Sicher, man erinnert sich vielleicht noch aus der Schulzeit, dass der berühmte Bildhauer Gian Lorenzo Bernini aus Neapel stammt oder Dante Alighieri, einer der bedeutendsten Dichter des europäischen Mittelalters, aus Florenz. Denn wer kennt diese Städte nicht? Doch wenn man auf den Spuren des nicht weniger bekannten Malers Raphael oder des Komponisten Gioacchino Rossini wandert, die aus den Marken kommen, dann muss man vielleicht schon mal zur Landkarte greifen. Sogar für manche Italiener ist die Region ein unbekanntes Terrain. Nicht von ungefähr schrieb der Reiseschriftsteller Guido Piovene Ende der 1950er Jahre spöttisch über die Marken: "In Mailand denkt man, sie liegen an der Grenze nach Afrika, in Palermo werden sie in der Nähe der Schweiz vermutet." In Wirklichkeit befinden sie sich ziemlich genau in der Mitte, nämlich zwischen der Adria und Umbrien.

Leopardis Weltschmerz

Das weitgehend vom Massentourismus verschonte Binnenland der Region wirkt streckenweise wie ein impressionistisches Landschaftsbild. Endlose Getreidefelder, Wälder und kleine Dörfer, in denen die Zeit stillgestanden zu sein scheint. Am Horizont die Sibillinischen Berge, von denen sich Flüsse den Weg zur Adria gegraben haben, wie die "Gola del Furlo", die Furlo-Schlucht, mit einem Naturreservat von außergewöhnlichem Flora- und Faunareichtum. Meist auf Hügelkuppen thronen wehrhafte Festungen, Kirchen und Klöster, viele aus den Zeiten, als noch die Päpste in Italien die Politik bestimmten. "Lieber einen Toten im Haus als einen Marchigiano vor der Tür", hieß es damals. Die bissige Redensart entstand, weil die Marchigiani für den Kirchenstaat die Steuern eintreiben mussten.

Giacomo Leopardi (1798-1837), Spross einer Grafenfamilie in Recanati und einer der berühmtesten Dichter Italiens, dessen Verse jedes italienische Schulkind rezitieren kann, mochte die Stille und die Enge seines Heimatortes nicht. "Hier ist alles tot", schrieb er, "was gibt es so Schönes in Recanati, das man gern sehen oder kennenlernen möchte? Nichts!"

Bereits als Kind flüchtete er sich am liebsten in die väterliche, schon damals rund 20.000 Bände umfassende Bibliothek, wo er mit elf Jahren Horaz übersetzte. Er lernte sechs Sprachen, verfasste Abhandlungen zur Astronomie und begann seine ersten Gedichte zu schreiben. Mit 24 Jahren verließ Leopardi erstmals seine Heimatstadt, lebte kurzfristig in Rom, Mailand, Bologna und in der Toskana, bis er, erst 39-jährig, in Neapel starb. Sein pessimistisches Lebensgefühl und die Auseinandersetzung mit der Realität des Leidens in seinen Werken, die ihn zum "Dichter des Weltschmerzes" machten, sollten eine ganze Geistesrichtung bestimmen. Die Stadt ehrt ihren großen Sohn mit einem Denkmal auf der Piazza Leopardi und der Wertschätzung seiner Verse, die über die ganze Stadt verteilt auf Marmortafeln verewigt sind. Hauptanziehungspunkt aber ist für Schulklassen und Literaturwissenschafter das stattliche Geburtshaus des Dichters mit einem Vorplatz, der Geschichte atmet.