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100 Sekunden vor 12 . . .

Von Manfred Sauer

Gastkommentare

Rüstungskontrolle im Abseits? Die Doomsday-Uhr ist dramatisch richtig eingestellt.


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Das schwedische Friedensforschungsinstitut Sipri weist im Jahresbericht 2020 weltweit 13.400 Atomsprengköpfe in neun Staaten aus. Diese Arsenale werden weiter modernisiert oder gar ausgebaut. Intelligente Waffen mit geringerer Sprengkraft senken die Nuklearkriegsschwelle, neue Geschosse mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit machen einen Erstschlag möglich.

1947 wurde von der Zeitschrift "Bulletin of the Atomic Scientists" eine symbolische Weltuntergangsuhr (Doomsday Clock) eingerichtet. Sie wird auf Basis der atomaren Gefahr und der Krisenlage in der Welt eingestellt. 1991 zeigte sie 17 Minuten vor 12 an, aktuell 100 Sekunden vor 12.

Der Ausstieg der USA und später Russlands aus dem INF-Vertrag, der landgestützte Kurz- und Mittelstreckenraketen in Europa verbietet, oder die unsichere Zukunft des im Februar 2021 auslaufenden "New Start"-Vertrages der USA und Russlands zur Limitierung von Interkontinentalraketen sind bedenkliche Anzeichen einer Zerschlagung der Rüstungskontrolle.

Die 2020 verschobene Überprüfungskonferenz des Atomwaffen-Nichtverbreitungsvertrages (NPT) nährt die Unzufriedenheit einiger Länder über die mangelnde Vertragstreue der fünf legitimen Atommächte (USA, Russland, Frankreich, Großbritannien, China). Sie sollten längst den Artikel VI des Vertrages erfüllen und ihre Potenziale abrüsten. Die Gefahr, dass weitere Staaten sich illegal Atomwaffen beschaffen, ist groß und ein Auseinanderbrechen des NPT nicht unwahrscheinlich. Der Atomdeal mit dem Iran - von den USA einseitig aufgekündigt - hängt nur noch an einem seidenen Faden. Wie sollen Staaten Vertrauen aufbauen, wenn die Einhaltung von Abkommen und die Rolle internationaler Institutionen von manchen Regierungen nicht ernst genommen werden?

Die Zivilgesellschaft ist freilich nicht untätig. Von vielen belächelt, forderte sie ein Verbot aller Atomwaffen. Nach mehreren Staatenkonferenzen wurde 2017 von 122 UN-Mitgliedern ein Vertragstext beschlossen und Ende 2017 zur Unterschrift und Ratifikation aufgelegt. Derzeit fehlt noch die Ratifikation von zehn Staaten, damit das Verbot völkerrechtlich in Kraft tritt. Der Vertrag bietet Staaten mehrere Möglichkeiten der ernsthaften Nuklearwaffenabrüstung an und sieht eine Opferhilfe wegen der Atomtests vor. Das ist ein großer Erfolg der Diplomatie (nicht zuletzt Österreichs) gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Organisationen. Friedensarbeit wirkt. Das jährliche Gedenken - seit den 1980ern - der Wiener Friedensbewegung und weiterer NGOs am 6. August (Wien, Stephansplatz) an die Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki 1945 bietet Gelegenheit, ein Zeichen zu setzen. Die gesammelten Grußbotschaften gegen Nuklearrüstung geben Menschen die Möglichkeit, ihren Protest auszudrücken. Persönlichkeiten wie die Bürgermeister der beiden japanischen Städte, unser Bundespräsident, Politiker, Gewerkschafter, Künstler und Kirchenvertreter, aber auch einfache, engagierte Menschen geben Statements gegen Atomwaffen und Rüstung ab. Es ist ein tiefer Wunsch nach Frieden und Sicherheit. Mit Atomwaffen geht er nicht in Erfüllung.