"Wer als Papst ins Konklave geht, kommt als Kardinal wieder heraus", lautet eine alte römische Volksweisheit. Man muss an sie erinnern, wenn nun ein bis zwei Dutzend Namen von aussichtsreichen Papst-Anwärtern ("papabili") genannt werden. Nur selten haben sich wirklich die Favoriten durchgesetzt.
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In der jüngeren Vergangenheit kamen nur zwei Mal die echten Favoriten zum Zug, und da herrschten jeweils besondere Umstände: 1939 hielt man den Diplomaten Eugenio Pacelli (Pius XII.) für den richtigen Mann, 1963 Giovanni Battista Montini (Paul VI.) für den Garanten für eine gute Fortsetzung des von Johannes XXIII. begonnenen Konzils.
Von den derzeit 183 Kardinälen dürfen nur jene 117, die noch nicht das 80. Lebensjahr vollendet haben, in die von der Außenwelt "cum clave" (mit dem Schüssel) abgeschiedene Wahlversammlung einziehen, die den neuen Papst wählt. Mehr als zwei Drittel davon, 79, haben bereits den 70. Geburtstag hinter sich, von den übrigen 38 nur 5 den 60. Geburtstag noch vor sich. Nicht nur auf Grund des hohen Durchschnittsalters, auch weil die Kirchengeschichte lehrt, dass die Kardinäle auf ein langes Pontifikat gerne ein kürzeres folgen lassen, wird erwartet, dass eher ein älterer Papstanwärter gewählt wird.
Zwei der stärksten Persönlichkeiten im Kardinalskollegium, beide vom Format her absolute "papabili", gehören dem Geburtsjahrgang 1927 an und werden daher kaum mehr selbst als Kandidaten auftreten: der deutsche Präfekt der Glaubenskongregation und Dekan des Kardinalskollegiums Joseph Ratzinger und der an Parkinson leidende frühere Mailänder Erzbischof Carlo Maria Martini.
Sie dürften aber als Repräsentanten der verschiedenen Kirchenflügel und "Großwähler" - so nennt man jene Kardinäle, die Netzwerke zu Gunsten von Kandidaten bilden - eine wichtige Rolle spielen. Ratzinger könnte entscheidenden Einfluss darauf nehmen, wen die traditionsbewusste Mehrheit unterstützt, Martini darauf, auf welchen Kompromiss sich die reformorientierte Minderheit einzulassen bereit ist.
Bisher lagen in jedem Konklave in den ersten Wahlgängen Italiener voran - und mit Ausnahme der letzten Papstwahl im Oktober 1978 auch am Schluss. Es spricht viel dafür, dass auch diesmal zunächst unter den zwanzig Italienern Ausschau nach dem neuen Pontifex gehalten wird und erst, wenn deren Kandidaten mit ihren Anhängern sich gegenseitig blockieren, der Blick intensiver in eine andere Richtung, etwa auf einen Papst aus Lateinamerika, Afrika oder Asien gerichtet wird.
Die vorwiegend konservativ eingestellten italienischen Papstanwärter sind bekannt: der Verwaltungsfachmann Giovanni Battista Re, Präfekt der Bischofskongregation, der früher an der Seite Ratzingers in der Glaubenskongregation tätige Tarcisio Bertone, Oberhirte von Genua, der venezianische Patriarch Angelo Scola mit einem Nahverhältnis zum Movimento "Comunione e liberazione" und vor allem Dionigi Tettamanzi, Erzbischof von Genua, dem man die Unterstützung des "Opus Dei" nachsagt. Angelo Sodano hat, vom fortgeschrittenen Alter ganz abgesehen, wie bisher fast jeder Staatssekretär nur sehr geringe Chancen. Der Reformflügel dürfte eher mit Severino Poletto aus Turin oder Ennio Antonelli aus Florenz leben können.
Falls alle Genannten scheitern sollten, kommt der nächste Papst vielleicht doch nicht aus Italien. Wahrscheinlich erhalten sogar schon von Anfang an einige ausländische Kandidaten eine größere Stimmenanzahl: zum Beispiel der aus Nigeria stammende, in Fragen des interreligiösen Dialogs erfahrene Kurienkardinal Francis Arinze von den elf Afrikanern. Der kolumbianische Kurienkardinal Dario Castrillón Hoyos oder Claudio Hummes, Erzbischof von Sao Paulo, werden Unterstützung aus Lateinamerika (21 Wahlkardinäle) der Deutsche Walter Kasper, der Portugiese José da Cruz Policarpo oder der Belgier Godfried Danneels vielleicht von den - inklusive der 20 Italiener - 46 Westeuropäern. Vielleicht schicken aber auch die elf Asiaten jemanden, zum Beispiel den hochangesehenen Inder Ivan Dias, ins Rennen.
Es ist auch nicht auszuschließen, dass einer der noch relativ jungen "papabili" ins Spiel kommt: etwa Oscar Andrés Rodríguez Maradiaga aus Honduras oder Christoph Schönborn aus Österreich. Ein Rückgriff auf inzwischen recht betagte beziehungsweise teilweise auch gesundheitlich angeschlagene langjährige "papabili" wie Giacomo Biffi aus Bologna, Jean-Marie Lustiger aus Paris, Marco Cé aus Venedig, Camillo Ruini aus Rom oder die eingangs genannten mutmaßlichen "Großwähler" Joseph Ratzinger und Carlo Maria Martini wäre eine Überraschung.
Eine echte Sensation wäre es allerdings, würde der nächste Papst nicht aus diesen etwa zwei Dutzend Namen kommen und auch nicht aus der Kategorie Geheimtipps, in die noch der Argentinier Jorge Maria Bergoglio, er wäre der erste Jesuit auf dem Papstthron, der Brasilianer Geraldo Majella Agnelo und der Kubaner Jaime Ortega y Alamino fallen.
Unwahrscheinlich ist, dass nach dem Polen Karol Wojtyla wieder ein Kandidat aus Osteuropa Bischof von Rom wird, als aussichtlos gelten auch die zwölf Angloamerikaner oder die zwei Vertreter des fünften Kontinents.