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10 Years a Refugee

Von Eva Zelechowski

Politik

Unternehmer, Familienvater, politischer Aktivist, Taliban-Ziel, Asylsuchender - die Lebensstationen von Adalat Khan.


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Freiheit voller Entbehrungen: Der fünffache Familienvater Adalat Khan kocht nur für sich selbst. Seit neun Jahren besteht der Kontakt zu seiner Familie nur über das Internet.
© Stanislav Jenis

Wien. Viel gibt Adalat Khan nicht von sich preis, es ist schwierig, das Gespräch auf ihn persönlich zu lenken. Vielleicht fehlt ihm auch das Vertrauen. Immer wieder beklagt er den "bloody war" (blutigen Krieg) und das System in seiner alten Heimat, wo "Hunderttausende auf der Flucht sind und Hilfe suchen". Seit 2001 steht Pakistan vermehrt im Spannungsfeld religiös motivierter Auseinandersetzungen. Der ehemalige Sprecher der Refugee-Bewegung hat zehn Jahre Flucht und Angst vor Abschiebung hinter sich, die sich in seinem Gesicht, seiner Mimik und seiner Stimme widerspiegeln. Beim Spaziergang im Wald hinter dem Haus in Wien, in dem er seit einem halben Jahr wohnt, muss er auf der rechten Seite gehen. Er hört nur noch auf dem linken Ohr. Seit Polizisten in Griechenland während einer Demonstration im Jahr 2007 mit Schlagstöcken auf den heute 48-Jährigen losgingen.

Anfang Juni hat Khan, im nordpakistanischen Swat-Tal als politischer Aktivist bedroht und verfolgt, subsidiären Schutz in Österreich erhalten und kann sein Glück kaum fassen, wie er zur "Wiener Zeitung" sagt. Tatsächlich stehen die Chancen als pakistanischer Asylwerber für einen positiven Bescheid schlecht, wie ein Streifzug durch die Asylstatistik 2013 zeigt. Nur ein Prozent der Antragsteller aus Pakistan (neun Personen) hat Asyl in Österreich bekommen.

Weiße Weste

WZ-Journalistin Eva Zelechowski spricht mit dem ehemaligen Refugee-Sprecher über seine Zukunft.
© Stanislav Jenis

"In den letzten zehn Jahren war ich in einem Gefängnis, jetzt fühle ich mich frei. In der Gesellschaft werden Flüchtlinge als Kriminelle wahrgenommen. Auf der Straße fordern mich Zivilpolizisten regelmäßig auf, mich ausweisen." Sein politischer Kampf ist nicht vorbei, auch wenn er jetzt unter Schutz steht, sagt Khan. Das schneeweiße Hemd und der helle Leinenanzug sind eine Art Statement. Er greift zum Hemdkragen und sagt, nach einer Dekade als Flüchtling würde er jetzt auch offiziell eine weiße Weste tragen können. Es ist eine Freiheit voller Entbehrungen, die der Vater von fünf Kindern anspricht. In seiner Küche kocht er jeden Tag nur für sich. Seit 2005 besteht der Kontakt zu seiner Familie nur über das Internet.

Fast bedrohlich ragt eine Hirsch-Wanduhr in den Raum. Die Fenster sind vergittert. Im kleinen Wohnzimmer stehen Bilder von Kindern auf einem Regal. Zu sehen ist die Familie des Vorgängers, den die Hausbesitzer aufgenommen hatten. Khans Wohnung wirkt wie ein Bahnhof, wo er als Reisender auf seinen nächsten Zug wartet.

Was plant er nun mit legalem Aufenthaltstitel und Arbeitsgenehmigung in naher Zukunft? "Wir müssen die Gesellschaft hier mobilisieren, um den blutigen Krieg in Pakistan zu stoppen." Oft sei er in der Vergangenheit beim Ringen um ein Bleiberecht verzweifelt, aber er wisse, es sei ein Prozess, den eine Gesellschaft durchwandeln müsse.

Heute, Freitag, ist internationaler Weltflüchtlingstag, der auf die Probleme von Flüchtlingen aufmerksam machen soll. Khan kennt keine Aktionstage. Seit Jahren versucht er die öffentliche Meinung über Asylsuchende im Rahmen der Refugee-Bewegung zu verändern. Darauf möchte er sich auch in Zukunft konzentrieren. Er plant die Initiatoren von Protestbewegungen in Belgien zu kontaktieren, um von ihren Erfahrungen zu lernen, und will Politiker treffen. Ganz oben auf der Liste stehen ein Deutschkurs und die Suche nach einer Beschäftigung, die sein Gesundheitszustand zulässt. Er zeigt auf ein Regal, in dem sich ein Dutzend Medikamentenpackerl stapelt. "Aber ich würde jeden Job annehmen."

Seine Familie in Pakistan kontaktiert er via Skype, aber seit den Abhöraktionen an den Refugees, die sich derzeit wegen Schlepperei vor Gericht verantworten müssen, ist er vorsichtiger geworden. Für seine Kinder wünscht er sich ein "normales Leben". Seine beiden Töchter besuchen seit dem Anschlag der Taliban auf die Friedensaktivistin Malala Yousufzai die Schule nicht mehr. Man könne den Mädchen, die in der gleichen Region leben wie Malala damals, keinen Schutz mehr bieten.

Bildung ist für Khan der Schlüssel für ein normales Leben. Deshalb liegt sein Fokus - auch aus der Ferne - auf der Planung der Ausbildung seiner Kinder. "Ich bin kein gebildeter Mann, deshalb bin ich in Europa auf der Straße gelandet. Ausbildung ermöglicht einem, im Ausland Arbeit zu finden, aber auch vor Ort die Strukturen und die Gesellschaft zu verändern."

Solidarität nur von Jungen

Die Menschen in Österreich begegnen Khan sehr unterschiedlich. Besonders von den Älteren erleben er und andere Refugees Anfeindungen. "Die ältere Generation kennt das Leid des Zweiten Weltkriegs. Ich verstehe nicht, warum man Flüchtlinge derart kriminalisiert." Solidarität gäbe es hauptsächlich von den jungen Menschen. Er wünscht sich, dass sich Menschen gemeinsam gegen anti-demokratische Systeme stemmen.

Wenn Khan von seiner Frau spricht, senkt er betrübt den Kopf. "Wir haben uns das Versprechen gegeben, aufeinander zu warten. Zehn Jahre, das kann man sich nicht vorstellen. Ich hoffe, dass sie irgendwann nach Österreich kommen kann." Eine Familienzusammenführung ist in seinem Fall durchaus möglich, doch erst nach der ersten Verlängerung des subsidiären Schutzes nach einem Jahr. Aber die Zeit tickt, denn Khans Frau ist herzkrank und er weiß nicht, ob sie bis dahin überlebt.