"Beifuß Lisa", nahezu panisch hallt der Ruf der älteren Dame durch die Luft. Unbeeindruckt sprintet ihr Chihuahua seinem Ziel entgegen. Die Gruppe junger Punks empfängt das Fellknäuel lachend. Wie verrückt wälzt sich das Tier - Bierdosen umstoßend – auf der Picknickdecke. Entschuldigend und völlig außer Atem erreicht auch die Dame die Jugendlichen. Ein Kletterer beobachtet, drei Meter über den Boden in der Steinmauer hängend, die Szenerie. Jogger laufen vorbei, ein Obdachloser schnarcht auf der Parkbank. Es ist einer der letzten warmen Tage des Sommers. Die braune Suppe des Donaukanals fließt träge vorbei. Gegenüber des Ringturmes, am Sonnenufer des Donaukanals, liegt die letzte unverbaute Wiese zwischen Augarten und Franzensbrücke.

Die Bürgerintiative "Donaucanale für Alle!" setzt sich für eine Wiese am Donaukanl ein. Ein Investor will hier den Eventbereich "Sand and Sky" mit 800 Sitzplätzen errichten. - © Donaucanale für Alle!
Die Bürgerintiative "Donaucanale für Alle!" setzt sich für eine Wiese am Donaukanl ein. Ein Investor will hier den Eventbereich "Sand and Sky" mit 800 Sitzplätzen errichten. - © Donaucanale für Alle!

Sie ist nicht nur eine beliebte Wiese inmitten der Großstadt, sondern auch ein Schauplatz erkämpfter Bürgerbeteiligung. Denn die Bürgerinitiative "Donaucanale für Alle!" hat hier im Frühjahr 2015 die Pläne eines Investors durchkreuzt. Er wollte genau hier einen Eventbereich mit mehr als 800 Sitzplätzen errichten. Als das Vorhaben an die Öffentlichkeit gelang, dauert es nicht lange, bis sich eine Gruppe von Aktivisten formierte. Sie organisierten Demonstrationen, sammelten Unterschriften und veranstalteten Protestpicknicks. Und siehe da, die Mühen haben gefruchtet. Anfang Juli entschied sich der Fachbeirat für Stadtplanung und Stadtgestaltung gegen die Bebauung der Fläche. Trotz massiver Unterstützung des Leopoldstädter Bezirksvorstehers Karlheinz Hora (SPÖ) konnte sich der Investor nicht durchsetzen.

Theoretisch fundierter Aufstand

Die Initiative "Donaucanale für Alle!" ist eine von vielen neuen Bewegungen engagierter Bürger in Wien. Sie setzten sich für die Öffnung von Freiräumen für die Allgemeinheit ein, fordern die kreative Nutzung von ehemaligen Industriebauten oder stemmen sich eben gegen die Privatisierung einer öffentlichen Wiese. Dabei unterscheiden sie sich grundlegend von Anrainerinitiativen, die etwa für ein Verbot von Prostitution oder gegen die Installierung eines Drogenberatungszentrums auf die Straße gehen. Die neuen Bewegungen sind vielmehr theoretisch getrieben, die Eigeninteressen geraten in den Hintergrund. Sie fordern ein Recht auf öffentlichen Raum und wollen diesen vor weiteren Privatisierungen schützen. Sie rekrutieren sich meist nicht aus zornigen Anrainern, sondern aus Stadtforschern, Architekten und Aktivisten die sich im Sinne des Philosophen Lefebvres mit dem Recht-auf-Stadt-Diskurs auseinandersetzen. Die neuen Formen des Protests erleben in den letzten Jahren einen regelrechten Boom und finden auch in Phänomenen wie Urban Gardening ihren Ausdruck.

Anders als in anderen europäischen Städten haben sie in Wien jedoch kaum Tradition. Die Hamburger Hafenstraße oder der Berliner Stadtteil Kreuzberg sind Symbole für politisch motivierten Aufstand. Und auch im letzten Jahrzehnt bildete sich dort immer wieder Widerstand gegen die Interessen privater Investoren und die Pläne der Stadt. So gingen in Hamburg Tausende Einwohner gegen Verkauf und Abriss des historischen Gängeviertels auf die Straße. Die Stadt sah sich nach monatelangen Protesten gezwungen die zuvor verscherbelten Häuserblocks wieder zurückzukaufen und den Bürgern zur Verfügung zu stellen. In Berlin verhinderten Bürgerinitiativen die Bebauung des ehemaligen Flughafens Tempelhof.

"Kaiserwiese für Alle!"

Doch je schneller die Stadt wächst, desto größer wird auch in Wien der theoretisch fundierte Widerstand gegen die Verbauung von Freiflächen und deren kommerzielle Nutzung. Die Aktivisten der Bürgerinitiative "Kaiserwiese für Alle!" sehen beispielsweise den Erholungswert der Kaiserwiese im Prater durch zu lange Veranstaltungen wie das "Wiener Wiesn"-Fest gefährdet. In ihrer Auffassung einer modernen Stadt sollte die Wiese vor dem Riesenrad ein konsumfreier Raum bleiben. Sie befürchten ihre Umwandlung in eine Veranstaltungsfläche zur Maximierung von Privatgewinnen. Laut Website der Initiative sei die Wiese nach der Veranstaltung wochenlang abgesperrt gewesen, weil der Rasen völlig zerstört war. Schnell waren 3.200 Unterschriften gesammelt und im Petitionsausschuss eingebracht.

Eine endgültige Entscheidung über die Zukunft der Kaiserwiese ist zwar noch nicht gefallen, die Initiative hat jedoch medial großen Wirbel geschlagen. Und so rücken die neuen Bewegungen zumindest den Recht-auf-Stadt-Diskurs ins Licht der Öffentlichkeit und sensibilisieren die Bürger für die Probleme einer wachsenden Stadt. Der Kampf um den Erhalt von Freiräumen hat nun definitiv auch in Wien begonnen.