Gehörschutz empfiehlt ein Schild vor dem Tor. Wo Jean Michel Bruyère mit der umwerfenden Post-Hardcore-Band "The Fourth is Bearded" überlaut und stumm mit Spruchbandsprüchen sein Memento an Aufstände und Befreiungskämpfe vor fünfzig, sechzig Jahren zelebriert. Er rückt das Leidensmaß der Wiener Heldengeneration aus 68 zurecht, die sich heuer für ein Hörsaalhappening und ein paar Polizeistrafen feiern lässt.
In der Gösserhalle der Festwochen hinterm Hauptbahnhof sind Kuba, Amerikas Südstaaten, Nordafrika in Frankreich und die Internationale der blutroten Fahnen und Kalaschnikows aufgerufen. Fanfaren und Marschmusik grüßen aus Castro-Land, Black-Panthers-Prominenz wie die Mordsschwester Assata Shakur, H. Rap Brown, Bobby Seale erscheinen in Videos, Bildern, Texten – und der französische Vordenker der Entkolonialisierung Frantz Fanon immerhin als Namenschild.
Mit dem Leitspruch auf dem größten Transparent, "Are you free at the moment?", könnte eine Sozialpsychotherapie beginnen. "Freedom" ist das Substantivum regens in diesem Museum ausgeträumter und ewiger Träume – und eingefrorener Kornetttöne. Bruyère und sein Kollektiv LFKs aus Marseille signalisieren im Titel ihres Gastspiels Müdigkeit, ja Resignation: "Lhabitude" heißt Gewohnheit, das Gewohnte. Nicht originell das Denunziationsobjekt kleinbürgerlicher Behaglichkeit: Häuschen mit Garten, ein treuer Schäferhund. Die Kreideschrift "Lart est un poulet bio" verhöhnt den trendigen Kunstbetrieb. Wem aber gelten die Schimpftafeln "Ta mère la pute" (Hurensohn) und "Salope" (Schlampe)?
Stellt die regungslose Frau mit einer Lanze in der Hand – Pariser Mai! – Jeanne dArc vor? Ja und Nein. Sie spricht (von anderen Tonquellen überlagert) eine Gefängnisbotschaft von Assata Shakur, einer Schwester im Geiste zu Ulrike Meinhof.
Jeder Besucher wird beim Herumwandern Favoriten entdecken. Im Kamerafokus auf eine kubanische Tankstelle fahren rare Oldtimer vor. Der rote ohne Ende: ein Ford Edsel? Unscheinbar, doch vielsagend: ein verbogenes Polizei-Absperrgitter. "Black Panther" Bobby Seale, heute 81, ist als Folteropfer auf sechs Tafelbilder wie auf Kreuzwegstationen gemalt – in der aufregend undramatischen Manier des spanischen Barockmeisters Zurbarán.
Doch die ganze Installation wäre nur ein edukatives Gegenmacht-Panoptikum ohne schweißtreibendes Kampfsport-Vorspiel auf der grünen Matte und heißen Atem der Herren an drei Gitarren, Percussion und Micro – plus fiebrigen Händen an den Reglern. Den Herzschlagfunken lässt auch eine Farbige auf die Gäste überspringen. Sie läuft und läuft, eine halbe Stunde lang, zumeist mit dem Gesicht die Videoleinwand füllend. Auf der Flucht? Einer guten Zukunft entgegen? Fragen und keine Antwort. "Die Kunst", sagt Jean Michel Bruyère in einem Interview über deren Funktionswandel, "ist nun absolut unverantwortlich. Im Grunde also genau so wie ihr Publikum."