich, "Zotter Schokolade" macht mit. Gegenwärtig beliefern die alternativen Entwicklungsprojekte von UNODC in Peru internationale Märkte im Wert von rund 160Millionen Dollar. Die Bauern haben es also geschafft, mit legaler Arbeit Geld zu verdienen, das ausreicht, ihren Kindern eine Schulbildung zu finanzieren. In weiterer Folge steht natürlich ein funktionierendes Gesundheitswesen. Ich kann gerne behaupten, dass in diesen Gemeinden gesetzwidriges, illegales Koka nun Geschichte ist. Dennoch: Der Weg war lang.

Sie kämpfen auch für Artenschutz.

Was das Wildlife betrifft, ist das Bild nicht so schön. Das Problem ist außer Kontrolle. Wenn du die Geschichten hörst, von Nashörnern oder Elefanten. Oder anderen Tierarten. Die Zusammenarbeit mit Geldgebern wie die EU, den EU-Staaten wie Österreich, Deutschland, Großbritannien oder Frankreich den jeweiligen Regierungen ist essentiell und hat uns sicherlich schon weitergebracht.

Was den rechtlichen Rahmen betrifft, sollte der illegale Handel mit wilden Tieren und Pflanzen als ernstzunehmendes Verbrechen eingestuft werden. Dafür müssten die Staaten mit Rangern zusammenarbeiten. Und ich hoffe, dass in einigen Jahren der erschreckende Verlust von Nashörnern, Affen und Wildkatzen eingedämmt werden kann.

Schließen Ihre Träume auch jene von einer besseren Welt mit ein?

Mein Traum und der von vielen Mitarbeitern in der UNO ist es, etwas zu verändern. Ich weiß, es klingt klischeehaft. Aber die Menschen, mit denen ich zusammenarbeite, sind Experten. Sie könnten ein anderes Leben haben, wenn sie im privaten Sektor wären, aber sie engagieren sich für die UN. Ich möchte etwas bewegen, weil ich will, dass meine Kinder auf einem Planeten aufwachsen, wo es saubere Luft gibt, einen natürlichen Lebensraum. Also eine Welt, auf der es noch Erwartungen und Hoffnung gibt. Das ist mein Traum, eigentlich ganz einfach.

Sie sind schon seit ca. 25 Jahren in der Drogenkontrolle. Was treibt Sie an?

Jedes Mal, wenn ich in ein anderes Land reise, und ich besuche sehr arme Länder, unter anderem auch Länder in denen Krieg herrscht oder  bittere Armut herrscht. Peru, Myanmar, Laos, Afghanistan, Madagaskar. Also: Wenn du in Wien, Washington oder Berlin sitzt, dann vergisst du darauf, was du hast und du nimmst es für selbstverständlich. Du kannst es nicht mehr schätzen. Dann weiß ich, wie notwendig es ist in kleinen Schritten, Dinge zum Guten zu bewegen. Jemanden ein Lachen schenken, einem Kind eine Perspektive bieten. Oder sicherzustellen, dass einem Nashorn weniger das Horn abgetrennt wird, einem Elefanten weniger, die Stoßzähne geraubt werden. Und dann beschließe ich, dass ich noch härter arbeiten werde.

In Wahrheit liebe ich meinen Job und weiß, welch Glück wir haben. Ich sehe so viele Menschen, die nicht zu Essen haben, die der Korruption nicht entkommen können und dann komme ich hierher nach Wien und begreife.

Wenn Sie beispielsweise nach Afghanistan fahren, ist Gefahr Bestandteil Ihrer Arbeit?

Natürlich. Es sind gefährliche Länder, aber die UNO hat eine sehr strenge Sicherheitspolitik. Es gibt einen recht guten Sicherheitsschirm. Aber das Risiko ist für all meine Kollegen gleich, auch für jene die in der Drogenprävention und –kriminalität arbeiten. Aber es lauert immer eine Gefahr. Dennoch kann es passieren, wenn man konzentriert in einem Gebiet arbeitet, dass man sie nicht sofort erfasst. Weil eben die Arbeit so anregend und herausfordernd ist.

