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Die lebendige Welt des Toten Gebirges

Von Christa Hager

Wissen
Ein Blick auf das verschneite Hochplateau des Toten Gebirges.  
© Andy Stadtler

Ein umfangreicher Bildband widmet sich einem der letzten einsamen Bergparadiese der Ostalpen.


Im Schatten des Dachsteinmassivs und anderer klingender Bergnamen genießt das Tote Gebirge Außenseiterdasein. Schon der Name suggeriert nicht gerade das Bergleben, das sich viele Stadtbewohner unter einem Bergausflug vorstellen mögen. Denn seine mehr als 400 Quadratkilometer große Karstwüste, die sich auf rund 2000 Meter Seehöhe erstreckt, ist unwegsam, öde und karg. Sie ist der größte Karstkomplex Mitteleuropas und wird dominiert von steilen Felsgraten, Schutthalden und Gesteinsblöcken. Seine schroffen Formen hat das weißgraue Gebirge aus der Eiszeit, aufgebaut ist es zu einem großen Teil aus geschichtetem Dachsteinkalk. Es erstreckt sich von Ost nach West über die Landesgrenzen der Steiermark und Oberösterreich hinweg.

Einsamkeit und Stille herrschen hoch oben, rege Betriebsamkeit und mitunter Gedränge weiter unten, wo Almen, Wiesen, Wälder und Seen immer mehr Menschen anziehen – der Schiederweiher im Stodertal etwa, mit dem Dreigestirn Spitzmauer, Brotfall und Großer Priel, ist ein beliebter Fotostopp nicht nur vieler Autobustouristen.

Wichtige Verbindung zwischen Ost und West

Durch Eisenerz im Osten und Salz im Westen gilt das Tote Gebirge als die Schatzkammer der frühen Neuzeit, heute ist es die Schatzkammer der Natur: Es gibt seltene Schlucht- und Hangmischwälder, intakte Hochmoore und aus einer Karstquelle am Fuße des Warschenecks sprudeln aus 70 Metern Tiefe durchschnittlich rund 2.000 Liter Wasser pro Sekunde heraus. Der größte geschlossene und forstlich nie genutzte Lärchen-Zirbenwald der Alpen ist dort ebenso zu finden wie Reste von Urwäldern. Insgesamt wächst hier ein Drittel aller naturnahen Wälder Österreichs. Schätzungen zufolge gibt es im Gebiet des Toten Gebirges außerdem rund 20.000 Tierarten und ein Drittel aller Pflanzenarten, die in Österreich sprießen, zu entdecken, darunter auch viele Endemiten wie zum Beispiel der Nordostalpenmohn.

Die Höss in Hinterstoder mit Speicherteich für Beschneiungsanlagen. 
© Christa Hager

Das Tote Gebirge ist durch seine großen zusammenhängenden Naturräume obendrein ein wichtiger Trittstein für den Fortbestand vieler Lebewesen und ein wesentlicher Wildtierkorridor. Doch folgt man den Herausgebern des aktuellen Sammelbandes "Das Tote Gebirge. Lebenswelten in einem Naturparadies" ist die Vielfalt seiner Natur in Gefahr. Zwar ist mittlerweile ein großer Teil in der Steiermark geschützt, doch auf der Seite Oberösterreichs mit nur zehn Prozent Schutzstatus orten die Herausgeber des Buches großen Nachholbedarf. Denn Forstwirtschaft und Skitourismus setzen der facettenreichen Landschaft schwer zu. Auf rund 300 Seiten gehen in dem Ende des Vorjahres erschienenen Buch unterschiedliche Autoren daher auf die Besonderheiten dieses Gebietes ein. Man folgt den Spuren von Luchs und Bär, begibt sich auf Zeitreisen bis in die Eiszeiten hinein, gleitet mit einer "alpinen Gondel" über den Altausseersee, und neben Wissenschaftlern kommen auch Höhlenforscher, Bergsteiger, Literaten oder Handwerker zu Wort. Klaus Maria Brandauer erzählt ferner in einem Interview über das Bergtheater auf dem Solesee eines Salzbergwerk, und wenn es um die Musik dieser Gegend geht, darf auch Hubert von Goisern nicht fehlen.

Vieles wird in dem Sammelband aufgrund der breiten Themenauswahl nur kurz angerissen, es mangelt aber trotzdem nicht an inhaltlicher Tiefe. Veranschaulicht werden die Texte mit vielen Illustrationen, historischen und aktuellen Fotos, einer Landkarte und präzisen Beschreibungen zu den Wander-, Ski-, See-, Almen-, oder Klettertouren. Auch auf die Möglichkeit von Bergtourismus abseits von Events und Skizirkus wird am Ende des Buches im Detail eingegangen. Angesichts der anregenden und kurzweiligen Lektüre ist es ein schönes Unterfangen, bis zum Schluss zu lesen und bei einem etwaigen Besuch (nicht nur) des Toten Gebirges die Worte dieser letzten Seiten zu beherzigen.

Das Tote Gebirge. Lebenswelten in einem Naturparadies. Willlibald Girkinger, Lutz Maurer, Franz Sieghartsleitner (Hrsg.), Trauner Verlag, 2020, 292 Seiten. 43,95 Euro