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Das bedrohte Amazonien Europas

Von Thomas Seifert aus Sibiu

Wald
Urwaldparadies bei Câineni südlich von Sibiu. In Rumänien befinden sich die letzten großen Urwälder Europas.
© Thomas Seifert

Die letzten Urwaldparadiese in den rumänischen Karpaten sind durch die Holzmafia bedroht.


Forstarbeiter nach der Arbeit.

Sibiu. Die Sonne sticht durch die tief liegende Wolkenschicht und breitet einen Vorhang aus Licht über das wildromantische Urwaldtal. Die Grenzen zwischen Licht und Schatten sind scharf gezogen, das Spiel zwischen Hell und Dunkel ist so raffiniert, als führte der Chefbeleuchter des Burgtheaters die Lichtregie.

Ein magisches Schauspiel.

Im Tal hört man in der Ferne den Fluss rauschen, die feuchte Luft hat ein feines Waldduft-Aroma. Die Bäume an den Berghängen bieten mehr Grüntöne, als auf eine Farbskala passen, in das Rascheln der Blätter mischt sich ab und zu Vogelgezwitscher. Buchenwälder, so weit das Auge reicht, ein kleines Amazonien im Südosten des europäischen Kontinents.

Die pure Idylle.

Adalbert Stifter, der naturverbundene Meister der biedermeierlichen Naturdarstellungen, hätte die Landschaft, so wie in seinem Text "Der Hochwald", wohl als ein Gewimmel mächtiger und doch sanfter Joche und Rücken, die gegeneinanderschieben, beschrieben, hätte vom wogigen Hügelland geschwärmt, das strömende Bäche absendet. Christoph Ransmayr, dem Giganten der österreichischen Gegenwartsliteratur, wäre vermutlich die jäh abfallende Lichtung des Mischwaldes aufgefallen: "Alles ist, als ob es immer so gewesen wäre: menschenleer, still und halb in den Wolken. Sehr still", schreibt Ransmayr in einer Reportage über den Totengräber von Hallstatt.

Die Kirche im Ort Câineni.

Doch dieses Tal der wildromantischen Idylle liegt im Herzen der rumänischen Karpaten, unweit von Sibiu (Hermannstadt), und ist rund 860 Kilometer von Hallstatt entfernt. Der nächstgelegene Ort heißt Câineni, und die Gegend in den rumänischen Südkarpaten ist viel menschenleerer, beschaulicher und stiller als die Gegend um Hallstatt, die ihre ransmayrsche Beschaulichkeit längst im Touristenrummel verloren hat. Das Tal - ein einzigartiges Naturjuwel - steht eigenartigerweise nicht unter Naturschutz, und nur der Abgeschiedenheit und dem schlechten Zustand der Straßen ist es zu danken, dass weit und breit kein knatternd-schriller Motorsägen-Lärm zu hören ist.

Holzverarbeiter unter Verdacht

Umweltprotest der rumänischen NGO "Agent Green".

Der Wiener Umweltaktivist und Fotograf Matthias Schickhofer kämpft gemeinsam mit der Stiftung Euronatur dafür, dass in der Region ein Nationalpark entsteht und die Gegend unter strengen Schutz gestellt wird. Doch auch der Status als Nationalpark ist in Rumänien keine Schutzgarantie. Es gab in der Vergangenheit immer wieder Vorwürfe, dass lokale Holzmafias illegal Holz aus Urwäldern und Naturschutzgebieten an die Sägewerke und Holzverarbeiter liefern.

Erst diesen Mittwoch hat die auf organisierte Kriminalität spezialisierte Abteilung DIICOT der Staatsanwaltschaft unter Beteiligung von Spezialeinheiten der Gendarmeriebrigade "Vlad Tepes" (der zivile Name von "Graf Dracula") Durchsuchungen am Hauptsitz der rumänischen Tochter der österreichischen Firma Holzindustrie Schweighofer durchgeführt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt zum Verdacht, dass das Unternehmen seit 2011 illegal geschlagenes Holz angekauft habe. Am Mittwochmorgen durchsuchten dutzende DIICOT-Ermittler den Hauptsitz der Firma, deren vier Sägewerke im Land sowie knapp zwei Dutzend weitere Standorte, zehn Firmenmitarbeiter wurden einvernommen.