Ich arbeite mit wunderbaren Menschen. Manchmal ist doch ein Langstreckenflug über den Ozean gefährlicher als im Dschungel von Myanmar zu sitzen. All das ist Teil meines Jobs.

Sie wissen also ganz genau, was Sie in diesen Ländern, abgesehen vom richtigen Essensverhalten und Spezialwissen, tun und nicht tun dürfen?

Die UNO hat Trainingsprogramme, die vom speziellen Fall "wenn man irgendwo angehalten wird" bis zum Thema "das richtige Hotel zu buchen" reichen. Oder was zu tun ist, wenn es zu einer Evakuierung kommt. Aber die Situationen sind nie so, wie sie in Büchern beschrieben werden. Die Grundsatzregel lautet: Vermeide jede Art von Schwierigkeiten.

Dazu gehört sicher eine große Portion an Flexibilität.

Ja. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, wo genau mir das passiert ist. In Thailand glaube ich. Die Leute waren freundlich und nett, aber im Hintergrund lief ein großer Protest. Es bildete sich ein Mob. Und ich musste im selben Augenblick handeln und die Situation ermessen.  Eine Bedrohung ist eine Bedrohung.

Ist der Kommunikationsfluss "smooth", oder wie verbürokratisiert ist die UN?

Die Vereinten Nationen sind eine große Maschinerie, eine große Organisation mit den unterschiedlichsten Sekretariaten. Wir würden uns natürlich wünschen, dass manche Prozesse rationalisiert werden würden. Die UNO lebt das System von "Checks and Balances", das System der gegenseitigen Kontrolle. Es gibt eine Vielzahl von Schritten, die notwendig sind, bevor Dinge passieren.

Aber es gibt Veränderungen?

Aber ich kann hier nur für UNODC sprechen und das in einer Periode der letzten zehneinhalb Jahre. Wir haben Rationalisierungen durchgeführt und haben zahlreiche Direktoren, die sehr gut wissen, was Flexibilität bedeutet, da wiederum jene Menschen, die mit uns zusammenarbeiten, von uns erwarten, dass wir flexibel sind. Sie leben nämlich in jenen Weltregionen, wo Dinge einfach so passieren. Klick. Und ich sehe, dass sich positive Veränderungen ergeben. Bürokratie an und für sich mag einen negativen Beigeschmack haben. Aber so wie sie hier im Haus gelebt wird, damit kommen wir gut zurecht.

Wieviel Leute haben Sie im Team?

Sechs sind es in Wien. Wir haben Kollegen in Vietnam, im Senegal, Tansania, Kenia, Bangkok, Mexiko für das Wildlife Programm und andere, die in den 23 Außenstellen weltweit tätig sind. Diese Leute implementieren die Programme.

Also kommen diese aus sechs unterschiedlichen Ländern. Wie viele Sprachen spricht man denn?

Es beeindrucken mich vor allem die jungen Leute. Früher dachte ich immer, dass es toll sei, wenn man zwei Sprachen spricht. Aber einige hier sprechen fünf. Es ist häufig so, dass man in multikulturellen Familien aufwächst. Ich mag die Sprachenvielfalt gern. Und: Wenn man im Lift steht, dann kann man Gesprächen in vier oder fünf Sprachen zuhören. Das ist ganz ordentlich.

Wie sieht denn ein typischer Arbeitstag von Ihnen aus?

