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Ungewollter Kahlschlag

Von Karl Ettinger

Wald

In Fichtenwäldern frisst sich der Borkenkäfer auch heuer durch. Der Klimawandel hat massive Auswirkungen für Forstbetriebe und Natur.


Linz/St. Pölten. Ein Wurzelstock ragt neben dem anderen aus dem Hang. Die Sonne brennt auf die abgeholzten Flächen. Jeder Autofahrer, der von Mühllacken gut 20 Kilometer oberhalb von Linz zur Rohrbacher Bundesstraße unterwegs ist, merkt den Unterschied. Wo es früher im Hochsommer dunkel-schattig war, steigen jetzt kahle Hügel auf, weil der Fichtenwald geschlägert wurde. Der Kahlschlag war hier im Mühlviertel die einzige Möglichkeit, der Ausbreitung des Borkenkäfers entgegenzuwirken.

Noch dramatischer ist die Lage im Waldviertel in Niederösterreich. In Raabs an der Thaya gehören einem Besitzer 18 Hektar Wald. Vier Hektar stehen noch - es ist Jungholz. Das ganze alte Holz ist weg, auch das ist die drastische Auswirkung des Borkenkäferbefalls der vergangenen Jahre. Dieser hat sich im Vorjahr noch beschleunigt, weil lange Dürreperioden den Fichten zugesetzt haben. Das Waldviertel wurde besonders in Mitleidenschaft gezogen, egal ob es die Wälder privater Besitzer, Gemeindewälder oder die Forste des Stiftes Geras sind. Wegen der Fichtenmonokulturen und der Bedeutung dieser Baumart in Österreich, die rund die Hälfte der heimischen Waldfläche bedeckt, sind die Folgen groß.

Explosionsartige Verbreitung im Wald- und Mühlviertel

Im Wald- und Mühlviertel ist die Lage heuer nicht besser. "Die Dramatik liegt darin, dass im Waldviertel trotz des kühlen Mai der Borkenkäferbefall explosionsartig weitergeht", schildert der Forstdirektor der niederösterreichischen Landwirtschaftskammer, Werner Löffler, der "Wiener Zeitung". Der Klimawandel mit den im Schnitt gestiegenen Durchschnittstemperaturen wirkt wie ein Beschleuniger. Ein Forstexperte aus Oberösterreich verweist auf eine Art Faustregel. Die Fichte braucht im Jahresschnitt rund 700 Millimeter Niederschlag. Mit jedem Grad Anstieg der Durchschnittstemperatur werden 100 Millimeter Niederschlag zusätzlich notwendig.

Es bedarf auch für Stadtbewohner und Menschen, die Wälder nur vom Wandern kennen, keiner großen Fantasie, um zu ahnen, dass gesunkene Niederschlagsmengen die Überlebenschancen von Fichten stark vermindern.

In nüchternen Daten des Bundesforschungszentrums für Wald liest sich das so: 2018 lag die Zahl der durch Borkenkäferarten geschädigten Holzmenge bei 5,2 Millionen Festmetern. Damit ist der Rekordwert des Jahres 2017 nochmals um fast die Hälfte übertroffen worden. Um die Größenordnung einschätzen zu können: In Österreich werden pro Jahr rund 19,2 Millionen Festmeter Holz geschlagen. Die höchste Schadholzmenge verzeichnete im Vorjahr Niederösterreich mit 3,3 Millionen Festmetern, in Oberösterreicher waren es fast eine Million Festmeter.

Borkenkäferbefall mindert Erlöse beim Rundholz

Bei den Österreichischen Bundesforsten gibt es ein noch größeres Problem, wie Pressesprecherin Pia Buchner hervorhebt. Das Schadholz, das als Folge von Windwürfen, wie im Oktober 2018, und anderer Wetterereignisse wie heuer im Winter in einigen Regionen durch Schneedruck anfällt, ist in den vergangenen Jahren gestiegen.

