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Der Mythos Holzfäller

Von Edwin Baumgartner

Wald

Geboren aus der Notwendigkeit zum Symbol der Männlichkeit am Sonntag ist Holzfällertag.


Wer, bitteschön, sagt, dass der Holzfäller nichts mit Kunst und Kultur zu tun hat? Das kann nur jemand auf Abwegen sein.

Der Holzfäller steht nachgerade im Zentrum von Kunst und Kultur! Er ist deren Dreh- und Angelpunkt. Was sonst wäre die gerade Linie von Umpo-Hum Gomp, dem Urzeitkoch, Spezialität gegrillte Mammutmedaillons auf Schachtelhalmspießchen, zur gotischen Holzschnitzerei wenn nicht das geschlägerte Holz? Was sonst wäre das Bindeglied zwischen der einigermaßen kulturentscheidenden Seeschlacht von Lepanto und der österreichischen Literatur nach 1945 wenn nicht das Holzfällen? Was sonst verbindet Kaiser Wilhelm II. mit dem österreichischen Nachkriegskabarett, wenn nicht der Holzhackerbua? Was den mörderischen Renaissance-Komponistenfürsten Carlo Gesualdo da Venosa mit Heinz G. Konsalik?

Alles Holz! Und zwar Holz in geschlägerter Form.

Ja, sieht denn da einer Wald vor lauter Bäumen nicht mehr? - Zum Beil gegriffen, da muss hurtig gelichtet werden im Sinne von: Licht gehört ins Dunkel dieser Andeutungen.

Apropos Licht: Holz brennt. Ehe man auf die Wale als Öllieferanten kam, und dann, nach ihnen, auf Erdöl, Erdgas und Strom, lieferte Holz das Licht, indem man Kienspäne in Holzteer tauchte oder mit in Holzteer getauchtem Tuch umwickelte. Das gab Fackeln, die nicht einmal Kaiser Nero mit seinen etwas eigenwilligen Beleuchtungsversuchen übertraf.

Mythos Holzfäller? - Ja, tatsächlich, und wegen dieses Mythos ist am 26. September der Tag des Holzfällers, der Lumberjack Day. Auf so etwas kann nur das Volk verfallen, das einen Donald Trump zum Präsidenten gewählt hat? - Gemach! Erstens muss man als Angehöriger des Volks, dem ein Adolf Hitler entstammt, ohnedies ganz leise sein, wenn man über bizarre politische Wahlentscheidungen lästert; zweitens: Es ist ja sowieso nur ein Mal passiert (gut, das war völlig ausreichend, zugegeben); drittens: Es gibt wirklich einen mythischen Holzfäller da drüben über dem Atlantik. Sein Name ist Paul Bunyan. Da drüben über dem Atlantik erzählt man sich, Paul Bunyan und sein blauer Ochse Babe wären von erheblicher Größe gewesen. Paul Bunyan steht für den Pioniergeist, mit dem die Siedler das Land urbar machten. Er muss wirklich ein gewaltiger Kerl gewesen sein.

Ein sagenhafter Holzhackerbua

Dieser Paul Bunyan ist die Hauptgestalt der gleichnamigen Operette von Benjamin Britten, das Libretto stammt vom Star-Poeten Wystan Hugh Auden. Dichtung und Musik sind mit grandiosem Augenzwinkern geschrieben. Es war dennoch ein himmelschreiender Misserfolg. Weil halt die Titelfigur nur als Sprechstimme zu hören ist, aber nicht auf die Bühne kommt. Andererseits: Wie hätte man das bewerkstelligen sollen angesichts dessen, dass Paul Bunyan so groß war, dass er mit seinem Fuß den Lake Bemidji mit dem Fuß in die Erde gepatscht hat?

Paul Bunyan ist der Urtyp des Holzfällers. In ihm verkörpert sich eine Art gutmütig-rohe Männlichkeit, ein Muskeltanz gewissermaßen, das Spiel der Pranken gilt Axt und Säge, nicht dem Gesicht des Gegenübers. Man kann gar nicht anders, als sich diesen Paul Bunyan in einem rotkarierten Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln vorzustellen, obwohl zu dessen Herstellung verdammt viel Stoff gebraucht haben dürfte.

