Die Millionen des Emirs von Katar sollen der griechischen Insel aus der Krise helfen.
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Ithaka. Rasch merkt man, der Mann hat mächtig Spaß daran: Mit der einen Hand hält er den Hummer am Kopf fest, mit der anderen setzt er gekonnt die Schere im weichen Nackenteil an und schneidet den Panzer zur Kopfmitte hin auf. Flink setzt er dann an der anderen Seite in der Mitte an, schneidet energisch in Richtung Schwanzspitze, bis er flugs die Bauchseite durchtrennt - fertig. "Los, greift zu. Lasst es euch schmecken. Lasst uns das Geld von Coralia verprassen", ruft er laut in die Runde. Prompt bricht schallendes Gelächter aus.
Jannis Cassianos, schütteres Haar, feurige Augen, ein von der Sonne geröteter Kopf, trägt eine modische Baseballkappe mit Hellas-Flagge und der Aufschrift
"Ithaki Island". Der 65-Jährige ist ein Tausendsassa. Energiegeladen, extrovertiert. Cassianos war Wirtschaftsberater in den USA, er treibt Geschäfte in Rumänien und macht mit Herzblut seit mehr als zwei Jahren vor allem einen Job: Cassianos ist Bürgermeister von Ithaka. Da, wo einst, nach dem Krieg von Troja, Odysseus’ jahrelange Irrfahrt ihr Ende fand.
Auch Ithaka leide unter der desaströsen Krise, die das Euro-Sorgenkind Griechenland seit nun schon sechs Jahren heimsucht, erzählt Bürgermeister Cassianos. Die Arbeitslosigkeit ist auf der Insel auf über 20 Prozent geklettert. Besonders die jungen Ithaker trifft das hart: Mehr als die Hälfte sind auf der Suche nach Arbeit. Das Problem: Es kommen immer weniger Touristen. Der Grund: Die Griechen aus den Metropolen, die traditionell das Gros der Reisenden nach Ithaka ausmachten, haben immer weniger Geld in der Tasche. Einen Urlaub im schönen Ithaka können sie sich nicht mehr leisten.
Aber jetzt, in dieser lauen Sommernacht, ist das alles vergessen. Cassianos sitzt mit Freunden zusammen. Die Stimmung in der Fischtaverne "Bantis" an Ithakas malerischer Promenade ist mehr als ausgelassen. Neben Cassianos sitzen Dionysis und Coralia Griwas. Dass ausgerechnet sie zu später Stunde feiern, hat gute Gründe: Zehn unbewohnte Inseln unweit von Ithaka kamen vor ein paar hundert Jahren in den Besitz der Familie Griwas. Sechs der Inseln, die zwar über reichlich Grün und viel Felsen aber kaum Stränden verfügen, erbten Dionysis und seine Schwestern Coralia und Theodora Griwas. "Das Meer war hier schon immer die Quelle von Reichtum, nicht die Inseln", erzählen die Griwas. "Die Armen waren diejenigen, die auf dem Land blieben. Sie waren Hirten und nutzten sie als Weideplätze. Sie blieben aber arm. Keiner wollte die Inseln haben."
Das ist mittlerweile aber ganz anders. Vor kurzem haben Coralia und Theodora Griwas fünf kleine Inseln mitten im Ionischen Meer verkauft, deren Namen allein schon reicht, um die Fantasie zu beflügeln: Provati, Pistros, Soros, Abasa und Gravaris. Der Käufer habe ein paar Millionen Euro lockergemacht, um sie zu erwerben, jubeln die Griwas. Ganz leise nur erzählen sie über den neuen Besitzer, der einer der reichsten Männer der Welt sei. "Wer ist es?" "Der Emir von Katar."
Der Emir als Beispiel
Coralia Griwas hat es zu Wohlstand gebracht - fernab ihres Herkunftsorts. Schon lange lebt die Unternehmerin im Villenort Scottsdale im US-Bundesstaat Arizona. "Ich habe schöne Inseln. Aber ich habe aber auch wieder nicht so viel Geld, um sie so zu bebauen und damit Profit zu machen", gibt sie unverhohlen zu. Sie seufzt: "Ich liebe Griechenland, ich liebe Ithaka, aber was soll ich mit meinen Inseln tun?"
Jung war sie noch, erst 25 Jahre alt, als ihr Vater Jannis im Jahr 1973 die Inselgruppe vererbte. Nun drohe ihr, erstmals Steuern für ihren Besitz zahlen zu müssen, klagt Coralia Griwas. Griechenlands chronisch klammer Fiskus lässt grüßen. Für Coralia Griwas geht das entschieden zu weit. "Mein Vater hat uns die Inseln gegeben, damit wir Freude daran haben. Und nicht, damit sie der Staat bekommt." Auf Provati hat Coralia im Sommer ihre Kindheit verbracht. Traurig sei sie jetzt aber nicht. "Der neue Eigentümer wird das Beste daraus machen", sagt sie. "Ich kann das nicht."
Knapp 20 Kilometer von Provati entfernt liegt Skinos, die schönste Bucht in Ithaka. Türkisblaues Wasser, feiner Sandstrand, aber schwer zugänglich. Es gibt daher kaum Touristen hier. Dafür urlaubt Madonna in Skinos, auch Sean Connery oder Roman Abramowitsch geben sich im langen griechischen Sommer hier gerne ein Stelldichein. Auf seiner Yacht erzählt Bürgermeister Jannis Cassianos die Geschichte, die alle seine Gäste von ihm hören wollen. "Alles hat mit der Insel Oxia begonnen, einer unbewohnten Insel unweit von Ithaka", sagt Cassianos. Scheich Hamad bin Chalifa Al Thani, mit drei Frauen verheiratet und Vater von zwei Dutzend Kindern, habe Oxia im Frühjahr kurz vor seiner Abdankung als Emir von Katar erworben - für rund fünf Millionen Euro. Wie alle Inseln in der Region habe Oxia eine "unglaublich tolle Lage", schwärmt Cassianos. Ein Investor mit Visionen könne hier schier Bäume ausreißen.
