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Bäume mit Internetadressen

Von WZ Online, Franz Zauner

Wald

Der digitale Wiener Baumkataster erfasst 191.000 Bäume. Nicht alle kann man online sehen.


Wien. Die Chance, in Wien einen Baum zu treffen, ist recht groß. Abgesehen vom Wienerwald, dem Lainzer Tiergarten, der Lobau und dem Prater, wo sie konzentriert in Erscheinung treten, stehen auch sonst auf Straßen, Gassen und Plätzen viele schöne Exemplare herum. Insgesamt befinden sich etwa 500.000 Bäume in städtischer Obhut. Meist ignoriert man sie ja, es wäre aber nicht schwer, manche von ihnen näher kennen zu lernen.

Wenn ein Baum eine kleine, silberne Plakette mit einer Nummer trägt, dann ist er einer von 191.000, die im Baumkataster registriert sind. Er hat dann sozusagen eine eigene Homepage. Einem Date steht also nichts im Wege.

Der Baum Nummer 202 zum Beispiel, wohnhaft in Wien 22, ist ein Koelreuteria paniculata, ein Blasenbaum. Im Internet behauptet er von sich, schon 3 Meter groß zu sein und einen Stammumfang von 10 Zentimeter zu haben. Wenn man ihm dann leibhaftig gegenüber steht, blickt man auf ein filigranes, zart gebautes Bäumchen, gewissermaßen ein Baumkind. Die große Zeit dieses Koelreuterias paniculata wird noch kommen. Das Bäumchen wurde erst 2011 gepflanzt, wie der Kataster vermerkt.

Viele, viele Baum-Apps

Einigermaßen exotisch dürfte das junge Gehölz indes sein, weder eine Gratis-App namens "Gehölze" noch die Bezahl-App "Identify Tree", zwei aus der großen Masse jener Apps, die sich der Pflanzen-Bestimmung verschrieben haben, wissen Näheres über ihn. "Identify Tree" erlaubt es, Bäume anhand ihrer Eigenheit zu bestimmen: Man wählt Blattformen, Blütenfarben, Kronenschemata, Baumhöhen und andere Merkmale aus, und die App findet heraus, wie der unbekannte Baum wirklich heißt. Die Gratis-App "Gehölze" besteht im Kern aus einer langen Liste mit Gehölz-Namen und Fotos dazu.

Überhaupt gibt es Hunderte Baum-Apps, die für Android- oder Apple-Smartphones zur Verfügung stehen. Von simpler Botanik über angewandte Forstwirtschaft bis zur konkreten Holzverarbeitung reicht das Angebot.

Am Ende ist es dann wieder einmal das Online-Lexikon Wikipedia, das Fakten über den Blasenbaum liefert: Der heißt botanisch korrekt Blasenesche (Koelreuteria paniculata), firmiert unter dem Nickname "rispiger Blasenbaum" und "ist eine Pflanzenart in der Familie der Seifenbaumgewächse (Sapindaceae)", die ursprünglich aus China kam, ehe sie im 22. Bezirk landete.

Lücken im Baumkataster

Der Blasenbaum mit der Nummer 202 hat darüber hinaus den Vorzug, dass es ihn wirklich gibt. Nicht alle im Baumkataster vermerkten Gehölze wohnen noch unter der angegeben Adresse, was gelegentlich für Enttäuschungen bei den Usern sorgt. Das hat technische Gründe: "Tatsächlich ist der Baumkataster tagesaktuell", sagt Gabriele Thon, die Pressesprecherin der Wiener Stadtgärten. Allerdings hat man online als gewöhnlicher User nichts davon. Wegen einer Software-Umstellung, die mit einem großflächigen Umbau der Datenstrukturen verbunden ist, wird bis Jahresende nicht der neueste Stand gezeigt.

Die Datenerfassung für den Baumkataster geht indes normal weiter: Die rund 40 BaumkontrollorInnen der Stadt Wien protokollieren weiter den Zustand der Wiener Bäume. Morsches Geäst oder andere botanische Gefahrenquellen lassen sich so rechtzeitig erkennen und beseitigen.

Wie viele User sich online über den Baumkataster den Wiener Bäumen nähern, kann die Pressesprecherin nicht sagen. Eine User-Statistik für den Baumkataster gibt es nicht.

Obstbäume zum Naschen

Rund um den Baumkataster entstand eine Reihe anderer Apps, die dessen Daten nutzen - und manchmal an der mangelnden Aktualität scheitern. Da ist zum Beispiel die liebevoll gestaltete WebApp "Fruchtfliege", die die fast 2000 frei zugänglichen Obstbäume nach Reifezeit und Obstsorten sortiert und mit Rezepten garniert in einer Google Map verortet. Da erwies sich gleich die erste Wahl, die Marille mit der Nummer 115, als Missgriff. Am angegeben Ort erschien sie nicht zum Rendezvous.

Ebenfalls von den Daten des Baumkatasters lebt ein kleiner Holzwurm, den man sich mit der App Woody auf’s Smartphone holen kann. Nach dem Willen seiner Erzeuger, drei jungen Entwicklern und einem Grafiker des Kollektivs Os, soll Woody "auf spielerische Art Bewusstsein für Natur im urbanen Raum" schaffen, wie es auf der Homepage heißt. Dafür muss man Woody mit Holz füttern. Das geht nur, wenn man sich physisch vor einem echten Baum befindet, was die App dank der Geo-Daten der Bäume aus dem Baumkataster jederzeit nachprüfen kann.

Um Woody angemessen zu ernähren, muss man in einer martialischen Variante des Spiels das Smartphone wie eine Axt schwingen und den Baum virtuell fällen. Es versteht sich, dass man früher oder später brav nachpflanzen muss. Werden nämlich zu viele Bäume ersatzlos gestrichen, bricht über kurz oder lang das virtuelle Öko-System zusammen. In einer harmlosen Spielvariante kann man Woody für einen schnellen Snack zwischendurch mit dem Smartphone ins Geäst schupfen.

Die Android-App, eine frühe Fingerübung der Os-Entwickler, die zuletzt mit der Spaß-App Newspeak Furore machten, hat allerdings noch eine gewöhnungsbedürftige Usability: Verlassen muss man sie etwa über die Back-Taste.

Bäume sind nicht immer nett

Bäume sind indes nicht für alle Menschen gleich nett. Als Pollen-Emittenten können sie Allergikern das Leben schwer machen.

Das "Pollenradar Wien" visualisiert die Feindbäume der Betroffenen im Wiener Stadtgebiet, damit sie ihnen besser ausweichen können. In einem "Pollenkalender" kann man das botanische Bedrohungsbild auf einzelne Baumarten einschränken - und ihren ausweichen.