Mit dem Abholzen allein ist es nicht getan. Wirtschaftlich frisst sich der Borkenkäfer im übertragenen Sinn in die Erlöse. Vereinfacht bringt Borkenkäferschadholz beim Sägerundholz nur halb so viel ein wie kerngesundes Fichtenholz. Einerseits müssen Sägewerke mehr wegschneiden, andererseits mindert die auch an der bläulichen Färbung erkennbare Schädigung den Wert des Holzes. Für Waldeigentümer ist deprimierend, dass der Käufer im Handel diesen Preisverfall nicht merkt. Die Situation spitzt sich noch aus einem anderen Grund zu. Die Sägewerke kommen teils mit der Verarbeitung gar nicht mehr nach. Manche Besitzer müssen froh sein, wenn gelagerte Stapel rasch abtransportiert werden. Zur Verschärfung trägt bei, dass auch die Fichtenwälder im benachbarten Tschechien und in Deutschland unter dem Borkenkäferbefall leiden.

Trotz erhöhter Schlägerung mehr Holzimporte

Was Waldbesitzer und auch Niederösterreichs Landwirtschaftskammerpräsidenten Johannes Schmuckenschlager nicht auf die sprichwörtliche Palme, sondern auf die Barrikaden treibt, ist der Umstand, dass im Vorjahr die Holzimporte trotz des erhöhten heimischen Anfalls aus dem Ausland um rund 20 Prozent gestiegen sind. Das war die doppelte Steigerung gegenüber inländischer Ware, deren Ankauf sich um zehn Prozent erhöht hat.

Das Land Niederösterreich greift Waldbesitzern heuer erneut unter die Arme. Vizelandeshauptmann Stephan Pernkopf hat erst diese Woche zusätzlich zwei Millionen Euro als finanzielle Unterstützung für Forstschutz und Wiederaufforstung zugesagt.

Die nächsten größeren Schwierigkeiten ergeben sich bei der Wiederaufforstung. Einerseits fehlen dafür Arbeitskräfte. Andererseits hat eine Abholzung unmittelbare Auswirkungen. "Die kahlen Flächen haben ganz andere Temperaturen, es gibt keine Beschattung", erläutert Forstdirektor Löffler. Er verweist auf den Waldviertler Waldeigentümer Markus Hoyos. Dieser habe 2017 und 2018 nach notwendigen Schlägerungen aufgeforstet, wegen der Dürre im Vorjahr seien aber 80 bis 90 Prozent der gepflanzten Bäume vertrocknet. Heuer sei immerhin durch den nassen Mai die Entwicklung bei den Jungbäumen günstiger.

Die Umstellung von Fichtenmonokulturen auf Mischwälder ist im Gang. Das Weinviertel, das Nordburgenland und die Südoststeiermark gelten unter heutigen Klimabedingungen als ungeeignet für die Fichte. Nach diesen Prognosen wird es auch in bestimmten Lagen des Mühl- und Waldviertels bis zum Ende des Jahrhunderts für diese Baumart eng. Wissenschafter rechnen damit, dass die Fichte in Lagen unter 800 Höhenmetern verschwinden wird. Dabei seien jedoch die genauen Auswirkungen vor allem für einzelne Regionen aufgrund unterschiedlicher Faktoren und Einflüsse nicht so sicher vorherschaubar, gibt ein oberösterreichischer Forstexperte zu bedenken.

Auch das Eschensterbengeht weiter

Für viele Ausflügler aus Wien sind im nahen Wienerwald andere Folgen viel sichtbarer. Es geht um die kurzfristig nötigen Schlägerungen von Eschen, die von einem Schädling aus dem asiatischen Raum mit dem niedlichen Namen "Falsches Weißes Stengelbecherchen" befallen sind. Für die Bundesforste schafft das ein spezielles Problem: Als Waldeigentümer ist man für vorhersehbare Gefahren auf Wanderwegen haftbar. Deswegen bleibt oft nur der Ausweg, Eschen in der Nähe solcher Wege zu fällen.

Wer im Frühjahr rund um die Sophienalpe bei Wien unterwegs war, wanderte daher an aufgehäuften Eschenstämmen vorbei. So wichtig die Vorsorge auch in diesen Fällen ist und so sehr auch Auwälder besonders betroffen sind. Die Esche ist im Vergleich zur Fichte wesentlich weniger verbreitet.