Laut rumänischer Polizei stehen "leitende Mitarbeiter besagten Handelsunternehmens" im Verdacht, seit 2011 "den Kauf von illegalem Rundholz koordiniert" und Ausschreibungen zahlreicher Forstbehörden "zweckentfremdet" zu haben, um sich zusätzliches Holz für die eigenen Sägewerke zu beschaffen. Ein guter Teil des eigenen Holzes sei laut Ermittlern in den Buchhaltungsunterlagen nicht erfasst worden.

Den Schaden beziffert die Polizei laut Austria Presse Agentur auf etwa 25 Millionen Euro. Einer der Vorwürfe lautet laut Auskunft aus gut informierten Kreisen, es gebe glaubwürdige Gründe für die Annahme, dass 27 Lieferanten eine Menge von 30.141 Festmetern Rundholz ohne Herkunftszertifikat an das Werk in Sebes angeliefert hätten.

Ein verfallenes Gehöft in der Nähe von Câineni, südlich von Sibiu.

Schweighofer hat in einer Presseaussendung die Hausdurchsuchungen durch die rumänischen Behörden bestätigt und den Ermittlern volle Zusammenarbeit zugesichert. Man unterstütze die rumänischen Behörden im Kampf gegen unrechtmäßige Holzernte und bei der Sicherung einer nachhaltigen Holzindustrie in Rumänien, heißt es.

Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" erklärte Michael Proschek-Hauptmann, Chef der Abteilung für Compliance und Sustainability bei Schweighofer, am Montag, dass das Unternehmen heute in der Lage sei, jede Holzlieferung direkt vom Ursprung bis zum Werkstor nachzuvollziehen. "Schweighofer hat eine Holzeinkaufspolitik verabschiedet, in der das Unternehmen sich verpflichtet, kein Holz aus Nationalparks und Urwäldern zu beziehen" - also noch vor dem Beginn der polizeilichen Ermittlungen. Tatsächlich hat das Unternehmen, das seit 2002 in Rumänien tätig ist und dort Sägewerke und Plattenwerke betreibt, laut eigenen Angaben rund eine Million Euro in das GPS-System Timflow investiert, das die öffentliche Nachverfolgung aller Rundholz-Lkw bis zum Werkstor ermöglicht. Von den rund 3100 Arbeitnehmern bei sind gut 2700 in Rumänien beschäftigt.

Kahlschlag im Nationalpark?

Kahlschlagfläche im Domogled-Nationalpark.

In Rumänien wird Schweighofer attestiert, dass das Unternehmen Anstrengungen setze, vergangene Fehler nicht weiter zu begehen - auch der österreichische EU-Abgeordnete Thomas Waitz sagte nach einem Besuch bei Schweighofer, dass er glaube und hoffe, das Unternehmen werde die Sünden der Vergangenheit aufarbeiten. Immerhin sei er über die neuen Kontrollsysteme ausführlich informiert worden. Beim benachbarten Werk des österreichischen Pressspanplattenherstellers Kronospan gab es hingegen kein Interesse, mit dem EU-Parlamentarier über die Geschäftspraktiken in Rumänien zu sprechen.

Aber selbst wenn es gelingt, den holzverarbeitenden Sektor in Rumänien unter Kontrolle zu bringen, ist in den Wäldern davon noch wenig zu merken. Ein Streifzug durch die Urwälder des Domogled-Nationalparks nördlich des einstigen k. & k.-Kurorts Baile Herkulane (Herkulesbad), in dem auch Kaiserin Elisabeth (Sisi) mehrfach auf Kur weilte, macht dies deutlich.

Auf einer Lichtung gleich neben einer breiten Forststraße liegt ein rund 350 Jahre alter Baum in Stücke geschnitten. Ein Holzarbeiter lässt seine Motorsäge liegen und den Lkw und den riesigen Holzeinbringungstraktor stehen und macht sich davon. Offenbar hat er kein Interesse, mit der ankommenden Delegation aus Vertretern der rumänischen Forstverwaltung Romsilva, Umweltaktivisten, dem grünen EU-Abgeordneten Waitz sowie österreichischen Journalisten zu sprechen.