Laut Cassianos, der den Verkauf schon gerne einmal mit einem Lottogewinn vergleicht, ist der Emir genauso ein Investor. Die erworbenen Inseln sollen nicht als Rückzugsort für die Sommerfrische genutzt werden, sondern um ordentlich Geld zu verdienen. "Ich habe den Masterplan des Emirs für Oxia gesehen", sagt Cassianos und schnalzt mit der Zunge. Der Emir werde sagenhafte 500 Millionen Euro in der Region investieren. Die Hoffnungen auf Ithaka reichen allerdings weit über diesen unmittelbaren Geldsegen hinaus. Schließlich könnte der Emir mit seinem Beispiel auch andere investitionsfreudige Super-Reiche nach Ithaka locken.
Doch was soll aus den Emir-Inseln im Ionischen Meer werden? "Oxia wird eine Art-Insel, also mit modernen Kunstwerken überall auf der Insel", sagt Cassianos. "Weltweit gibt es bisher nur eine - in Japan. Die Bauarbeiten hier werden bald beginnen." Mindestens die Hälfte der Emir-Millionen soll den 3500 Bewohnern auf Ithaka dabei direkt zugute kommen. "Denn wo wird der Emir auf der Suche nach Bauarbeitern, Handwerkern, sonstigem Personal, Proviant zuerst fündig werden?", fragt Cassianos. Die Antwort gibt sich der Bürgermeister lachend selbst. "Auf Ithaka!"
"Wir können viel lernen"
Homer Odysseus Costopoulos, stechender Blick, modischer Bart, steht auf der Promenade von Ithaka und genießt den malerischen Sonnenuntergang. Postkartenidylle pur. Der Ithaker mit den beiden mythischen Vornamen hat drei Hochschulabschlüsse. Sein Spezialgebiet: "Tourismus und periphere Entwicklung". In London arbeitete der 42-Jährige für einen großen Reiseveranstalter, mittlerweile ist er auf seiner Heimatinsel Hotelier, Reisemakler und betreibt ein gehobenes Restaurant. "Ab Mitte der 90er Jahre bis zum Ausbruch der Hellas-Krise erlebte der Tourismus auf der Insel sein goldenes Jahrzehnt. Wir hatten sehr viele Besucher, verdienten sehr viel Geld, ohne dass wir viel investieren mussten. Ithaka war einfach in Mode", sagt Costopoulos. Doch dem Boom folgte die Krise - und mit ihr seien die ansonsten umtriebigen Ithaker in eine merkwürdige Starre verfallen, sagt Costopoulos. Es gebe keinen Mut zum Risiko.
Jung-Unternehmer Costopoulos ist offensichtlich keiner, der leicht in Euphorie verfällt. Dennoch: Was das Engagement des Emirs in der Region Ithaka angeht, habe er "ein gutes Gefühl". Schöpfen die Ithaker angesichts des Emirs neuen Mut? Costopolos antwortet mit fester Stimme: "Ich habe das Geschäftsgebaren der Katarer in London kennengelernt. Sie sind sehr gute Geschäftsleute. In Geldfragen sind sie keine Romantiker, sondern Killer. Wir Ithaker können von ihrem Geschäftssinn nur profitieren. Das ist eine Win-win-Situation."
Die Regierung im fernen Athen ist chronisch klamm. Die EU-Gelder reichen nicht aus, um die Krise auf der abgelegenen Insel zu überwinden. Dennoch herrscht auf Ithaka allenthalben der Eindruck: Der Insel des Odysseus blühen schon bald wieder goldene Zeiten - dem Emir sei Dank. In Griechenland, im Epizentrum der Eurokrise, erscheint Ithaka wie eine friedliche Oase des Glücks. Tausendundeine Nacht im Ionischen Meer. Stadtoberhaupt Cassianos sprüht jedenfalls vor Zuversicht. "Weißt Du, was ich wirklich bin?", fragt er. "Ich bin der Bürgermeister Griechenlands". Cassianos lacht. So laut wie nie zuvor.
Kein Silberstreif am Job-Horizont
Während auf Ithaka durch die Investitionen des Emirs von Katar die Hoffnung wieder ein Stück weit zurückgekehrt ist, herrscht am gesamtgriechischen Arbeitsmarkt nach wie vor Tristesse. Und eine deutliche Besserung dürfte nach Einschätzung der dortigen Gewerkschaften auch noch 20 Jahre dauern. Erst dann wird laut dem Jahresbericht des Arbeitsinstituts des größten Gewerkschaftsverbandes des Privatsektors (INE-GSEE) die
Arbeitslosenquote unter die Zehn-Prozent-Marke fallen. Aktuell liegt sie laut EU-Statistikbehörde bei 27,6 Prozent.
Dem Bericht zufolge ist die Kaufkraft der Griechen auf das Niveau von vor 14 Jahren zurückgefallen. Insgesamt hätten die griechischen Arbeitnehmer wegen der harten Sparpolitik des Landes in den vergangenen vier Jahren 41 Milliarden Euro an Einkommen verloren. Auch dieses Jahr wird mit einem weiteren Schrumpfen der Wirtschaft um gut vier Prozent gerechnet. Das wäre dann das sechste Minus-Jahr in Folge. Mit einer Besserung der Situation wird laut griechischem Finanzministerium allerdings 2014 gerechnet. Dann soll die Wirtschaft um 0,1 bis 0,3 Prozent wachsen.