Hohe Übersterblichkeit für 2020, eine genaue Analyse des Sterbegeschehens verlangt nach mehr Daten. Ein erster Blick.
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Mehr als 6.200 Menschen sind im vergangenen Jahr an Covid-19 gestorben. Das sagen die offiziellen Zahlen laut Epidemiologischen Meldesystem (EMS), und vermutlich werden durch Nachmeldungen noch einige Dutzend hinzukommen. Etwa die Hälfte davon lebte in einem Alten- oder Pflegeheim. Derart hohe Anteile finden sich auch in anderen Ländern. Doch Covid-19 ist deshalb keine Erkrankung, die nur die ganz Alten letal trifft. Darauf deuten auch die allgemeinen Sterbezahlen hin.
Ende Jänner wird die Statistik Austria die Zahl der Gestorbenen für das gesamte Vorjahr, nach Kalenderwoche und Alter, vorlegen. Eine Aufschlüsselung nach Todesursachen wird erst, da sie händisch eingetragen werden müssen, etwa Mitte 2021 verfügbar sein. Doch bereits in den vorläufigen Daten ist zu sehen, dass Österreich 2020 mit einer ungewöhnlich hohen Zahl an Gestorbenen konfrontiert ist, also einer signifikanten Übersterblichkeit.
Bei Covid-19 handelt es sich um eine meldepflichtige Erkrankung. Wer im Zeitraum von 28 Tagen nach einem laborbestätigten Coronavirus-Nachweis stirbt, wird als Covid-Todesfall ins EMS eingetragen. Österreich orientiert sich dabei, wie viele andere Länder, an der Falldefinition der Weltgesundheitsagentur (WHO). Das heißt, dass auch Sterbefälle in diese Statistik einfließen, bei denen ursächlich Covid nicht die Todesursache darstellt. Andererseits werden auch Sterbefälle nicht gezählt, bei denen die Erkrankung zwar überstanden wird, aber die erlittene Schwächung nach mehr als 28 Tagen doch zum Tod führt. Das betrifft vor allem sehr Betagte und ist auch bei anderen schweren Infektionserkrankungen nicht ungewöhnlich. Bei der nicht meldepflichtigen Influenza werden die Sterbefälle generell nur über die Übersterblichkeit geschätzt.
Es ist daher wichtig, das gesamte Sterbegeschehen des Vorjahres zu betrachten. Bis zur 51. Kalenderwoche, also bis zum 13. Dezember, liegen diese Zahlen, inklusive einer Schätzung, bereits vor. Bis zur 48. Kalenderwoche gibt es auch schon eine Aufschlüsselung nach Altersgruppen. Diese Daten zeigen zweierlei. Erstens, Österreich steuert auf etwa 8.000 Sterbefälle mehr als im Durchschnitt der vergangenen vier Jahre hin. Zweitens, besonders auffallend ist der Anstieg der Sterbefälle in der Altersgruppe der 80- bis 84-Jährigen. Statt 10.700 Todesfälle wie im Durchschnitt der vergangenen Jahre (bis zur 48. Kalenderwoche) wurden im Vorjahr 12.891 Gestorbene registriert. Das ist ein Plus von fast 20 Prozent.
Bevölkerung ändert sich und damit auch die Sterbezahlen
Für eine seriöse Analyse der Übersterblichkeit reichen diese Rohdaten der Sterbefälle aber nicht aus. Die Bevölkerung ändert sich, sie wird älter, einzelne Altersgruppen verändern sich, teilweise substanziell. In Deutschland ist dieser Effekt besonders stark ausgeprägt aufgrund der vielen Kriegsgefallenen. So ist die Gruppe der 70- bis 74-Jährigen seit 2002 nur um etwa 2,5 Prozent gewachsen, die Altersgruppe der 80- bis 84-Jährigen hingegen um gleich 72 Prozent. Rund 3,3 Millionen Menschen fallen in Deutschland mittlerweile in diese Gruppe, im Jahr 2002 waren es noch weniger als zwei Millionen. Es ist also kein Wunder, dass in absoluten Zahlen immer mehr Tote auf diese Kohorte entfallen.