Waitz ist entsetzt: "Warum nur wird ein 350 Jahre alter Baum gefällt", will er wissen, "und das in einem Nationalpark?" Die Vertreter der Forstverwaltung Romsilva haben eine Erklärung: Die Baumfällung sei Teil der Forstpflege gewesen. So werde der Wald stetig verjüngt und dadurch sei er gesünder. Der von den rumänischen Staatsforsten Romsilva bestellte Nationalparkdirektor Ioan Gaspar sagt dazu: "Der Wald will abgeholzt werden."

Der Steirer Waitz, selbst Biobauer und Forstwirt, ist mit diesen Erklärungen ganz und gar nicht einverstanden: "Was hier gemacht wird, wäre in einem Wirtschaftswald durchaus vernünftige Forstwirtschaft. Nur mit einem Nationalpark hat das nichts zu tun." Und ein derart alter Baum dürfe schon gar nicht gefällt werden, denn solche Bäume seien die ideale Behausung für bestimmte im Baum nistende Vogelarten und böten bestimmten Waldbewohnern in den Höhlen und Klüften des Baumes Unterschlupf. Dies wiederum nütze der Biodiversität des Waldes.

Der EU-Parlamentarier ist überzeugt, dass bei Romsilva das Profitstreben und eine effiziente Waldbewirtschaftung im Vordergrund stehen - und nicht die Pflege des Nationalparks. Nach Ansicht des Forstverwalters Dragos Mihai, der bei Romsilva für zwölf Nationalparks zuständig ist, sind die Abholzungen in der sogenannten Pufferzone des Parks absolut legal - die strengen Abholzungsverbote würden nur für die Kernzone des Nationalparks gelten, meinen die Romsilva-Vertreter.

Dorfidylle in Prisacina

Gabi Paun von der rumänischen Umweltorganisation Agent Green, die in der Vergangenheit immer wieder auf Umweltsünden im Nationalpark aufmerksam gemacht hat und die Machenschaften der rumänischen Holzmafia beobachtet, sieht das anders und verweist im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" darauf, dass nach den Regeln der Weltnaturschutzunion IUCN (International Union for Conservation of Nature) mindestens 75 Prozent eines Nationalparks streng geschützt werden müssen. Die Nationalparkverwaltungen seien gesetzlich verpflichtet, "jegliche Formen der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen und Landnutzung" auszuschließen, die mit Schutzzielen nicht vereinbar seien.

Nistor Talpes aus dem kleinen Dörflein Prisacina im Nationalpark.

Nistor Talpes hat von der Weltnaturschutzunion IUCN noch nicht viel gehört und ist kein smarter NGO-Vertreter, sondern ein einfacher Bewohner des Dörfleins Prisacina im Domogled-Nationalpark, wo er jahrzehntelang auch Förster war. Heute ist Talpes Pensionist und lebt mit seiner Familie in Prisacina so, wie Menschen seit Generationen dort gelebt haben: Er bewirtschaftet ein kleines Feld, auf der Weide steht ein Pferd, sein Hund folgt ihm auf Schritt und Tritt.

Talpes schätzt die Ruhe und Abgeschiedenheit an Prisacina. Immerhin gibt es seit dem Jahr 1990 ein wenig Strom aus einem Kleinwasserkraftwerk. Zum Betrieb eines Kühlschranks oder einer Waschmaschine reicht die angelieferte Strommenge zwar nicht aus, aber immerhin. Und seit kurzem gibt es sogar ein Mobilfunksignal. Doch das Leben ist hart im Dorf. Die Straße ist nur mit einem guten Allradfahrzeug mit hohem Radstand befahrbar. Und Talpes Haus ist in keinem guten baulichen Zustand. Der Besitzer mein dazu lapidar: "Wir sind ans harte Leben gewöhnt."

In seinem Tal habe es nie Holzfäller gegeben - und das solle auch so bleiben, sagt er mit einem warmen Timbre in der Stimme. "Wenn die hier mit dem Fällen von Bäumen beginnen, dann bekommen wir stärkeren Wind im Tal. Außerdem haben wir Bodenerosion und Überschwemmungen zu befürchten, wenn die Bäume weg sind." Von Baumschlägerungen rund um Prisacina will Talpes deshalb nichts hören.


Compliance-Hinweis: Einen Teil der Reisekosten für diese Reportage übernahm die Stiftung Euronatur.

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