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1. Mai - Tag der (Erwerbs-)Arbeit

Von Günter Danhel

Gastkommentare

War der Gegensatz von Kapital und Erwerbsarbeit die zentrale "Soziale Frage" des 19. Jahrhunderts, geht es im 21. Jahrhundert um die Fortsetzung der Gesellschaft sowie um Sicherung und Zukunft des Humanvermögens.


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Sowohl der Sozialpolitik (mit Fokus auf materiell-monetären Verteilungsfragen zwischen "arm" und "reich") und der Familienpolitik (mit ihrer Orientierung auf den Ausgleich zwischen denen, die Verantwortung für Kinder tragen, und den Kinderlosen) scheint momentan ein heftiger Wind ins Gesicht zu blasen, wenn man an den zunehmend stärkeren Trend der "Kolonialisierung" von immer mehr Lebensbereichen durch die Erfordernisse der Erwerbsarbeitswelt denkt. Dabei geht es nicht um eine Abwertung der Marktwirtschaft, sondern um ihre Ausgestaltung zu einer wahrhaft sozialen und auch ökologischen(!) und um freie Familien als Voraussetzung einer wahrhaft freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.

Die bessere Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit im Sinne einer konfliktfreieren Verknüpfung der Übernahme von Familienverpflichtungen, vor allem in der Kinderbetreuung und -erziehung, aber auch in der Familienangehörigenpflege, mit Anforderungen aus der Erwerbstätigkeit, ist gesellschaftliches Ziel, aber noch keine durchgängige Wirklichkeit. Dies gilt vor allem für die anzustrebende Ebenbürtigkeit von Erwerbs- und Familienarbeit. Aus meiner Sicht ist die gedankliche Engführung im Sinne eines historisch (etwa in der Frühzeit der Industrialisierung) sinnvoll gewesenen Arbeitsbegriffs im Sinne traditioneller Erwerbsarbeit eines der größten Handicaps in der aktuellen Familienpolitik-Diskussion. Bereits der Fünfte Deutsche Familienbericht unternahm 1994 eine Quantifizierung der Familienarbeit und deren Anteil am BIP mit 51 Prozent. Daraus resultiert das Erfordernis einer besseren Wahrnehmung, Bewertung und Abgeltung von Familienleistungen!

Die Diskussion über die Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit verengt sich auf das gleichzeitige Nebeneinander von vollzeitiger Erwerbsarbeit (für alle möglichst nach männlichem Leitbild?) und Übernahme von Familienverpflichtungen. Berücksichtigt man jedoch die ständig steigende Lebenserwartung sowie das daraus resultierende Erfordernis längerer Lebensarbeitszeiten und nimmt die Ebenbürtigkeit von Familien- und Erwerbsarbeit tatsächlich ernst, so könnten sich daraus neue Perspektiven ergeben. An die Stelle der Gleichzeitigkeit kommt es in lebensbiographischer Sicht zu einem zeitlichen Nacheinander unterschiedlicher Schwerpunkte von Familien- und Erwerbstätigkeit.

Dieses Muster eines phasenversetzten Nacheinander ist momentan noch mit erheblichen Nachteilen beim Wechsel von einer Sphäre in die andere verbunden. Eine bessere Berücksichtigung familiärer Leistungen im Steuer-, Arbeits- und Sozialrecht sollte die Wahl zwischen unterschiedlichen Optionen erleichtern.

Günter Danhel ist Direktor des Instituts für Ehe und Familie in Wien (www.ief.at).