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1. Mai: "Es lebe die Sozialdemokratie"

Von Silke Farmer

Politik

Kanzler: "Vollbeschäftigung möglich". | 100.000 Besucher am Rathausplatz. | Wien. "Ich kann nicht solange stehen, sonst wär ich längst in der ersten Reihe." Die 62-jährige Dame, eine ehemalige Verlagsangestellte, war offensichtlich angetan von der gestrigen Maikundgebung der Sozialdemokraten am Wiener Rathausplatz. Die Voraussetzungen dafür hätten auch besser nicht sein können: Ein strahlend blauer Himmel und relativ milde Temperaturen empfingen die rund 100.000 Anwesenden.


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Ab neun Uhr morgens marschierten Fachgewerkschaften, Bezirksvertretungen und viele SPÖ-nahe Vereine am Publikum und an dem mit roten Luftballons geschmückten Festpodium vorbei. Im Laufe dieser Promenade wehte zwischendurch auch ein kühleres Lüftchen - und das nicht nur wetterbedingt.

Vor allem Vertreter der Sozialistischen Jugend bekundeten lautstark ihren Unmut über den Regierungskurs. Mit dem Brecht-Zitat "Eine Grenze zu setzen dem unendlichen Irrtum" machten sie ihrem Ärger über die Große Koalition Luft und skandierten "Kämpfen nicht Umfallen" in Richtung Festpodium.

Auf eben diesem schwangen derweil Bundeskanzler Alfred Gusenbauer, Bürgermeister Michael Häupl, Vizebürgermeisterin Renate Brauner und ÖGB-Präsident Rudolf Hundstorfer zunächst die roten Taschentücher und bald darauf die Reden. Während Finanzstadträtin Brauner in ihrer Funktion als Vorsitzende der sozialdemokratischen Frauen vor allem die Wiederauferstehung eines Frauenministeriums lobte, bedankte sich ÖGB-Chef Hundstorfer dafür, dass nach der ÖGB-Krise sich so viele solidarisch gezeigt hätten und geblieben seien.

Mit Häupl hielten auch rauhere Töne Einzug in die Festreden. "Es besteht die Riesenchance mit der neuen Regierung, die Lebensqualität der Wiener zu verbessern", so Häupl, der jedoch gleich darauf betonte, dass dies nur gelingen werde, wenn man die Konfrontation mit dem politischen Gegner suche: "Mit Einschleimen geht das nicht."

Kurswechsel notwendig

Abschließend ergriff Bundeskanzler Gusenbauer das Wort: "Am heutigen Tag der Arbeit geht es nicht um Folklore, sondern um eine sozialere Gestaltung der Arbeitswelt." Der Kanzler betonte in seiner Rede, dass nach den Jahren schwarz-blauer Politik nun ein Kurswechsel notwendig sei, "hin zu einem Österreich mit mehr Fairness und mehr Chancen". Der Armut und Arbeitslosigkeit will er den Kampf ansagen: "Vollbeschäftigung ist bei dem derzeitigen Wirtschaftsaufschwung möglich."

"Ich finde, er macht seine Sache gut", streute die ehemalige Verlagsangestellte dem Bundeskanzler Blumen als dieser mit den Worten "Es lebe die Arbeit, es lebe die Sozialdemokratie" seine Rede beendete.

"Das Ganze war eine Verhöhnung derer, die rot gewählt haben", wetterte hingegen der 25-jährige David Sagner. Es sei wichtig, endlich "richtige Reformen" anzugehen: "Eine Vermögenssteuer einführen und die Entmilitarisierung herbeiführen", so Sagner, der trotz allem die rote Nelke am Revers trug. Man dürfe sich eben nicht seiner Symbole berauben lassen. "Schon gar nicht am 1. Mai, an dem für die Einführung des Achtstunden-Tages gekämpft wurde."