Seit kurz nach 23 Uhr der Nachrichtensender CNN den Sieg Barack Obamas proklamierte, gibt es auf dem Platz vor dem Verwaltungsgebäude an der Kreuzung Martin Luther King Boulevard und Adam Clayton Powell Jr. Boulevard kein Halten mehr. "We did it!", schreit einer hinter mir, "we did it. We did it. We did it!" Dazu hüpft er auf und ab und reißt die Arme in die Höhe.
Euphorie gibt es an diesem Tag nicht nur in Harlem, dem Zentrum afroamerikanischer Kultur in New York, der Arena der Bürgerrechtsbewegung. Obama-
shirts, Obamaflaggen, Banner, Plakate, Pins und Sticker - dieses Bild gab die ganze Stadt an diesem Dienstag ab. Vom Südzipfel der Insel bis zum Union Square. Den Broadway entlang durch das Village, Chelsea bis nach Midtown, wo CNN mitten auf dem Time Square eine Bühne errichtet hat. Vom Biergarten in Astoria über die unzähligen Bars und Clubs in allen Stadtteilen: Wahlbeobachtungspartys.
Die Menschen stehen auf den Straßen und verfolgen die Rechenspiele auf Videowalls. Bei jeder neuen Statistik, die den Sieg des Demokraten sicherer scheinen lässt, wird gejubelt. Republikaner - in New York sind sie ohnehin in der Minderheit. Aber an diesem Tag, so scheint es, existieren sie überhaupt nicht. Einer von ihnen ist der konservative Blogger Tim Peterson, den es gar nicht freut, durch die Straßen der glückstrunkenen Metropole zu spazieren. "Mir bereitet dieser Personenkult Kopfzerbrechen", sagt er, "ein derartiger Personenkult ist gefährlich."
"Gut für die Welt"
"O-B-A-M-A" skandieren seine Anhänger in Harlem. Zehntausende sind hier auf den Straßen. Nicht nur Schwarze sind es. Aus der ganzen Stadt sind Leute gekommen. Alte, Junge, Kinder. Asiaten, Latinos: "O-B-A-M-A" schreien sich die Leute an und fallen einander dann um den Hals. Eine Gruppe Franzosen, die für die UN arbeiten, haben ein Banner "France for Obama" entrollt. "Weil er gut ist für die Welt", erklärt eine der UN-Mitarbeiterinnen, die sonst in Genf arbeitet. "Er bringt uns alle zusammen", sagt eine Klosterschwester, die zusammen mit ihrer Nichte gekommen ist: "Er ist gut für Amerika und ich glaube, er ist gut für den Frieden."
Zur Musik von "Nothing's gonna stop us now" beginnt ein Pulk von 500 Leuten auf einmal zu tanzen. Eine spontane Choreographie. Auf einer Bühne entfachen Lokalpolitiker quasireligiöse Stimmung: "I have seen the promised land."
Yes we can. Ja, sie haben es geschafft. Haben etwas zustande gebracht, das viele in Europa nie für möglich gehalten hätten. Die gemeint hatten, am Rassismus in diesem Land würde diese Wahl letztlich scheitern. Sie haben eine Wende geschafft, die viele - die ihr Amerikabild aus Michael Moores Film "Bowling for Columbine" bezogen - nicht für möglich hielten. Dieser Abend ist ein Anfang.