Mein Tag beginnt um sechs Uhr in der Früh, ich gehe mit meinen Hunden im Wald spazieren. Dann fahre ich in die Arbeit, es ist nur eine kurze Strecke von Klosterneuburg. Ich bin versuche vor 9 Uhr da zu sein. Es scheint spät zu sein, aber da wir nach der CET, Central European Time, leben, kann man jene Kollegen miteinbeziehen, die in der westlichen Hemisphäre arbeiten, also mit 6 Stunden zurück und jene, die in Asien arbeiten, bei denen es schon 6 Stunden später ist. Meine asiatischen Kollegen haben mir schon geschrieben und erwarten eine Antwort. Und jene, die in westlichen Hemisphäre leben, erreichen wir, wenn es bei uns schon Nachmittag ist.

Der Kreis der Zeitzonen ist also geschlossen.

Allenfalls. Die Kollegen in der arabischen Welt haben am Freitag frei wie auch am Samstag und arbeiten am Sonntag. Aus diesem Grund haben wir eine ziemlich kontinuierliche Arbeitslinie. Wir verwenden Blackberries, wir skypen.

Es klingt nach einem ziemlichen Fulltimejob.

Gewöhnlich dauert ein Arbeitstag bis 7 Uhr. Man muss sich oft beeilen, damit man rechtzeitig zu den Ladenschlusszeiten kommt.

Von Washington D.C. nach Wien?

Hier leben zu dürfen, bedeutet ein gutes Leben zu haben. Die Lebens-Arbeitswelt ist gut ausbalanciert. Überhaupt für jemanden , der aus Washington DC kommt. Eine mächtige Metropole. Aber wie ich, in Kierling (Anm.: Bezirk Klosterneuburg) zu leben, macht das Leben so wertvoll. Und das ist eben der Unterschied. Man kann das auch als eine Art Liebeserklärung sehen. Deutsch ist eine schwierige Sprache. Die Geschäfte sind nicht immer offen. Und Rasenmähen ist am Sonntag verboten. Aber alles andere macht das wett.

Sie arbeiten seit dem August 2005 in Wien.

Ich war 1999 das zweite Mal in Wien und habe mir damals in mein Tagebuch eingetragen, dass ich gerne hier leben würde. Als ich diese Notiz 2005 wieder fand, war es, als hätte ich mir einen Lebenstraum erfüllt. Es ist ja so, dass sich Träume selten erfüllen, aber in diesem Fall war es so.

Sie kennen die Welt. Kommt Ihnen Wien nicht manchmal sehr klein vor? Anders gefragt: Ist "Wien anders"?

Wien ist ein internationaler Ort. Das wird leicht vergessen. Es mag einem manchmal so vorkommen, als seien die Wiener "reluktant". Aber das ist nicht so.  Wenn man sich erst mal kennengelernt hat, dann sind sie sehr offen. Freizeitaktivitäten helfen immer dabei, Kontakte zu knüpfen. Ich bin Mitglied des Road Runners Laufteams in Klosterneuburg. Und mich freut es, dass das Interesse an meiner Person so enorm war und ist. Man interessiert sich für meine bolivianischen Wurzeln, meine Jugend in Washington. Wiener interessieren sich für diese Dinge. Wo warst du denn in den letzten 3 Wochen fragen Sie mich. Das gefällt mir.

Glauben Sie, dass die UNO für sich eine eigene Welt ist?

Wenn Sie hier hereinkommen, betreten Sie eine andere Welt. Wenn Sie rausgehen, gehen Sie auch in eine andere Welt. Für mich beispielsweise sieht die Welt nach Arbeitsschluss anderes aus. Denn wenn ich in den Merkur gehe, muss ich Deutsch sprechen, obwohl ich das noch nicht so gut kann.

Sind Sie Expat, oder schon zum Wiener geworden?

Es war sicher nicht einfach am Anfang. Ich lebe eigentlich am Land, in Kierling. Zuerst dachte ich mir, ich bleibe für ein Jahr. Dann wurde es länger. Ich habe Hunde. Meine haben sich mit denen des Nachbars angefreundet. Dann wurde ich auch mit den Nachbarn bekannt. Die Integration hat zwar ein wenig gedauert, aber sie ist voll aufgegangen und ich mag meine Nachbarn sehr.