Zum Hauptinhalt springen

10 Jahre nach Fukushima

Von Walter Hämmerle

Leitartikel

Europa steht mit seiner Skepsis gegen die Atomkraft ziemlich allein da.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 3 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Am 11. März vor genau zehn Jahren erschüttert am frühen Nachmittag ein schweres Erdbeben den Pazifik vor der nördlichen Küste Honshus. Der drauffolgende Tsunami tötet 20.000 Menschen und zerstört die Häuser von 100.000 weiteren. Ökonomen berechnen die direkten wirtschaftlichen Schäden der Naturkatastrophe auf mehr als 165 Milliarden Euro.

In der Erinnerung der meisten Europäer steht "Fukushima" nicht die für die Zerstörungen und Folgeschäden einer beispiellosen Naturkatastrophe, sondern für einen weiteren Beleg der unkontrollierbaren Gefahren der Atomkraft. In drei von sechs Reaktorblöcken des Kernkraftwerks Fukushima Daiichi kam es zur Kernschmelze, große Mengen radioaktiven Materials verstrahlten Böden, Wasser und die Luft. Bis zu 150.000 Menschen mussten die Region vorübergehend oder dauerhaft verlassen.

Das Unglück hat auch in Europa unmittelbare Folgen. Nur drei Tage später kündigt Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel eine spektakuläre Kehrtwende an. Eigentlich war die damalige schwarz-gelbe Koalition angetreten, um den unter Rot-Grün beschlossenen Atomausstieg Deutschlands deutlich nach hinten zu verschieben. Nun verkündet Merkel ein Moratorium. Es ist der Anfang vom endgültigen Atomausstieg in Deutschland. In Österreich fühlt man sich im kategorischen Nein zur Atompolitik bestärkt.

Zehn Jahre später ist der Anti-Atomkonsens in Berlin wie Wien nur noch fester. In der Welt rundherum wird das differenzierter gesehen. Maßnahmen gegen den Klimawandel stehen an der Spitze der internationalen Agenda, und die Dekarbonisierung der Wirtschaft wird unweigerlich zu einer verstärkten emissionsfreien Elektrifizierung führen müssen.

Eine Antwort liegt im forcierten Ausbau der erneuerbaren Energiequellen Wind, Sonne und Wasser. Hier ist das Potenzial längst nicht ausgeschöpft, auch nicht in Österreich. Eine der größten Herausforderungen liegt hier in der Entwicklung neuer Speichertechnologien, um für einen Ausgleich zwischen Überfluss und Flaute dieser natürlichen Produktion zu sorgen.

Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet jetzt auch im Westen eine neue Debatte über die in Demokratien zunehmend unpopuläre Atomkraft einsetzt, ungeachtet all der ungelösten Fragen wie etwa der Endlagerung des Atommülls. Microsoft-Gründer Bill Gates, der sich mit seiner Stiftung gegen Pandemien und für den Klimaschutz engagiert, wirbt in seinem jüngsten Buch für eine Neubewertung der Atomkraft. Eine neue Generation von AKWs könne klimaneutrale Energie praktisch unbegrenzt zur Verfügung stellen.

Vor allem China, das sich als großer strategischer Gegenspieler zum demokratischen Westen versteht, setzt massiv auf Atomkraft, um seine Abhängigkeit von Kohle zu reduzieren. 16 Reaktoren sind derzeit hier in Bau und weitere 39 in Planung, während der Druck in Demokratien steigt und steigt, aus der Atomkraft auszusteigen.

Die Nachfrage nach sauberer Energie wird weiter steigen. Viele Staaten werden dabei auf Atomkraft setzen. So, wie es jetzt aussieht, vornehmlich von russischer und chinesischer Provenienz. Der Rest der Welt, und vielleicht nicht einmal alle Staaten in der EU, werden sich von der europäischen Atom-Skepsis nicht von ihrem Weg abhalten lassen. Und weil das so ist, hat Europa ein Interesse an möglichst sicheren Atomkraftwerken rund um den Globus. Zumindest in dieser Frage sollte die EU eine Stimme haben. Und ansonsten vor allem der Welt vorzeigen, wie erfolgreiche und nachhaltige Klimapolitik aussehen könnte, die eines Tages vielleicht sogar ohne Atomkraft das Auslangen findet.