Es weihnachtet. Das ist kaum noch zu übersehen. Was mit der einen oder anderen dezenten Lichterkette begonnen hat, ist bereits vor Wochen in der beinahe flächendeckenden Ausbreitung von Weihnachtsmärkten und Punschständen gegipfelt. Die ganze Innenstadt durchweht ein Geruchsmix aus Zuckerwatte und Gewürznelken. Neben Auge und Nase, sind auch die Ohren involviert. Vom Maronibrater bis zum Kaufhaus gibt es kaum einen öffentlichen Ort, der seine Besucher und Kundenschar nicht mit dem passenden Soundtrack zu beglücken sucht: den Weihnachtsliedern.

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Wie das ganze Fest ist auch der akustische Teil von Weihnachten längst der trauten Intimität der Familie entwachsen - vielleicht auch entrissen. Professionalisierung, öffentliche Allgegenwart und Kommerzialisierung sind auch hier die treibenden Kräfte - Konsumgesellschaft und Digitalisierung sei Dank. Die Liste der CDs mit weihnachtlichen Klängen wird jährlich länger, für jeden Geschmack liegt der richtige Sound bereit. Die Kehrseite der perfekt balancierten Berieselung: Das musikalische Wissen darum, selbst in die singende Schar einzustimmen, nimmt ab. Ein Instrument spielen zu können - und sei es nur die viel geliebte und gehasste Blockflöte - oder gar gemeinsam in der Familie zu musizieren, gehört längst nicht mehr zur Grundausstattung einer allgemeinen (bürgerlichen) Erziehung.


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Also weihnachtliche Stille oder ausschließlich Fremdberieselung? Mitnichten. Unterm Christbaum oder auch um den Adventkranz gesungen wird auch 2019. Doch die Orte, an denen das Wissen um die Melodien und Texte weitergegeben wird, haben sich geändert. Für die Kleinsten haben die traditionellen Lieder einen fixen Platz in den Kindergärten und Schulen. Vorgaben von Seiten der Bildungsdirektion Wien, heißt es auf Anfrage, gibt es diesbezüglich keine. Doch Schulen melden das vorweihnachtliche gemeinsame Musizieren als gängige Praxis - überkonfessionelles Lichterfest hin oder her.

Auch für erwachsene Singwillige ist das Einüben der Stücke - sofern es nicht im Kreise der Familie geschehen ist - öffentlicher geworden. Entsprechende Angebote in der Vorweihnachtszeit sind nachhaltig gefragt. Dirigent Heinz Ferlesch etwa, künstlerischer Leiter der Wiener Singakademie, gestaltet seit nunmehr 15 Jahren im Wiener Konzerthaus ein gemeinsames weihnachtliches Probieren und Musizieren. Für die beiden Termine am Wochenende gibt es nur noch Restkarten. Erarbeitet werden dabei, unterstützt von erfahrenen Musikerinnen und Musikern, in zwei Stunden sechs Stücke - in zwei- bis vierstimmigen Sätzen. Die entsprechenden Noten erhalten die Teilnehmer und können das Erprobte dann auch zuhause nachsingen, schließlich soll die Aktion auch in die Wohnzimmer ausstrahlen.