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100 Jahre Verfassung und der Koran

Von Abualwafa Mohammed

Recht
Abualwafa Mohammed ist promovierter Religionspädagoge, islamischer Gelehrter und interkultureller Experte (www.abualwafa.at).
© privat

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Österreich feiert das 100-jährige Bestehen seiner Bundesverfassung. Dies ist nicht nur Anlass, um der Verfassung Anerkennung und Respekt zu zollen, sondern um auch ein wichtiges Thema betreffend den Islam in Europa zu positionieren. Es gibt politisierende und extremistische Ideologien, die den Koran politisch deuten und in ihm eine "Verfassung" sehen, die über der nationalen Verfassung steht. Solche Strömungen stiften Verunsicherung und Verwirrung, und zwar unter nicht wenigen Muslimen. Sie warnen die Muslime davor, menschliche Gesetze über göttliche zu stellen, so als stünden von Menschen gemachte Verfassungen in Konkurrenz zum Koran.

Gleichzeitig sprechen anti-islamische extremistische Gruppierungen den Muslimen generell die Loyalität gegenüber der Verfassung und der demokratischen Grundordnung ab. Mit Hilfe der politisierenden Koran-Interpretationen hetzen sie gegen Muslime auf.

In einer so wichtigen Frage brauchen Muslime wie Mehrheitsgesellschaft Klarheit, auch um Barrieren im Dialog abzubauen und sich näherzukommen. Man darf nicht den Extremisten die Deutungshoheit überlassen. Leider fehlen klare Statements und vielleicht auch der Mut. Eine intensive theologische, didaktische und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit solchen Themen wäre nötig, um die Verwirrung unter Muslimen und in der Mehrheitsgesellschaft abzubauen.

Die österreichische Verfassung - beginnend mit ihrem ersten Artikel: "Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus" - stützt sich auf Einsichten des Verstandes, den alle Menschen, egal welcher Religion, aber auch ohne Religionsbekenntnis, miteinander teilen. Prinzipien wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltentrennung und Menschenrechte sind elementare Rahmenbedingungen für ein friedliches Zusammenleben. Sie widersprechen dem Koran nicht.

Der Koran beansprucht für sich nicht, eine Verfassung zu sein.

Der Koran spricht sich nicht gegen die moderne Demokratie aus. Vielmehr verlangt er keine bestimmte Staatsform. Er ist für die Muslime eine Quelle spiritueller Kraft und definiert sich durch seinen Namen als Buch der Rechtleitung, der Barmherzigkeit und als Licht. Der Begriff "Verfassung" wird für ihn nicht angeführt. Der Koran hat auch nicht den Charakter einer Verfassung. Die Sprache der Verfassung ist klar und eindeutig, schließlich soll sie nicht zum Spielball von Juristen und Politikern werden. Anders der Koran: Zu seinem sprachlichen "Wundercharakter" gehört, dass er eindeutige und mehrdeutige Verse beinhält (Koran 3:7). Einzelne Verse bestehen nur aus getrennten Buchstaben. Das ist in einer Verfassung unvorstellbar.

Jene, die in dem Koran eine Verfassung sehen, betrachten auch die Charta von Medina - die Initiative Muhammads für das Zusammenleben der Ethnien und Religionen in Medina - als Verfassung (ar. dustur al-Madina). Das ist ein Widerspruch: Es können nicht der Koran und die Charta gleichzeitig die Verfassung sein. Beide sind es in Wahrheit nicht. Der moderne Staat samt Verfassung ist eine Errungenschaft der Moderne.

Würde jede Religion ihre eigene Schrift über die Verfassung stellen, wäre ein friedliches Zusammenleben unmöglich. Die österreichische Verfassung ermöglicht ein solches Zusammenleben - für alle Menschen.