"Kunden sind es müde, für Grünes zu viel zu bezahlen." | Unternehmen fehlt das multifunktionale Denken. | Wien. Gunter Pauli, Mitglied des Club of Rome, will in den nächsten Jahren Gesundes billiger machen und das weltweite Hungerproblem eliminieren. Mit der "Wiener Zeitung" sprach der Belgier darüber, wie er das schaffen will.
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"Wiener Zeitung": Es gibt seit Jahrzehnten Aufrufe zu mehr Nachhaltigkeit und grüner Technologie - der große Wandel in der Wirtschaft und bei den Werten der Verbraucher blieb bisher aus. Warum? Gunter Pauli: Wir brauchen endlich eine nachhaltige Wirtschaft, in der die gesunden Produkte nicht die teuersten sind. Die Kunden sind müde, dass sie für Grünes zu viel zahlen müssen. Wir müssen das Geschäftskonzept ändern. Die letzten zwanzig Jahre haben wir uns zu sehr auf die Kosten konzentriert. Das hat der Gesellschaft kein Glück und keine Nachhaltigkeit gebracht.
Was schlagen Sie vor?
Wir verfügen über ein Portfolio von 100 Innovationen, die einen Mehrwert schaffen und multifunktionell agieren. Die Multifunktionalität in unserer Wirtschaft ist komplett verloren gegangen. Das Geschäftsmodell, das wir hatten, war immer auf ein Kerngeschäft und eine Kernkompetenz konzentriert. In Zukunft braucht es unternehmerisches Denken, das nicht nur finanzielle Interessen, sondern auch die Gesundheit des Menschen und die Nachhaltigkeit der Natur im Auge behält.
Welche Innovationen sind das?
Wir müssen uns alle Rohstoffe anschauen, die wir zur Verfügung haben und die nicht verwendet werden. Ein Beispiel dafür ist Kaffeesatz. Wenn wir einen Kaffee trinken, verwenden wir nur 0,2 Prozent der Bohne. Die restlichen 99,8 Prozent landen auf der Mülldeponie und produzieren Methangas. In Berlin, Amsterdam, San Francisco und Madrid sammeln wir bereits jeden Tag Kaffeesatz und darauf züchten wir Pilze. Dieser Pilz ist billiger als die frischen Pilze, die wir aus China einführen. Die Abfälle nach der Ernte der Pilze ergeben wiederum Futter für Katzen und Hunde. Durch das Sammeln von Kaffeesatz und Teeabfällen haben wir allein in Europa bereits 1000 Jobs geschaffen.
Sie sprechen in Ihrem Bericht an den Club of Rome "The Blue Economy" von 100 Millionen neuen Jobs in den nächsten zehn Jahren, die durch eine solche Wirtschaftsweise entstehen. Welche anderen großen Projekte kommen noch hinzu?
Erstens: Es gibt keine großen Projekte, sondern viele kleine. Wir befürworten tausende kleine Initiativen, die jedes Mal etwa fünf Arbeitsplätze schaffen. Zweitens: Wir konzentrieren uns auf die fünf Basisbedürfnisse der Menschen: Ernährung, Wasser, Gesundheit, Energie und Behausung. Kaum irgendwo auf der Welt kann man Leitungswasser trinken, weil es voll mit Chlor und Bakterien ist. Eine der großen Initiativen ist daher, eine neue Technik vorzustellen, die nicht wieder eine große Kläranlage baut. Stattdessen könnten wir in jedem Haus ein System erbauen, das es ermöglicht, Trinkwasser zu bekommen und Abwasser lokal zu sichern.
Wenn Energie aus erneuerbaren Ressourcen so wichtig ist, warum ist sie immer noch teurer als Energie aus fossilen Brennstoffen?
Weil wir mit Wind- und Sonnenenergie die falschen Entscheidungen getroffen haben. Wir setzten unsere Gelder in Energiesysteme, die gar nicht effizient sind. Wenn eine Energiequelle nach 40 Jahren immer noch Staatszuschüsse braucht, dann ist das, was wir heute haben, nicht gut genug.
Was gibt es für Alternativen?
Die neue Windenergiequelle heißt Windband. Man hat ein Band, das bewegt sich wie ein Segelschiff im Wind - ohne Turbinen kann man Wind ernten und in Energie umsetzen. Diese Idee kommt von einem US-Studenten und wird jetzt in Hongkong umgesetzt.
Stichwort Ernährung: Die Rohstoffe werden knapper und teurer - gleichzeitig wächst die Weltbevölkerung rasant - wie kommen wir aus diesem Dilemma?
Warum brauchen wir Gentechnik, wenn wir 99 Prozent des Kaffeesatzes auf die Mülldeponie schicken? Ein anderes Beispiel ist Eiweiß: Um Eiweiß aus einem Rind zu gewinnen, braucht man bis zu zwei Jahre, mit Algen habe ich Eiweiß in 24 Stunden. Wir verwenden in Brasilien CO2 von Steinkohlekraftwerken, um Spirulina-Algen zu gewinnen. Damit können wir für 250.000 Kinder eine Basisernährung sicherstellen. Mit solchen Ideen können wir die Ernährungsproblematik eliminieren.
Wie können für diese Projekte die Politik und die großen Unternehmen mit ins Boot geholt werden?
Es ist Zeitverlust, diese zu überzeugen. Die haben ihr Geschäftsmodell und ihre Interessen, die kann man nicht ändern.
Wer soll diese Innovationen dann vorantreiben?
Kleine Unternehmer, die ohne Geld und Erfahrung sagen, wir würden das ganze einfach ändern.
Ohne Geld lassen sich schwer neue Technologien umsetzen oder Produkte in Serie fertigen.
Wenn ich einen Geschäftsplan mit guten Resultaten habe, dann wird das immer finanziert. Es gibt viel zu viel Geld und nicht genügend Projekte.
Was müsste sich in den bestehenden Unternehmen ändern, um umweltschonender zu wirtschaften?
Wir müssen nichts ändern, sondern nur die Ressourcen verwenden, die vorhanden sind.
Gunter Pauli ist Mitglied des Club of Rome, einer Denkfabrik für nachhaltiges Wirtschaften. Als Unternehmer arbeitet er mit Geschäftsmodellen, die ohne Abfälle oder Emissionen auskommen.