Es gab die längsten Vorwahlen, die größten je dafür eingesetzten Geldmittel, Wahlveranstaltungen, die ganze Stadien füllten, die erste vom Internet und den neuen Medien weitgehend mit entschiedene Wahl; es gab die höchste Wahlbeteiligung vor dem eigentlichen Wahltag, erstmals zwei Politikerinnen in Schlüsselrollen, seit längerem wieder einen Präsidenten aus dem Norden des Landes, der zugleich seine Kindheit teilweise in einer anderen Kultur und Sprachwelt verbracht hat; und es gab den ersten schwarzen US-Präsidenten der Geschichte.

Ein Intellektueller

Das alles war neu und aufregend. Beinahe noch ungewöhnlicher aber war, dass die Wahl auf einen so jugendlich und dennoch ernsthaft wirkenden Mann fiel, der nicht davor zurückschreckt, sich intellektuell und belesen zu geben, und der seine Mitbürger wie Erwachsene behandelt. Barack Obama erwies sich bis jetzt als ein Politiker ohne falsches Pathos und gekünstelte Dramatik - "No drama, Obama!" Als ein Mann, der ohne anbiedernde Einlagen auskommt und der im schier endlosen Wahlmarathon weder Peinlichkeiten noch große Fehltritte beging. Er lieferte weder zusammen mit seiner händchenhaltenden Ehegattin reumütige Geständnisse ab, noch unternahm er krampfhafte Versuche, sein Image auf Machertyp oder "lässiger Kerl" umzustylen. Obama auf Entenjagd blieb uns ebenso erspart wie Obama mit Saxophon und Sonnenbrille in Late-Night-TV-Shows.

Stattdessen kann der neue Präsident darauf verweisen, der erste afro-amerikanische Chefredakteur der prestigeträchtigen Juristenzeitschrift "Harvard Law Review" gewesen zu sein und an der renommierten University of Chicago Verfassungsrecht unterrichtet zu haben.

Zum Leidwesen von Amerikas TV-Komödianten, aber zur Freude der übrigen US-Bürger gibt es nun wieder einen artikulationsfähigen Präsidenten. Das präsidiale Unvermögen, Gedanken in ganze Sätze zu fassen, die Kunst, sich bei der Aussprache des Wortes "nuclear" regelmäßig zu verhaspeln oder Sager wie "Seit ich Präsident wurde, bin ich jeden Tag in der Bibel" werden nicht mehr die Pressekonferenzen des Weißen Hauses mit unfreiwilliger Komik bereichern.

Stadt gegen Land

Politisch entscheidend war auch der Umstand, dass sich erstmals seit den sechziger Jahren das junge, multikulturelle, weltoffene und urbane Amerika gegen das religiös-populistische, weiße und kleinstädtische Hinterland durchsetzen konnte. Die naive Eishockey-Mama aus Alaska sowie die in den Wochen vor der Wahl von den Republikanern hofierte rechtspopulistische Politschablone "Joe, der Klempner" waren ja geradezu Inbegriffe des mittelständischen weißen Amerika, mit dessen Hilfe versucht wurde, die Wahl zu gewinnen.

Wohltuend war es, Obama bei diversen Präsentationen seiner Regierungsmannschaft zu erleben. Schneller und treffsicherer als seine Vorgänger stellte der erste postmoderne US-Präsident sein "Kabinett der besten Köpfe" zusammen. In diesem spiegelt sich die multikulturelle Zusammensetzung dieses neuen Amerika, das Strahlkraft und gesellschaftliche Dynamik besitzt und sich so sehr von Europa und dessen krampfhaftem Umgang mit Minderheiten, Einwanderern und dessen Standesdünkel unterscheidet. Verschwunden sind jetzt die Quotenfrauen und die Alibischwarzen, mit denen einst Bill Clinton sein "Kabinett, das Amerika widerspiegeln wird" angekündigt hatte. Allein im ureigensten Hoheitsbereich des Staates, der nationalen Sicherheits- und Außenpolitik, befinden sich unter den sechs wichtigsten Ernennungen (Heimatschutzminister, UN-Botschafter, Außenminister, Justizminister, Verteidigungsminister, Sicherheitsberater) lediglich zwei weiße Männer. Und die zeichnen sich, wie alle übrigen Ernannten, einerseits durch reiche Erfahrung und Sachkenntnis, andererseits durch Studienabschlüsse an Amerikas Spitzen-Universitäten ab.

Rechts von der Mitte

Diese außergewöhnliche Wahl wurde von außergewöhnlichen Umständen begleitet: von zwei Kriegen und der verheerendsten Wirtschaftskrise seit 80 Jahren. Angesichts so üppiger historischer Symbolik konnte man leicht in schwärmerisches Mythologisieren darüber verfallen, wie sehr sich denn Amerika in so kurzer Zeit gewandelt habe. Es entstanden Legenden von einem Linksruck, einer noch nie dagewesenen Wahlbeteiligung und einer Jugendrevolution, welchen Ereignissen Obama seinen Erdrutschsieg zu verdanken hätte. Wahr ist vielmehr, dass laut Exit polls das amerikanische Wählerherz immer noch mehrheitlich rechts von der Mitte schlägt, und dass die Wahlbeteiligung im Trend der letzten Jahre lag; nur, dass sich diesmal eher die Demokraten motivieren ließen, zur Wahl zu gehen. 42 Prozent der Wähler zählen sich zur politischen Mitte, 32 Prozent geben an, konservativ, und 22 Prozent, liberal zu sein - knapp ein Prozent mehr als vor vier Jahren. Auch die angeblich starke Jungwählerbeteiligung wird von der Statistik nicht bestätigt.

Allerdings waren ja auch seinerzeit die knappen Siege von George Bush keine Beweise dafür, dass die USA zu jenem Zerrbild verkommen waren, für das man sie in Europa gemeinhin ansah. Das Land war damals und ist nach wie vor in zwei relativ gleich große Gruppen gespalten, wobei diesmal ein eher unattraktives Wahlangebot und ein unpopulärer Amtsinhaber auf der Rechten dafür sorgten, dass sich das Meinungsklima um ein paar Prozentpunkte zu Gunsten des demokratischen Hoffnungsträgers verschob. Obamas Ausstrahlungs- und Überzeugungskraft sowie die katastrophale Wirtschaftslage taten ein Übriges. Daher wird der neue Präsident - allen überzogenen Erwartungen aus Übersee zum Trotz - eine gemäßigte Zentrumspolitik verfolgen und gerade in der Außenpolitik Stärke zeigen müssen. Täte er dies nicht, würde er der derzeit zerstrittenen Rechten ein willkommenes Angriffsziel bieten.