Holzfäller-Speck auf Holzfäller-Brot, Holzfäller-Hacksteaks, Holzfäller-Rauchsalz, Holzfäller-Eintopf, Holzfäller-Rohschinken: Der Holzfäller steht für urig, rau, bodenständig. Der Holzfäller inkarniert Männlichkeit - was bizarr anmutet, denn gerade der Holzfäller bringt ja sozusagen phallische Gewächse zu Fall, ist gewissermaßen ein Phallusfäller. Wenn man einmal in den Untiefen der Tiefenpsychologie planschen möchte.

Die Rodung von Wäldern war freilich wirklich Pionierarbeit in den ersten Tagen der Besiedelung Nordamerikas. Holz war der wichtigste Baustoff - und ist es lange geblieben. Heute wird er neu entdeckt. Speziell Vorarlberger Architekten verstehen sich auf die Holzbauweise von Häusern, und immer mehr Unternehmen stellen Holzteile her, die lange Zeit Wind und Wetter trotzen können.

Holzfällen kann freilich auch eine Art Therapie sein. Nachdem Carlo Gesualdo seine Frau und deren Liebhaber sozusagen den Holzpyjama angezogen hat, hat er die Wälder seiner Ländereien eigenhändig abgeholzt. Zumindest will das die Fama wissen, der Werner Herzog in seiner Quasi-Doku nachgegangen ist. Von Wilhelm II. ist es indessen verbürgt: Nach seiner Abdankung als deutscher Kaiser widmete er sich dem Holzfällen - und das trotz eines seit Geburt verkümmerten linken Arms, der seine Majestät zum Vorbild des Prinzen Klaus Heinrich in Thomas Manns Roman "Königliche Hoheit" werden ließ.

Diese beiden Male war das Holzfällen gewissermaßen ein Hobby. Der Bedarf an Holz für den Schiffbau in früheren Zeiten war indessen so enorm, dass ganze Landstriche abgeholzt wurden. Schon die Römer begannen, die Küstenregionen des heutigen Slowenien abzuholzen. Mittelalterliche Seefahrts-Stadtstaaten wie Venedig setzten das fort. Die Wälder der Küstenregionen gewannen für Europa sozusagen die Seeschlacht von Lepanto gegen die Osmanen und waren lange zuvor schon, im römischen Bürgerkrieg, bei Actium auf Rammkurs zueinander gegangen. Für die Flora und Fauna der Regionen hatte es verheerende Folgen.

Wälder zwischen Buchdeckeln

Apropos - ein paar Jahrhunderte weitergeblättert: Als Tirol in der Nachkriegszeit den Wintersport als Einnahmequelle entdeckte und Hang um Hang entwaldete, sangen Helmut Qualtinger und Gerhard Bronner: "Mir san so luschtige Hozhackerbuam, gschäftig und kräftig und allweil in Fuam". Murenabgänge können einen Holzfäller nicht erschüttern. Tourismus ist notwendig, leben nicht.

Aber Bäume wurden auch gefällt für die Papiergewinnung. Waldsterben für Goethes "Faust"? - Das mag angehen. Aber für Heinz G. Konsaliks "Alarm! Das Weiberschiff"? Für Krimi-, Grusel- und Gruselkrimi-Magazine? Was ist mehr wert: ein Wald oder ein "Landser"-Heft?

Manipulative Frage, zugegeben, zumal ja viel Wald gerade für Nutzholz aufgeforstet wird. Dennoch. . .

Zu guter Letzt’: Holzfällen, hochliterarisch, naturgemäß aus den Händen von Thomas Bernhard, der da so manchen Wildwuchs österreichischer Pseudokultur umsägt.

Lust auf ein neues Steckenpferd bekommen? - Es gibt Kurse für Hobbyholzfäller, und selbstverständlich ist der "Timbersport" längst Wettkampfdisziplin. Die schlechte Nachricht für angehende Lumberjacks und Timberjills in Österreich: Zumindest die Motorsägenführungskurse dürften ausgebucht sein.

So ein Krampf aber auch!

Da hilft am besten ein Holzhacker-Branntwein. Nur äußerlich anwenden, bitte. Entspannt!