In Österreich ist die Entwicklung ähnlich. Die älteren Bevölkerungsgruppen wachsen, jene zwischen 80 und 84 Jahren seit 2002 um fast 50 Prozent, zuletzt um sogar 14 Prozent in nur einem einzigen Jahr. Der Grund dafür: Der sogenannte "Anschluss" 1938 hatte die Österreicherinnen und Österreicher zu Geburtenrekorden inspiriert, die nicht einmal von den Babyboomern der 60er-Jahre gebrochen wurden. Die Kinder von damals sind nun 80 plus.
Der zuvor erwähnte Anstieg der Sterbefälle bei 80- bis 84-Jährigen bedeutet auch nach Einbeziehung der veränderten Kohortengröße eine Übersterblichkeit von signifikanter Größe, doch sie fällt eben nicht so stark aus, wie die absoluten Zahlen glauben machen. Und auch "jüngere Alte" ab circa 70 Jahren verzeichneten 2020 eine höhere Sterblichkeit. Teilweise ist der Effekt sogar stärker ausgeprägt als bei ganz alten Menschen, also 90 und darüber, die auch sonst ein hohes Sterberisiko haben. Zu bedenken ist auch: Bewohner von Pflegeheimen haben ein deutlich erhöhtes Infektionsrisiko, sie können sich nicht so gut schützen wie daheim lebende Personen. Und dennoch gibt es bei "jüngeren Alten" einen höheren Anstieg der Sterblichkeit.
Es wird noch einige Wochen dauern, bis auch die europäische Statistikbehörde Eurostat alle Daten aus den EU-Ländern zusammengetragen hat, um Vergleiche vorzunehmen, welche Länder mit welchen Schäden durch das vergangene Pandemiejahr gekommen sind. Nicht nur, dass die Falldefinition von Covid-Toten nicht überall dieselbe ist. Es kann auch durch weniger Tests zu einer Unterschätzung der Covid-Toten gekommen sein. In den Gesamtzahlen tauchen solche Sterbefälle auf.
Hinzu kommt, dass im Gesundheitssystem auch Kollateralschäden entstanden sein können. Es gibt eine Reihe von Beobachtungen, deren Folgen aber unsicher sind. So war im Frühling in Österreich auffällig, dass die Zahl der Herzinfarkte um 40 Prozent zurückgegangen ist. Es ist nicht anzunehmen, dass es wirklich einen derartigen Rückgang gab, wahrscheinlicher ist, dass weniger Infarkte entdeckt wurden. Solche Effekte können sich auch in der Sterbefall-Statistik zeigen.
Höhere Übersterblichkeit als Deutschland
Insgesamt sind in Österreich zuletzt zwischen 80.000 und 83.000 Menschen pro Jahr gestorben, also etwas weniger als ein Prozent der Bevölkerung. In diesem Jahr werden es rund 90.000 Gestorbene sein. Das ist ein Plus von etwa zehn Prozent.
In der Schweiz steuert man auf einen ähnlich hohen Anstieg der Todesfallzahlen hin, die USA liegen schon deutlich über den zehn Prozent. Deutschland dürfte dagegen eher in der Region um fünf Prozent mehr Sterbefälle landen. Auch die Daten von Euromomo deuten daraufhin, dass Österreich aufgrund der zweiten Welle einen sehr hohen Gesundheitsschaden erlitten hat. Ob Österreich überhaupt eine geringere Übersterblichkeit aufweisen wird als Schweden, ist noch keineswegs sicher. So oder so wird der Unterschied nicht sehr groß sein.
Schweden hat im Jahr 2019 zudem ein wirklich außergewöhnliches Jahr mit rund 3.500 Sterbefällen weniger als im Jahr davor verzeichnet. Das deutet auf ein schwaches Grippejahr hin und führt in der Regel im Jahr darauf zu einer höheren Sterblichkeit. Österreich erlebte das im Jahr 2016, als um etwa 3.000 Personen weniger starben als in den Jahren davor und danach. In der zweiten Jänner-Woche 2017 starben dann, gemessen an der Bevölkerung, sogar mehr Menschen als in der heftigsten Covid-Woche 2020. Aber, und das ist wichtig: ohne jegliche Maßnahmen. Die rund 8.000 Todesfälle mehr im Jahr 2020 sind trotz dreier Lockdowns, Maskenpflicht und Groß-Veranstaltungsverboten passiert.